Rehasport

Golfen auf Rezept

07:11 Minuten
Ein Golfspieler locht auf einem Golfplatz in Köln den Golfball ein.
Kleine Bälle, große Wirkung: Seit 2022 ist Golf offizieller Rehabilitationssport in Deutschland. © dpa / picture alliance / Christin Klose
Von Wolfgang Weber · 27.02.2022
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Sport tut gut, auch und vor allem nach Verletzungen. Bislang mussten Reha-Kurse in geschlossenen Räumen stattfinden. Seit Anfang 2022 sind sie auch im Freien möglich. Das eröffnet neue Möglichkeiten – zum Beispiel für Reha auf dem Golfplatz.
Intensivtraining auf der Driving Range der Golfanlage von Prenden nordöstlich von Berlin. Mit schweren Stahlkugeln, sogenannte Kettlebells, bringt Übungsleiter Michael Helbing seine Lehrgangsteilnehmer ordentlich ins Schwitzen. Die zwölf, die da teilweise außer Atem geraten, sind freilich keine normalen Golfschüler, sondern selbst erfahrene Golftrainer aus ganz Deutschland, von Apeldör in Holstein bis Rosenheim im oberbayerischen Chiemgau.
Sie alle sind von weither angereist, um sich in einem einwöchigen Pilot-Lehrgang in Theorie- und Praxis in das für sie neue Thema Rehabilitationssport einzuarbeiten – und um als Erste ihrer Zunft praktischen Nutzen zu ziehen aus den am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen neuen Bestimmungen für den Rehasport in Deutschland. Denn die ermöglichen etwas, das es bislang noch nie gab: Golfen auf Verschreibung vom Arzt. 
Thomas Roth, Berliner Mediziner und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands RehaSport Deutschland (RSD):

Seit 2001 haben Patienten, insbesondere solche mit schweren orthopädischen oder Herzproblemen, nach einem Klinikaufenthalt einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Rehabilitationssport. Das heißt, vom Arzt verschriebener Rehasport wird grundsätzlich von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt.

Thomas Roth, Vorstandschef des Bundesverbandes RehaSport

Rund 1,6 Millionen Deutsche nehmen jedes Jahr – im Anschluss an einen Klinikaufenthalt – an einer vom Arzt verschriebenen Rehasport-Maßnahme teil. Tendenz steigend. Gut 95 Prozent aller Rehasport-Verschreibungen mündeten bislang in einem Gymnastikraum – und in Gruppenübungen, die von sehr vielen Teilnehmern als eher „uncoole“ Pflichtaufgaben eingestuft wurden. Genau das soll sich ab Anfang 2022 ändern:
Zu Jahresbeginn traten neue Ausführungsbestimmungen für den Rehabilitationssport in Kraft.

Auch Nordic Walking ist jetzt Rehasport

Die wichtigste Neuerung: Ab sofort ist es erlaubt – und gewollt –, Rehasport auch komplett unter freiem Himmel auszuüben, beispielsweise in Form von Nordic Walking oder eben auch als Golftraining. 
Längst überfällig, findet Stefan Quirmbach, langjähriger Präsident der Professional Golfers Association (PGA) of Germany und einen der bekanntesten Golflehrer Deutschlands. Für ihn "entbehrte es jeder Logik, dass Sport nach den bisher geltenden Regeln nur dann rehafähig sein konnte, wenn er in einer Halle bzw. in einem geschlossenen Raum durchgeführt wurde.“
In seiner Golfschule im niedersächsischen Hardenberg bei Göttingen arbeitet Quirmbach schon seit vielen Jahren mit Orthopäden, Sportmedizinern und Reha-Kliniken zusammen. Und er weiß:

Golf ist von den Bewegungsabläufen sehr anspruchsvoll. Über 120 Muskeln gilt es zu bewegen. Man muss Balance und Rhythmusgefühl lernen und am Ende den Ball kraftvoll schlagen – und sich nicht zuletzt einige Kilometer zu Fuß über den Golfplatz bewegen. Somit wird alles erfüllt, was die Ärzte für den Rehasport fordern.

Stefan Quirmbach, Präsident der Professional Golfers Association

Sport auch über die Reha hinaus

Exakt deshalb ist auch Thomas Roth vom RehaSport-Verband zu einem Fan des Golfsports geworden. „Sinn und Zweck des Rehasports ist es letztlich, Menschen zu bewegen und zum dauerhaften Sporttreiben zur Stärkung ihrer Gesundheit zu motivieren. Im Idealfall findet man eine Sportart, die dem Rehapatienten auch Spaß macht – möglichst für den Rest seines Lebens", sagt Roth.
"Die Krankenkassen bezahlen im Prinzip eine Art Basis-Kombinationstraining zur Stärkung der sogenannten motorischen Grundeigenschaften Kraft, Ausdauer, Flexibilität und Koordination. Wenn aber der Patient während der normalerweise 50 Rehasport-Einheiten, die von der Krankenkasse bezahlt werden, eine Sportart kennenlernt, die er mag und dauerhaft weiter ausüben will, ist das völlig okay und auch im Interesse des Gesetzgebers und der Kassen. Denn dann haben alle gewonnen.“
Thomas Roth, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands RehaSport Deutschland (RSD)
Thomas Roth, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands RehaSport Deutschland, ist Anhänger des Golfsports.© Bundesverband RehaSport Deutschland
Ein Gewinner ist schon jetzt der Prendener Diplom-Golflehrer Michael Lins. Selbst Sportwissenschaftler, befasst er sich schon seit Jahren intensiv mit dem Thema Rehabilitationssport – in Form einer Langzeitstudie mit Herz-Kreislauf-Patienten in Kooperation mit einer Brandenburger Rehaklinik.

Studie: Golfsport ist attraktiver als Gymnastik

Ergebnis: Golfunterricht wird von den allermeisten Teilnehmern als viel attraktiver und spannender empfunden als die bislang übliche Gymnastik. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer war nach mehr als einem Jahr noch aktiv und ist dem Golfsport treu geblieben – nunmehr ganz ohne Verschreibung vom Arzt und auf eigene Kosten.
Kann Rehasport für die gut 700 Golfclubs und -resorts zwischen Ostseeküste und Alpenrand also auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu einem bedeutsamen Faktor werden? Michael Lins ist davon überzeugt:
„Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass auf mindestens der Hälfte aller Golfanlagen Rehasport angeboten wird. Aber mein Ziel wäre, 80 Prozent der Anlagen zu erreichen.“

Schmerzfreiheit statt Platzreife ist das Ziel

Er warnt jedoch vor falschen Erwartungen. Bei Golf als Rehasport gehe es einzig und allein um die Stärkung der Gesundheit der Reha-Patienten, betont Lins – und nicht etwa darum, auf Krankenschein die Platzreife zu erwerben oder sein Handicap zu verbessern. Und auch nicht in erster Linie darum, misslungene Schläge – in der Golfersprache „Slices“ oder „Hooks“ genannt – auszumerzen.
„Mein normaler Golfschüler kommt zu mir und klagt, ‚ich hab ‚nen Slice". Der Rehasportler kommt zu mir, und der hat‘s im Rücken. Im Idealfall sind nach der Reha die Rückenschmerzen weg – und der Slice ebenfalls.“

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