Originalton: Through my eyes (6)

Wenn man Deutsche aus Fleisch und Blut trifft

Zwei Männer unterhalten sich in Berlin-Barnim am Sonntag (04.04.2010) an dem sogenannten "Berliner Balkon" (57m ü.NN) vor einem farbenprächtigen Abendhimmel.
Zwei Männer unterhalten sich an dem sogenannten "Berliner Balkon" vor einem farbenprächtigen Abendhimmel. © picture-alliance / dpa / Arno Burgi
Von Amichai Shalev · 09.05.2015
In der Rubrik "Originalton" schildern diese Woche israelische Autorinnen und Autoren ihre Sicht auf Deutschland. Der in Israel aufgewachsene Autor Amichai Shalev hat in Deutschland entdeckt, dass nicht alle Menschen hierzulande kleine Teufel mit Schnauzbart sind.
Wenn man in Israel aufwächst, bedeutet Deutschland erst einmal Hitler und Holocaust. Man lebt in dieser Welt wie nach einer Gehirnwäsche. Dort gibt es das absolut Böse, wie Hitler, hier das absolut Gute, das ist man selbst und alles Jüdische. Klar haben wir noch andere Feinde, die Araber zum Beispiel. Aber deren Image ist nicht ganz so übel, die sind irgendwo dazwischen.
Es ist wie in Comics: Es gibt Supermann und Supermanns Feinde. Diese Welt ist schwarzweiß. Wird man älter, ein Teenager, versteht man die Zusammenhänge besser, die Welt verändert sich für einen durch die Alltagskultur.
Wenn ein Israeli nach Deutschland kommt, aktiviert er seinen schwarzen Humor. Alles kann jetzt ein Symbol sein, Züge, Kartoffeln, die deutsche Sprache. Aber ich glaube, Deutschland ist in unserem Kopf noch etwas anderes. Am schmerzhaftesten ist es, an Auschwitz zu denken und an die Todeslager – und nicht an Berlin und an das Deutsche. Das sind zwei Dinge. Natürlich hängen sie zusammen, aber ich muss einfach den Blick weiten. Dinge ändern sich, wenn man mehr über die Geschichte weiß, und mehr über die Gegenwart erfährt und Deutsche aus Fleisch und Blut trifft. Dann begreift man, es sind nette Leute, nicht kleine Teufel mit Schnauzbart.
Übersetzt von Carsten Hueck

Amichai Shalev, geboren 1973 in Holon, lebt als Schriftsteller, Lektor, Herausgeber und Kritiker in Herzliya. Er veröffentlichte die Romane "Tage des Pop", "Die Übergeschnappten", "Großes Mädchen" sowie den Essay "Über Subversion" und gab mehrere Anthologien heraus. Er arbeitet als Verlagslektor beim Am Oved Verlag, unterrichtet Kreatives Schreiben an verschiedenen Universitäten und erhielt 2012 den Prime Minister Award für Literatur. Im Frühjahr veröffentliche er gemeinsam mit dem deutschen Auitor Norbert Kron im S.Fischer Verlag eine Anthologie deutscher und israelischer Schriftsteller der "Dritten Generation" : "Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen"

Der Text im Original:
When you grow up in Israel, the first thing you learn about Germany is Hitler and the Holocaust. And you are living in a world, when they brain-washed you: There is a bad, an absolute bad, evil, like Hitler, and there is absolute good like you and the Jewish. Of course, we got other enemies, as you know: the Arabs. But they didn't were so bad imagely. There was like something in between. It is like in comics: Where you got Superman and his enemies. The world is black and white. When you grow up a little bit, and you are starting to understand the world better, popular culture has a great, a great influence about changing and the world of a teenager, of young people.
When you land in Germany, an Israeli, you get your sense of humour, your black humour. Everything can be a symbol: trains, potatoes, German language. But still I think: in our mind Germany is some else. Emotionally, the most painful thing is to think about Auschwitz and all the death camp, not Berlin themselves and the Germans. I think it is still different things, of course connected, but I need to invest more. I think things are trying to change, when you know more about history and about present times and you meet Germans. Flesh and blood. And you see, they are nice people and not evil with little moustache and so.

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