Glosse zum Fack-Ju-Göhte-Urteil

Sich selbst ein Denkmal als bornierte Scheuklappen-Institution gesetzt

Die Schauspieler Elyas M'Barek und Karoline Herfurth
Fack-Ju-Göhte-Stars Elyas M'Barek und Karoline Herfurth: Kein Verständnis beim hohen Gericht © dpa/Tobias Hase
Von Arno Orzessek · 24.01.2018
Das Gericht der Europäischen Union hat entschieden: Der Name "Fack Ju Göhte" kann nicht geschützt werden, zu vulgär sei er. Arno Orzessek meint dazu: Das ging mächtig daneben.
Bitte schön: Nichts gegen die guten Sitten!
Der Aphoristiker Michael Marie Jung lag keineswegs falsch, als er den Gedanken formulierte: "Wenn alle 'Scheiße' sagen, scheint mir die Kultur im Arsch." Allerdings ist es mit den guten Sitten so eine Sache. Generationen definitionsverliebter Juristen haben nichts daran ändern können, dass die "guten Sitten" ein "unbestimmter" – also schwammiger, inhaltlich diffuser – Rechtsbegriff geblieben sind.
Und wie unter Fachleuten, so in der Praxis. Letztes Jahr haben Männer unter Anmahnung der guten Sitten eine junge Österreicherin, die sich am Badesee oben ohne tummelte, zum vermehrten Gebrauch von Kleidung aufgefordert ... Andernfalls, so kündigten die Männer an, würden sie die Barbusige vergewaltigen.

Eher eine trashige Feier des ehrwürdigen Bildungsgedankens

Offenbar kollidierten dort zwei ungleiche Auffassungen von guter Sitte und wie diese bei Bedarf durchzusetzen sei. Das Gericht der Europäischen Union hat in Fragen der Sittlichkeit natürlich andere, völlig legale Sanktionsmöglichkeiten ... aber mit den Männern vom Badesee dennoch eines gemeinsam: Es versteht partout keinen Spaß – um von komplizierteren Stilmitteln wie Satire, Ironie und Persiflage nicht zu reden.
Andernfalls hätte es sich mit dem Urteil zu "Fack Ju Göhte" kein Denkmal als bornierte Scheuklappen-Institution gesetzt. Die Film-Komödie, deren Titel mehr Rechtschreibfehler als Wörter enthält, ist schließlich – alles in allem – eine trashige Feier des ehrwürdigen Bildungsgedankens.
Zur Erinnerung: Der Film erzählt davon, wie der knastentlassene Bankräuber Zeki Müller alias Elyas M'Barek zunächst unfreiwillig zum Gymnasiallehrer für Deutsch wird und dann seine mindertalentierten Schüler in die Spur bringt. Zwischenzeitlich hält das Graffito Fack Ju Göhte, als wäre es ein sittlicher Weckruf, den absturzgefährdeten Müller selbst auf der rechten Bahn.
Die Grundstruktur von Fack Ju Göhte ähnelt also einem – wenn auch komplett verjuxten – Bildungsroman, jener Gattung, in der Goethes Wilhelm Meister zu den Großen zählt. Klar, es ging im aktuellen Prozess nicht um den Film, sondern um die Markenrechte für dessen Titel.
Die Konstantin Film Produktion wollte sie schützen lassen, um auf allen möglichen Krimskrams Fack Ju Göhte zu schreiben, eine branchenübliche Vermarktungsstrategie, die das EU-Markenamt im spanischen Alicante indessen untersagt hatte.
Die heutige – sprachpolizeilich auffallend engagierte – Begründung des Gerichts sagt viel über die Gesinnung der Richter aus. Denn wer wäre, wie sie behaupten, tatsächlich von der Aufschrift "Fack Ju Göhte" "schockiert"? Zumal in Deutschland, wo nahezu jeder die satirischen Zusammenhänge kennt?

"Person mit durchschnittlicher Toleranzschwelle"

Das Gericht legt für den unterstellten Verstoß die Kriterien einer, wie es betont, "vernünftigen Person mit durchschnittlicher Empfindlichkeits- und Toleranzschwelle" an. Das Verbot so zu begründen, ist eine kühne, empirisch durch nichts belegte Anmaßung. Die reale Toleranzschwelle des vernünftigen Publikums liegt mit Blick auf die aktuellen Gepflogenheiten auch in den Sozialen Medien deutlich höher. Und das nicht erst seit Jan Böhmermanns problematischer Ziegenficker-Lyrik auf Recep Tayyip Erdogan.
Übrigens: Heute Vormittag hat meta.tagesschau.de die Kommentarfunktion kurz nach der Urteilsvermeldung abgeschaltet, weil allzu viele Leute dem Gericht den Vogel zeigen wollten.
Nun ist, wenn Constantin das möchte, der Europäische Gerichtshof am Zug – und könnte alles wieder umschmeißen. Und wenn er das Verbot nicht kassiert? Dann bleibt der Constantin Film nur mit Goethe zu sagen: "Er möge mich im A..." – Sie wissen schon, liebe Bildungsbürger!
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