Eine Frage der Macht

Von Barbara Wiegand · 28.06.2011
Seit 1994 ist die "Rohkunstbau" eine feste Größe im Ausstellungskalender. 2011 findet das nach dem ersten Ausstellungsort, einer Rohbauhalle, benannte Projekt bereits zum dritten Mal auf Schloss Marquardt bei Potsdam statt. Thema in diesem Sommer: die "Macht".
Es tuckert, jault, röhrt zum Empfang auf Schloss Marquardt. Und man hat ein bisschen das Gefühl, in einer Autotuning Werkstatt, statt in einem Herrenhaus zu sein.

"Ja, das wurde ausgeliehen von Bugatti. Das hat 1001 PS – und das ist gut."

Die bulgarische Künstlerin Mariana Vassileva setzt gleich zu Beginn der Ausstellung einen machtvollen Akzent – als kraftvollen Inbegriff moderner Technik hat sie einen Original Bugatti Motor in der holzvertäfelten Eingangshalle des Schlosses postiert. Silbern funkelt der ausgebaute Motorblock – ein Sinnbild der Geschwindigkeit, das mit jedem Vollgas Schub das historische Gebäude geräuschvoll in die Gegenwart holt

"Hat denn Macht eigentlich nur negative Substanz? Das ist auch die Frage. Als ich Kind war, bin ich bei meinen Großeltern aufgewachsen, und die Geschwindigkeit hat mich so verändert. Weil ich gesehen habe, wie der Asphalt kam, wie die Pferde mit dem Mähdrescher ausgetauscht wurden. Das alles in kurzer Zeit. Alle waren fasziniert in dieser Zeit von der Dynamik der Geschwindigkeit. Aber natürlich. Jede Sache hat das positive und das negative. Ein schneller Motor kann uns von A nach B bewegen, aber man kann auch genauso einen Unfall bauen."

Neben Vassileva nutzen neun weitere Künstler die märchenhaft verwunschene Atmosphäre des neobarocken Schlosses als reizvolle Bühne für ihre Inszenierungen zur Macht. Sie sind der Auftakt zu einem insgesamt vierteiligen Zyklus - frei nach Wagners Ring des Nibelungen. Arvid Boellert, Mitbegründer des Rohkunstbaus:

"Es ist der erste Teil eines Rohkunstbauringes zu den Themen Macht, Moral, Revolution und Untergang. Wir haben uns ein bisschen inspirieren lassen von Wagners Ring des Nibelungen. Und wenn man sich das Rheingold genau anschaut, da geht es eigentlich hauptsächlich um Machtsymbole. Alberich, der unter der Entsagung von Liebe aus dem Rheingold, das er gestohlen hat, einen Ring formt, und dann suggeriert, dass in diesem Ring die einzige Macht liegt. Es geht auch in dieser Ausstellung darum, für die Künstler etwas zu zeigen, was ihrer Arbeit ja immer innewohnt: Das Transformieren. Die Künstler wie Alberich, schaffen aus dem Nichts, dem Bedeutungslosen etwas sehr Bedeutungsvolles."

So findet man auf Schloss Marquardt Anklänge an die Saga. Sieht vielleicht in dem Mann, der sich im Film von Simon Faithfull unter Wasser vorwärts kämpft, den kleinen Alberich, auf der Suche nach dem Rheingold. Doch die Bedeutung des auf dem Meeresgrund in Kroatien gedrehten und anschließend mit dem spärlichen Sound des nahe gelegenen Schlänitzsees vertonten Films reicht über den Wagnerschen Zwerg hinaus, meint Regisseur und Hauptdarsteller Faithfull:

"Es geht um die Macht der Vorstellung. Dass man fähig ist, Dinge zu tun, und sei es nur im Traum. Man kann doch fliegen im Traum, und eben auch unter Wasser gehen."

So loten viele der Künstler die Grenzen der Macht aus. Im Guten wie im schlechten. Im Imaginären und Ungewissen. Faszinierend etwa Christoph Brech mit seinen grobkörnig verschwommenen Filmaufnahmen einer Brücke am Fluss, über die die Menschen ins haltlose Nichts laufen. Werden doch oben und unten im Spiegel der Wasseroberfläche eins. Beeindruckend auch das lange Kupferrohr, das sich durch eine in einem kleinen Raum im Erdgeschoß errichtete Wand bohrt. An der Vorderseite weiß gestrichen, wirkt das Ganze wie ein abstraktes Gebilde. In der pechschwarz lackierten Rückseite spiegeln sich Wände und Türen. Es ergeben sich neue Raumperspektiven, irritierend gedoppelt und schräg. Katinka Pilscheur:

"Ja, so ein Wackelmoment entsteht auch. Weil man sich auch selber spiegelt. Es löst es auch auf, man weiß nicht genau wo das eine anfängt und das andere aufhört."

Das Spiel um Macht und Manipulation unserer Wahrnehmung reduziert Karin Sander nebenan auf nüchterne Zahlencodes. Die mit blauer Farbe an die weiße Wand geschriebenen Formeln sagen uns nichts – der Computer aber kann sie digital als dreidimensionales Abbild des Raumes entschlüsseln. Die Arbeit passt zum angenehm leisen Charakter der Schau. Das Thema Macht bedeutet hier keine spektakuläre Power Präsentation. Manches allerdings ist schlicht plump: Etwa eine aus Bierdosen errichtete, mit Mickeymäusen und Werbebildchen beklebte Säule als simples Sinnbild der Konsumwelt. Oder die Fotos von Mittelstrecken Raketen als Symbol zerstörerischen Machtpotenzials.

Insgesamt aber überzeugt diese Rohkunstbauausstellung – in der Art, wie sich Künstler mit der Macht und all ihren Facetten auseinandersetzen. Zwar bleiben nach dem Rundgang wenig konkrete Botschaften zurück, dafür aber starke, anregende Bilder.
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