Glühend auf dem Weg ins Nichts

Von Stefan Keim · 27.08.2011
Ruhrtriennale-Intendant Willy Decker beschäftigt sich in seinen drei Spielzeiten mit großen Weltreligionen. Am Ende steht nun der Buddhismus. Und es stand außer Frage für den Regisseur, dass er in diesem Zusammenhang "Tristan und Isolde" inszenieren wolle. Dieses Werk sei, wie kein anderes Stück Wagners, mit buddhistischen Gedanken durchtränkt.
Die Argumentation ist nachvollziehbar. Zwar waren im 19. Jahrhundert erst wenige buddhistische Schriften übersetzt, aber Wagner setzte sich damit auseinander, vermittelt auch durch seine Begeisterung für den Philosophen Arthur Schopenhauer, der sich ebenfalls vom Buddhismus begeistert zeigte. Tristan und Isolde wollen eins werden, miteinander verschmelzen, und die bekannt handlungsarme Oper behandelt ihren Weg dorthin, ins Nichts, in die Auflösung. "Ohn´ Erwachen, ohn´ Erbangen, namenlos in Lieb umfangen" singt das Paar in der Liebesekstase des zweiten Aktes. Willy Decker, der selbst praktizierender Zen-Buddhist ist und oft in der Jahrhunderthalle meditiert, verzichtet auf jede Ironisierung oder psychologische Aufrauhung. Er zeigt zwei Menschen auf dem Weg zur Erkenntnis, in die Erleuchtung.

Wallende Gewänder, Räucherstäbchen und lächelnde Buddhas gibt es nicht auf der Bühne. Wolfgang Gussmanns Bühnenbild ist puristisch, abstrakt, erinnert an Fotos von Wieland Wagners Bayreuth-Entrümpelungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwei schwebende weiße Flächen sind am Beginn der Aufführung noch geschlossen. Während Kirill Petrenko, der 2013 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper und den "Ring" in Bayreuth dirigieren wird, schon mit den ersten Takten einen unfassbaren Sog entfacht. Er setzt lange Pausen, dirigiert aus großer Ruhe heraus, lässt die Duisburger Philharmoniker – die sich ohnehin zu einem Spitzenorchester entwickelt haben – in allen Klangfarben leuchten. Trotz prominenter Sängerbesetzung bleibt das Orchester der Star dieser Aufführung, stets aufmerksam, aus dem Geist des Gesangs musizierend, nah am Grundgedanken.

Anja Kampe ist eine hinreißende Isolde. Zunächst verletzt und rachelüstern hat sie die schwere Aufgabe, die für alles Geschehen unabdingbar wichtige Vorgeschichte zu erzählen. Vor allem den Blick, den Tristan ihr zuwarf, als sie ihn, den Mörder ihres Mannes, töten wollte, und der plötzlich alles veränderte. Anja Kampe begeistert mit Natürlichkeit und Dramatik und hat als einziges Requisit ein Schwert zur Verfügung. Willy Decker lässt gar nicht erst eine Ahnung von Naturalismus aufkommen. Auch Brangäne (überragend Claudia Mahnke) trägt nur einen Umhang und einen grauen Koffer bei sich, aus dem sie später den Liebestrank holt. Die Männer überzeugen nicht in diesem Maße. Christian Franz spart als Tristan sich lange auf, was bei dem anspruchsvollen dritten Akt ja verständlich ist, kommt aber auch dann nicht richtig in die Gänge, quetscht die Spitzentöne, singt auf Nummer sicher. Auch Stephen Milling hat als König Marke, dem Tristan Isolde als Braut zuführen soll, gelegentlich ein Problem in der Höhe. Dennoch entsteht zwischen den beiden einer der dichtesten Momente der Aufführung. Marke ist nicht nur davon enttäuscht, dass sein oberster Feldherr ihn verraten hat. Er empfindet selbst tiefe Liebe zu Tristan. Isolde zu heiraten, ist bloß ein Zugeständnis an die Wünsche seines Volkes. Tristan weiß das, tritt auf den König zu, legt ihm die Hand auf die Brust. Ein großer, tragischer Augenblick.

Willy Decker geht ein großes Wagnis ein. Wenn die Sänger bei dieser kargen Inszenierung einmal die Konzentration verlieren, wirken ihre Gesten schnell wie Konvention. Doch über weite Strecken gelingt es, das Glühen zu erhalten, was auch ein Verdienst des wunderbaren Kirill Petrenko ist. Es verwundert, dass Willy Decker die riesige Halle nicht mehr nutzt, um Bilder "bigger than life" zu schaffen. Wie es an gleichem Ort Ilya Kabakov für Messiaens "Saint Francois d ´Assise" geschafft hat. Der Vorteil der Reduktion ist ein klanglicher. Die Sänger kommen weitgehend ohne Verstärkung aus, nur für die hinteren Reihen und in ganz leisen Passagen werden sie ein bisschen unterstützt. Ein großer Wurf wie "Moses und Aron" ist dieser "Tristan" nicht geworden, aber ein anregender Einstieg in die Buddhismus-Triennale auf hohem musikalischem Niveau.

Weitere Termine: 31. August, 3., 9., 13., 17. und 20. September Jahrhunderthalle Bochum

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