Gott zu Besuch
Die Oper „Murder in the Cathedral“ des italienischen Komponisten Ildebrando Pizzetti erzählt vom subtilen Kampf zwischen Krone und Kirche. Keith Warner hat den Zweiakter an der Oper Frankfurt inszeniert.
Von 1955 bis 1957 schrieb der italienische Komponist Ildebrando Pizzetti seine Oper „Murder in the Cathedral“. Die Geschichte erscheint ziemlich simpel: der Bischof von Canterbury Thomas Becket kehrt nach sieben Jahren aus dem französischen Exil zurück und muss sich den Anfechtungen des Königs, der ihn einst vertrieben hat, erneut stellen. Noch immer lässt der Monarch dem Geistlichen keinen Raum: ein subtiler Kampf „Krone gegen Kirche“ beginnt. Pizzetti zeigt minutiös die inneren Verwerfungen auf Seiten der Häscher und seines Opfers, er beleuchtet eine historische Sekunde aus dem 12. Jahrhundert und schafft damit ein universelles, zeitloses Protokoll einer imaginären Angst, die in diesem Fall durch die Katastrophe dekompensiert werden kann. Keith Warner hat Pizzettis Zweiakter an der Oper Frankfurt inszeniert. Für die suggestive Rolle des Thomas Becket hat der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe den britischen Bassbariton John Tomlinson eingekauft.
Es ist eine Show der suggestiven Bilder: Keith Warner, der an der Oper Frankfurt mit seinen Arbeiten aus den vergangenen Jahren einen speziellen magischen Realismus für dieses Haus kreiert hat, setzt Pizzettis Oper mit einem spektakulären Bild in Gang, als wäre es ein Film, der langsam von der Spule läuft. Ein schwarzer Gazevorhang hebt sich, eine riesige Holztreppe schwebt vom Schnürboden herab und teilt den Raum mit einer exakt bemessenen Diagonalen. Der Bass John Tomlinson schreitet diese Dachbodentreppe herab, wie ein Geist dem Himmel entsteigt: sein weißes langes Haar, sein dichter weißer Bart – es ist, als wäre Gott zu Besuch auf Erden.
Von da ab ist es nicht nur eine Show der Bilder, sondern es ist auch eine John-Tomlinson-Show. Der Sänger hat sich die Figur des Thomas Becket wie eine zweite Haut übergestreift. Alles, was Tomlinson in den nächsten 90 Minuten auf der Bühne macht – das Segnen der Frauen, das Tragen des Büßerhemdes, die Selbstkasteiung, seine Auslieferung an die Häscher, sein Sterben – ist so unzweifelhaft echt, aufregend, affektuös wie in einem Film, der einen magisch in sich hineinzieht, bei dem man in die Fiktion eintritt wie ein Miterlebender. Der Sänger-Guru John Tomlinson ist ein Bühnenwüter, kein Posenverkäufer, sondern ein aufmerksamer Schauspieler, ein kraftvoller, rau timbrierter, sonor-bauchiger Sänger, der das ist, was er tut, der nie spielt, dass er spielt, der seinem Körper den Vorrang lässt, nicht der Stimme – manchmal gerät das zum Nachteil in der Intonation. Trotzdem spielt und singt er die anderen nicht an die Wand.
Denn da sind Warners Bilder: magisch, illusionistisch, hochsymbolisch – Bilder, die immer auf verschiedenen semantischen Ebenen funktionieren. Der Zuschauer ist in einer Warner-Inszenierung stets damit beschäftigt, alle Details dieser Bildarchitektur zu dekodieren. Für Pizzettis Canterbury-Oper lässt Warner einen tiefen Bühnenkasten bauen: den hängt er schräg in den lichtlosen Raum, in den auch die zahlreichen Öffnungen – Schiebetüren, Fenster? – an den Seiten kein Licht bringen. In diesem Zwitterraum, der Bunker, Kirchenschiff und militärisches Quartier zugleich ist, gibt es kein Oben, kein Unten. Dieser changierende, vieldeutige Raum (Bühne: Tilo Steffens) ist Basis der Warner’schen Illusionskunst, hinzu kommen die Requisiten. Warner benutzt Requisiten immer antizipierend, nie illustrativ: damit schafft er extrem effektvolle Pointen.
