Globale Solidarität gegen Corona?

Reiche Länder, arme Länder und ein Virus

53:46 Minuten
Illustration: Eine Hand mit Spritze injiziert in den Globus.
Globale Impfgerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern soll geschaffen werden. Doch das droht zu scheitern am Impfstoff-Nationalismus der reichen Länder. © imago / Ikon Images / Gary Waters
Moderation: Birgit Kolkmann · 21.05.2021
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Corona wütet schlimm in Indien, die indische Virusvariante breitet sich auch zu uns hin aus. Höchste Zeit für globale Solidarität – eigentlich. Doch beim Impfen und den wirtschaftlichen Corona-Folgen geht es auch um nationale Interessen.
Täglich stecken sich in Indien hunderttausende von Menschen mit Corona an, sterben tausende. Eine Tragödie für den Subkontinent - und ein ernstes Problem für die übrige Welt. Denn die besonders ansteckende indische Variante des Coronavirus breitet sich aus.
Wie in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern trifft die Pandemie in Indien auf ein schwaches Gesundheitssystem, berichtet ARD-Korrespondent Peter Hornung aus Neu-Delhi. Und abseits der Kameras braue sich in ländlichen Regionen Indiens wahrscheinlich gerade eine Katastrophe "apokalyptischen" Ausmaßes zusammen.
Zudem hat Indiens bedeutende Pharmaindustrie den Export von Corona-Impfstoffen bis auf weiteres gestoppt – das Vakzin wird im eigenen Land bitter nötig gebraucht. Doch damit fällt Indien als wichtigster Lieferant für das internationale Covax-Programm aus, das ärmeren Ländern den Zugang zu preisgünstigem Impfstoff ermöglichen soll.

Nord-Süd-Gefälle bei den Impfungen

Und während hier in Deutschland und anderen Industriestaaten die Impfkampagnen einigermaßen zügig vorankommen, sind in den meisten Ländern des globalen Südens bisher nur wenige Menschen geimpft worden: In einigen Staaten Afrikas hat das Impfen noch gar nicht begonnen, in etlichen anderen haben weniger als ein Prozent der Bevölkerung wenigstens die erste Impfdosis bekommen.
"Impfdosen aus den reichen Ländern an ärmere Länder abgeben", fordert daher Mareike Haase von der Hilfsorganisation "Brot für die Welt". Immerhin haben die großen Pharmaunternehmen gerade beim Weltgesundheits-Gipfel in Rom zugesagt, 3,5 Milliarden Impfdosen für ärmere Länder zur Verfügung zu stellen.

Was bringt eine Freigabe der Impfpatente?

Doch reicht das? Mareike Haase fordert zusätzlich, den Patentschutz auf Impfstoffe auszusetzen, damit auch in Ländern des globalen Südens eine eigene Produktion von Vakzinen aufgebaut werden kann. Das hatte US-Präsident Biden vor einigen Wochen angeregt.
Der Entwicklungspolitiker und CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Kippels warnt hingegen davor, in der Freigabe der Patente ein Allheilmittel zu sehen. Die Herstellung von Impfstoff sei derart komplex, dass der Aufbau neuer Produktionskapazitäten viel Zeit brauche. Deutschland unterstützt nach seinen Worten in Ländern wie Senegal, Ghana oder Südafrika bereits die Entwicklung heimischer Pharmaindustrien.

"Letztlich in unserem eigenen Interesse"

So oder so sei es "letztlich in unserem eigenen Interesse", wenn die Industriestaaten dem globalen Süden beim Kampf gegen Corona und den Folgen helfen, sagt der Ökonom Marcel Fratzscher. Denn zum einen sei angesichts der weltumspannenden Pandemie auch im Norden niemand sicher, solange nicht alle sicher sind.
Zum anderen bestehe die Gefahr, dass die Corona-Krise gerade ärmere Länder wirtschaftlich um viele Jahre zurückwirft. Das sei für die betroffenen Regionen schlimm, könne aber auch die Weltwirtschaft in eine "Schieflage" bringen. Gerade Deutschland sei abhängig von funktionierenden globalen Lieferketten. Darum seinen Protektionismus und die Suche nach nationalen Lösungen für die Wirtschaft angesichts der Pandemie der falsche Weg.
Braucht die Welt mehr Solidarität beim Kampf gegen das Virus und für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Krise?
Sollen die reicheren Staaten den knappen Impfstoff mit ärmeren Ländern teilen, bevor die eigene Bevölkerung durchgeimpft ist?
Braucht es einen wirtschaftlichen "New Deal" für den globalen Süden, um die Folgen der Pandemie abzufedern?
Es diskutieren:

Georg Kippels (CDU), Mitglied des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Mareike Haase, Referentin für Internationale Gesundheitspolitik bei "Brot für die Welt"
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
Peter Hornung, ARD-Korrespondent in Neu-Delhi

(pag)
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