Gorny: Berlin ist keine Pop-Hauptstadt

Moderation: Dieter Kassel |
Der Vizechef von MTV Networks Europe und Mitbegründer der PopKomm, Dieter Gorny, hält die Konzentration der Popszene in Berlin für eine zwangsläufige Folge des Umzugs der politischen Macht von Bonn nach Berlin. Dennoch sei auch durch den Umzug der von ihm gegründeten Popmesse von Köln nach Berlin die Hauptstadt nicht zu einer „Pophauptstadt“ geworden.
Dieter Kassel: Die Popkomm beginnt offiziell erst morgen früh und deshalb ist Dieter Gorny, mit dem wir eigentlich schon vor zehn Minuten reden wollten, auch noch gar nicht in Berlin, sondern noch in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Da haben wir ihn aber jetzt erwischt und wir werden gleich mit ihm reden.

Dieter Gorny, richtig, der Erfinder der Popkomm und der Erfinder von Viva und inzwischen ist er, was auf Deutsch fast ein bisschen banal klingt, der Vizechef von MTV-Europa. Auf Englisch klingt das viel doller, da ist er nämlich Executive Vice President von MTV Network Europe. Schönen guten Morgen, Herr Gorny!

Dieter Gorny: Hallo, guten Morgen!

Kassel: Sie stehen, ich erkläre das mal für die Tonqualität, weil wir ein bisschen uns missverstanden hatten, wann wir eigentlich miteinander reden wollten, jetzt auf einer Autobahnraststätte in Düsseldorf. Dass es Düsseldorf ist, lasse ich mal ganz unkommentiert, aber, Herr Gorny, wenn Sie sich denn irgendwann jetzt mal doch auf den Weg nach Berlin machen wegen der Popkomm, haben Sie dann das Gefühl, Sie fahren in die deutsche Pop-Hauptstadt?

Gorny: Ich fahre in die deutsche Hauptstadt und damit sind wir auch bei einem der Gründe, warum vieles von dem, was im Beitrag vorher beschrieben wurde, sich in die Berliner Richtung bewegt. Es war immer klar, wenn sich das politische Zentrum der Macht von Bonn nach Berlin verlagert, dann wird sich um diese Tatsache herum automatisch Kultur, Medien und ähnliches mehr ansiedeln und daraus entstand dann tatsächlich dieser Trend, der unter anderem auch zu den eben beschriebenen Ergebnissen geführt hat.

Also Hauptstadt des Pops glaube ich nicht unbedingt, denn vieles von dem, was da prognostiziert wurde, ist ja denn doch nicht eingetreten. Beispielsweise hat sich die Musikindustrie immer noch nicht komplett in Berlin versammelt. Im Gegenteil, Warner hat sich weiterhin entschieden, in Hamburg zu bleiben, die EMI sitzt immer noch in Köln. Universal und Sonymusic BMG sind nach Berlin gegangen, aber die Hälfte von Sonymusic BMG ist dann auch wieder nach München gegangen. Also Hauptstadt ja, kultureller und kreativer Magnet ja, ein extrem kreatives Umfeld, Popkommsitz dort ja, aber nicht Pop-Hauptstadt.

Kassel: Gerade dieses kreative Umfeld, das Sie jetzt erwähnt haben, Herr Gorny, das kann theoretisch auch Nachteile haben. Ich zitiere jetzt mal Uwe Viehmann, der Chefredakteur der Musikzeitschrift „Spex“, die auf Grund des Protests der Redaktion im Moment noch in Köln ist und vielleicht auch umziehen wird. Chefredakteur Viehmann hat gesagt: „Berlin saugt alle Kreativität auf und spuckt 80 Prozent davon wieder in den Rinnstein“. Das klingt ja nicht so doll. Hat der Mann Recht?

Gorny: Teils teils, hart gesprochen muss man sagen, dass natürlich, das wissen wir alle, die wirtschaftliche Situation in Berlin angespannt ist, die Arbeitslosigkeit hoch ist. Andererseits clustern – das ist ja ein sehr modisches Wort – sich natürlich derartige kreative Wirtschaftsbereiche sehr gerne im Gegensatz zu der allgemeinen These, „wenn ich ein Laptop habe und es gebrauche, kann ich von überall arbeiten“, ist dem nicht so und gerade in Berlin gibt es natürlich einen entsprechenden kreativen Humus, ein entsprechendes Umfeld für eben diese Szenerien und Wirtschaftsbereiche. Ob man dann, wenn das so ist, in diesem Umfeld seine kreativen Pflanzen auch zum Blühen bringen kann, im Sinne des Humus, das ist natürlich eine ganz andere Frage und deshalb hat er Recht, weil auch viele Leute, die begeistert-euphorisch nach Berlin gegangen sind, um sich selbstständig ihr Glück zu bauen, oftmals auch enttäuscht wieder zurückgehen, weil die Arbeitsbedingungen natürlich nicht die besten sind. Aber kreativ gesehen boomt die Stadt.