Eine solche gelingt ihm in dieser Frankfurter Produktion zweifellos mit dem lebensgroßen Menschenherz, das eine Maschine täuschend echt pulsieren lässt, lange bevor einer der Ritter dem Bischof Thomas Becket das Herz aus dem Leib schneidet. Dieses Herz raubt einem schier den Atem. Wie auch der lebendig werdende Jesus, der plötzlich vom lebensgroßen Kreuz steigt, das er dem Geistlichen in die Arme und in den Schoß drückt. Da wird man schier vom Schlag getroffen, weil Warner hier mit so fantastischen, frappierenden Illusionen arbeitet. Der Moment der Entzauberung ist dabei so punktgenau gesetzt, so schnell, wie ihn sonst nur der Filmschnitt erzielen kann.
Dass Keith Warner wiederum das Werk durch seine Bilder nicht an die Wand spielt, liegt an der Musik. Ildebrando Pizzetti schreibt nämlich eine Choroper: der Chor ist omnipräsent in diesem Stück. Pizzetti komponiert große, brachial ausbrechende Chöre, die er dramaturgisch wie eine eigenständige Figur führt: die Masse. Nicht ein einziges Mal entsteht der „Jetzt-kommt-der-Chor“-Eindruck, immer sind die Massenszenen narrativ motiviert, sie entwickeln sich musikalisch organisch aus dem Geschehen. Der Frankfurter Opernchor – vor allem der Frauenchor – ist groß im Ton, beweglich in der Aktion, und absolut sauber im Klang: ein einziger Rausch. Dazu liefert das Orchester eine Filmmusik, die vor allem gut zu den Bildern passt.
Ildebrando Pizzettis Oper „Murder in the Cathedral“ hat bislang niemandem wirklich gefehlt. Ihre Geschichte, vordergründig eine religiöse Angelegenheit, ist einfach, nicht sonderlich spektakulär, aber psychologisch ganz gut ausleuchtbar: es ist eine Geschichte jener Angst, die der Katastrophe unheilvoll den Weg bereitet. Und es ist auch die Geschichte einer Versuchung: der Versuchung, ein Märtyrer zu sein, um sich größer zu machen, als man ist. Darum besteht kein Zweifel: Keith Warner hat dieses Werk mit seiner Frankfurter Produktion veredelt, er hat es mit seinen Bildern geadelt, der Frankfurter Chor, die Sängerinnen und Sänger, das Orchester haben Warners große Geste aufgegriffen. Nur darum konnten sie wirklich Großes daraus machen.
Es ist eine Show der suggestiven Bilder: Keith Warner, der an der Oper Frankfurt mit seinen Arbeiten aus den vergangenen Jahren einen speziellen magischen Realismus für dieses Haus kreiert hat, setzt Pizzettis Oper mit einem spektakulären Bild in Gang, als wäre es ein Film, der langsam von der Spule läuft. Ein schwarzer Gazevorhang hebt sich, eine riesige Holztreppe schwebt vom Schnürboden herab und teilt den Raum mit einer exakt bemessenen Diagonalen. Der Bass John Tomlinson schreitet diese Dachbodentreppe herab, wie ein Geist dem Himmel entsteigt: sein weißes langes Haar, sein dichter weißer Bart – es ist, als wäre Gott zu Besuch auf Erden.
Von da ab ist es nicht nur eine Show der Bilder, sondern es ist auch eine John-Tomlinson-Show. Der Sänger hat sich die Figur des Thomas Becket wie eine zweite Haut übergestreift. Alles, was Tomlinson in den nächsten 90 Minuten auf der Bühne macht – das Segnen der Frauen, das Tragen des Büßerhemdes, die Selbstkasteiung, seine Auslieferung an die Häscher, sein Sterben – ist so unzweifelhaft echt, aufregend, affektuös wie in einem Film, der einen magisch in sich hineinzieht, bei dem man in die Fiktion eintritt wie ein Miterlebender. Der Sänger-Guru John Tomlinson ist ein Bühnenwüter, kein Posenverkäufer, sondern ein aufmerksamer Schauspieler, ein kraftvoller, rau timbrierter, sonor-bauchiger Sänger, der das ist, was er tut, der nie spielt, dass er spielt, der seinem Körper den Vorrang lässt, nicht der Stimme – manchmal gerät das zum Nachteil in der Intonation. Trotzdem spielt und singt er die anderen nicht an die Wand.
