"Goldene Morgenröte"

Scharfe Abrechnung

Logo der griechischen Partei "Goldene Morgenröte" über der Eingangstür des Büros in Athen
Logo der griechischen Partei "Goldene Morgenröte" über der Eingangstür des Büros in Athen. © picture alliance / dpa / Michael Anhaeuser
Von Winfried Dolderer · 09.06.2014
Das Buch beschäftigt sich mit dem Aufstieg der griechischen Partei "Goldene Morgenröte". Es spannt den Bogen von den politischen Anfängen des Parteigründers im Umfeld der früheren griechischen Militärdiktatur bis zum Einzug ins Parlament im Krisenjahr 2012.
Die drei jungen Männer, Mitglieder einer linken Organisation, hatten keine Chance. Blitzartig stürmte der "Stoßtrupp" das Café, in dem sie sich niedergelassen hatten. Gnadenlos droschen die etwa zehn Angreifer mit Knüppeln auf ihre Opfer ein. Einer der Überfallenen, Dimitris Kousouris, wurde im Koma ins Krankenhaus eingeliefert. Er überlebte mit knapper Not dank einer komplizierten Schädeloperation.
Neofaschistische Partei
Dem Vorfall vor dem Athener Gerichtsgebäude am 16. Juni 1998 misst der Autor Dimitris Psarras besondere Bedeutung bei. Denn es war der erste Fall rechtsextremer Gewalt, in dem zumindest einer der Täter identifiziert und - wenn auch erst neun Jahre später - rechtskräftig verurteilt wurde: Es war Antonios Androutsopoulos, stellvertretender Generalsekretär der neofaschistischen Partei Chrysi Avgi, zu Deutsch: Goldene Morgenröte. Unter dem Kriegsnamen "Periandros" hatte Androutsopoulos vorher schon Manifeste in der reinsten Diktion eines Hitler oder Goebbels geschrieben:
"Der Fanatismus ist ein bedeutendes Gefühl. Er treibt dich in die Begierde, dem Gegner wieder und wieder Schläge zu versetzen, das Mitgefühl auslöschend, wenn dieser scheinbar besiegt um Gnade bittet. Der Fanatismus schenkt Geduld, Beharrlichkeit und Raserei nach Rache, das Warten auf den Tag, an dem die Feinde unseres Vaterlandes und unserer Rasse bestraft werden."
Der Parteifreund Ilias Kasidiaris, Sprecher der "Goldenen Morgenröte" und seit 2012 im griechischen Parlament, setzt solche Worte auch vor laufender Kamera in die Tat um. In einer Talkshow schlug er auf eine linke Parlamentarierin ein, die ebenfalls zu Gast war.
Einzug ins Europaparlament
Inzwischen ist die Goldene Morgenröte mit ihrem bisherigen Rekordergebnis ins Europaparlament eingezogen: mit mehr als neun Prozent. Unter Europas Rechtsparteien ist sie eine Ausnahmeerscheinung. In der Regel verwahren sich rechte Populisten mittlerweile entschieden dagegen, mit dem historischen Faschismus in Verbindung gebracht zu werden. Nicht einmal von der deutschen NPD ist ein so deutliches, und noch dazu öffentliches Bekenntnis zum Nationalsozialismus zu hören wie von der Goldenen Morgenröte. Ihr gilt Adolf Hitler als Lichtgestalt und "Visionär des neuen Europa":
"In unseren Herzen schwillt der Glaube an die Worte des Führers, ihm werde in ein, zwei Generationen Gerechtigkeit getan werden. Der Sieg wird unser sein. Ein Sieg, der die nationalsozialistische Schöpfung bedeutet und die Vernichtung des Giftes der Völker, des internationalen Judentums."
Bezug auf griechische Antike
Ideologisch wie strukturell ist die Goldene Morgenröte eine Kopie der NSDAP. Innerparteilich gilt das Führerprinzip. Die rassistische Rhetorik richtet sich dem historischen Vorbild folgend gegen Juden im Allgemeinen, insbesondere aber gegen Migranten in Griechenland. Albaner, Türken, Afrikaner – sie werden von Anhängern der Partei mit pogromartiger Gewalt überzogen. Wie die Nationalsozialisten sich am germanischen Altertum inspirierten, bezieht sich die Goldene Morgenröte auf die griechische Antike.