Kassel: Aber was Sie jetzt gesagt haben, ist natürlich etwas Erstaunliches, wenn man es von jemandem wie Ihnen hört, denn andere Leute sagen, das ist so was von egal, wo irgendjemand heutzutage sitzt. Nehmen wir einen Hit wie „Crazy“ von Gnarls Barkley, hat die „Welt“ drüber berichtet, wir auch, war ein Downloadhit, bevor es das auf Platte gab, da ist es ja eigentlich Wurst, wo die Leute sitzen, die das machen. Immer mehr Musik wird nicht nur im Computer gemacht, sondern wird dann populär gemacht übers Internet. Braucht man überhaupt noch diese kreativen Zentren auf der wirklichen Landkarte?

Gorny: Ja, das ist auch eher ein Ausspruch aus der Negroponte-Ära. Wir wissen mittlerweile auch durch universitäre Forschung, dass sich gerade diese digital basierenden Industrien – das ist ja mittlerweile Musik, Film, Medien, das ist natürlich auch das Internet, Software- eben analog gesehen clustern. Es gibt viel Forschungen darüber, die deutlich machen, dass diese Bereiche nicht irgendwo vereinzelt entstehen, sondern tatsächlich, ich sage es mal bewusst so, durch analog-biologische Zusammenschlüsse. Will sagen: Da wo ein entsprechendes Umfeld für Menschen ist, dort zu arbeiten, da werden dann auch die Laptops massiert, intensiv aufgeklappt.

Kassel: Also einfacher ausgedrückt, egal mit wem jemand aus der Musik oder sonstigen Branche tagsüber im Büro, übers Internet kommuniziert, es ist immer noch wichtig, mit wem man abends in der Kneipe sitzt.

Gorny: Ganz genau.

Kassel: Kommen wir mal auf Köln, denn das ist ja auch die Frage, die Jungs von „Spex“, seien wir mal ehrlich, meckern ja auch rum, weil einem das ja auch ein bisschen auf die Nerven gehen kann, dass immer alle nach Berlin wollen. Wie schlimm ist es denn für Köln – die EMI ist noch da, einer der größten Plattenkonzerne der Welt – aber wie schlimm ist es für Köln, dass einiges doch weg ist, wie zum Beispiel die Popkomm?

Gorny: Ich hab schon den Eindruck, dass das der Stadt weh tut. Das hat aber auch sehr viel damit zu tun, Sie haben das eben an dem Stockhausen-Beispiel recht deutlich gemacht, dass man ganz sachlich betrachtet – was übrigens in dieser Branche immer ein Problem ist, weil sie natürlich sehr emotional ist, weil sie Emotionen verkauft – also ganz sachlich betrachtet, Köln eigentlich nie die Musikstadt war, das war eigentlich Hamburg. Hamburg hatte, bis Berlin kam, die höchste Massierung an Musikindustrie und das Beispiel Irmin Schmidt und Can und Stockhausen zeigt sehr deutlich: Dass etwas irgendwo passiert, hat mit Personen zu tun und deshalb sind diese Entwicklungen auch immer zyklisch.

Köln hatte tatsächlich seinen Peek unabhängig von Hamburg und aus bestimmten Gründen, Hauptstadtverlagerung, aber auch aus den Gründen, dass die Protagonisten dieses Peeks, die in den 60ern, 70ern, Leute wie Stockhausen oder Can, die das vorbereitet haben, irgendwann einfach nicht mehr da sind, schlicht weil sie alt werden und weil nicht automatisch Nachwuchs kommt, deshalb sind diese zyklischen Entwicklungen in diesem Umfeld völlig normal. Wenn man sie akzeptiert und dann sieht, wo man aus der Schwäche neue Stärken entwickeln kann, muss das nicht von Nachteil eines Umfelds wie Köln sein.

Kassel: Kurz zum Schluss Herr Gorny, bevor wir Sie von Düsseldorf aus weiter fahren lassen. Man stellt sich natürlich die Frage, Dieter Gorny, wohnt der in Berlin, Köln oder wegen MTV-Europe vielleicht sogar in London. Wohnen Sie eigentlich immer noch in Essen?

Gorny: Ja, ich arbeite massiv in London. Habe immer noch auch ein Büro in Köln, aber bin patriotisch intensiver Ruhrgebietler und wohne jetzt seit gut 20 Jahren in Essen und seit 40 Jahren im Ruhrgebiet. Daran ändert sich nichts.

Kassel: Ha, so groß ist die Sogkraft von Berlin dann auch nicht. Dieter Gorny, Gründer von Viva und der Popkomm und jetzt Vizechef von MTV-Europa, am Telefon im Deutschlandradio Kultur, live von der Autobahnraststätte in Düsseldorf.
Mehr zum Thema