Denn da sind Warners Bilder: magisch, illusionistisch, hochsymbolisch – Bilder, die immer auf verschiedenen semantischen Ebenen funktionieren. Der Zuschauer ist in einer Warner-Inszenierung stets damit beschäftigt, alle Details dieser Bildarchitektur zu dekodieren. Für Pizzettis Canterbury-Oper lässt Warner einen tiefen Bühnenkasten bauen: den hängt er schräg in den lichtlosen Raum, in den auch die zahlreichen Öffnungen – Schiebetüren, Fenster? – an den Seiten kein Licht bringen. In diesem Zwitterraum, der Bunker, Kirchenschiff und militärisches Quartier zugleich ist, gibt es kein Oben, kein Unten. Dieser changierende, vieldeutige Raum (Bühne: Tilo Steffens) ist Basis der Warner’schen Illusionskunst, hinzu kommen die Requisiten. Warner benutzt Requisiten immer antizipierend, nie illustrativ: damit schafft er extrem effektvolle Pointen.
Eine solche gelingt ihm in dieser Frankfurter Produktion zweifellos mit dem lebensgroßen Menschenherz, das eine Maschine täuschend echt pulsieren lässt, lange bevor einer der Ritter dem Bischof Thomas Becket das Herz aus dem Leib schneidet. Dieses Herz raubt einem schier den Atem. Wie auch der lebendig werdende Jesus, der plötzlich vom lebensgroßen Kreuz steigt, das er dem Geistlichen in die Arme und in den Schoß drückt. Da wird man schier vom Schlag getroffen, weil Warner hier mit so fantastischen, frappierenden Illusionen arbeitet. Der Moment der Entzauberung ist dabei so punktgenau gesetzt, so schnell, wie ihn sonst nur der Filmschnitt erzielen kann.
Dass Keith Warner wiederum das Werk durch seine Bilder nicht an die Wand spielt, liegt an der Musik. Ildebrando Pizzetti schreibt nämlich eine Choroper: der Chor ist omnipräsent in diesem Stück. Pizzetti komponiert große, brachial ausbrechende Chöre, die er dramaturgisch wie eine eigenständige Figur führt: die Masse. Nicht ein einziges Mal entsteht der „Jetzt-kommt-der-Chor“-Eindruck, immer sind die Massenszenen narrativ motiviert, sie entwickeln sich musikalisch organisch aus dem Geschehen. Der Frankfurter Opernchor – vor allem der Frauenchor – ist groß im Ton, beweglich in der Aktion, und absolut sauber im Klang: ein einziger Rausch. Dazu liefert das Orchester eine Filmmusik, die vor allem gut zu den Bildern passt.
Ildebrando Pizzettis Oper „Murder in the Cathedral“ hat bislang niemandem wirklich gefehlt. Ihre Geschichte, vordergründig eine religiöse Angelegenheit, ist einfach, nicht sonderlich spektakulär, aber psychologisch ganz gut ausleuchtbar: es ist eine Geschichte jener Angst, die der Katastrophe unheilvoll den Weg bereitet. Und es ist auch die Geschichte einer Versuchung: der Versuchung, ein Märtyrer zu sein, um sich größer zu machen, als man ist. Darum besteht kein Zweifel: Keith Warner hat dieses Werk mit seiner Frankfurter Produktion veredelt, er hat es mit seinen Bildern geadelt, der Frankfurter Chor, die Sängerinnen und Sänger, das Orchester haben Warners große Geste aufgegriffen. Nur darum konnten sie wirklich Großes daraus machen.