Den Hitlergruß leitet sie von den alten Dorern her, die auf diese Weise die aufgehende Sonne verehrt hätten. Der Militärstaat Sparta gilt als Modell einer rassenrein arischen Gesellschaft. Am Denkmal des Spartanerkönigs Leonidas, der sich mit 300 Kriegern im Kampf gegen die Perser am Thermopylen-Pass geopfert hat, finden alljährlich nationalistische Kundgebungen statt. Das angeblich "jüdische" Christentum soll durch die Rückbesinnung auf den altgriechischen Götterhimmel überwunden werden. Zwar pflegt die Partei auch die Nähe zu nationalistischen Kreisen der orthodoxen Kirche, doch allenfalls im Sinne eines heidnisch-christlichen Synkretismus.
"Wir sehen in der süßen Gestalt der allheiligen Maria die Pallas Athene. Wir sehen im Weihnachtsfest den Tag der Unbesiegbaren Sonne, im Auferstehungstag nicht das jüdische Osterfest, sondern das Blumenfest zu Ehren von Dionysos."
Erfolg beginnt im Krisenherbst 2010
Dimitris Psarras spannt in seinem Buch den Bogen von den politischen Anfängen des Parteigründers und Führers Nikolaos Michaloliakos im Sympathisantenumfeld der früheren griechischen Militärdiktatur vor fast vier Jahrzehnten bis zum Einzug ins Parlament im Krisenjahr 2012.
Die Goldene Morgenröte bestand seit 1980 als Zeitschrift mit angeschlossenem faschistischem Debattenzirkel. Seit Anfang der Neunziger auch als Partei. Fast zwei Jahrzehnte ohne Erfolg. Wahlergebnisse von knapp über null bis knapp über einem Prozent waren die Regel. Dann kam der Krisenherbst 2010: Bei den Kommunalwahlen erzielte die Goldene Morgenröte in der Hauptstadt 5,3 Prozent. Parteichef Michaloliakos zog mit Hitlergruß in den Athener Stadtrat ein. Bei den beiden Parlamentswahlen des Jahres 2012 gewann die Goldene Morgenröte im Mai und Juni jeweils knapp sieben Prozent. Ihr Anführer erhielt eine Audienz beim Staatspräsidenten. Autor Psarras warnt:
"Es gibt keinen Zweifel, dass wir in Griechenland das erste Mal vor der Formung einer tatsächlichen neofaschistischen Partei mit Massenbasis stehen."
Wer ist schuld? Das Buch enthält eine scharfe Abrechnung mit Staat und Gesellschaft in Griechenland. Versagt – so Psarras – haben Politik, Justiz, Polizei. Nicht zuletzt die Medien, die sich den faschistischen Wortführern bedenkenlos als Podium angedient hätten. Von den zahllosen blutigen Gewalttaten gegen Migranten und Anhänger der Linken hätten nicht mehr als ein Prozent, höchstens zwei, die Gerichte beschäftigt. Vielfach habe die Polizei sich schlicht geweigert, zu ermitteln. Mehr noch: Psarras spricht von einer Kumpanei zwischen Ordnungskräften und rechten Schlägern, die mehrfach gemeinsam gegen linke Demonstranten und Migranten vorgegangen seien.
Lesart-Cover: Dimitris Psarras "Neofaschisten in Griechenland. Die Partei Chrysi Avgi"
Cover: Dimitris Psarras "Neofaschisten in Griechenland. Die Partei Chrysi Avgi"© Laika Verlag
Die Partei als kriminelle Vereinigung
Psarras hat sein Buch 2012 fertiggestellt, erst jetzt liegt die deutsche Übersetzung vor. In der Zwischenzeit haben Chrysi-Avgi-Anhänger den linken Rapper Pavlos Fyssas ermordet, erstmals keinen Migranten, sondern einen Griechen. Seither wird gegen die Partei als kriminelle Vereinigung ermittelt. Der Teilnahme an der Europawahl stand dies nicht in Wege.
Der Laika-Verlag, der die deutsche Fassung herausgegeben hat, ist ebenso wie der Autor im linken Spektrum beheimatet. So handhabt er eine traditionell marxistische Faschismus-Analyse: Chrysi Avgi als Büttel der Herrschenden. Insgesamt hat Psarras eine materialreiche, gründlich recherchierte Studie vorgelegt. Man liest sie mit Gewinn.

Dimitris Psarras: Neofaschisten in Griechenland - Die Partei Chrysi Avgi
Laika Verlag Hamburg, 215 Seiten, 19 Euro (Ebook 15,45 Euro)

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