Susanne Schröter: "Global gescheitert?"

Vom Moralisieren, Wegsehen und Kapitulieren

Das Cover des Sachbuchs "Global gescheitert" von Susanne Schröter. Abgebildet sind der US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz und der russische Präsident Wladimir Putin.
© Herder Verlag

Susanne Schröter

Global gescheitert?Herder, Freiburg 2022

240 Seiten

20,00 Euro

Von Marko Martin · 31.08.2022
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Die Ethnologin Susanne Schröter stellt bedenkenswerte Detailbeobachtungen zum Moralisieren, Verdrängen und Schönreden an. Ihr Sachbuch beschreibt einen „Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass“.
Schlingern die westlichen Demokratien zwischen Größenwahn und Kleinmut, zwischen Hybris und Larmoyanz? Zu diesem Resümee kommt die in Frankfurt am Main lehrende Ethnologin und Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter. Auf zweihundert Seiten zeichnet sie in ihrem Buch „Global gescheitert?“ das Bild moderner Gesellschaften, die sich gleichzeitig über- und unterschätzen.
Von der deutschen Reaktion auf Putins Kriege über die gescheiterten Auslandseinsätze in Mali und Afghanistan bis zum Aufstieg des Islamismus auch in Europa beschreibt die Autorin wiederkehrende Muster des Verdrängens und Schönredens, denen dann oftmals abrupte und kaum durchdachte Entscheidungen folgen.

Profunde Analyse statt nachträglicher Besserwisserei

Das ist kein wohlfeiles Besserwissen im Nachhinein, sondern profunde Analyse, abgesichert durch seriöse Quellen und ein umfangreiches Literaturverzeichnis, dessen Lektüre man vor allem jenen forschen Thesenrittern wünscht, die als Dauergäste in den hiesigen Talkshows sitzen.

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Auch sind die der Außenpolitik gewidmeten Kapitel ein Antidot zur gegenwärtigen Erinnerungslosigkeit, die sich von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine überrascht zeigt oder - wie im Falle von Frank-Walter Steinmeier - mit schuldabweisenden Formeln wie „Mit dem Kenntnisstand von heute...“ hausieren geht.
Wie der einstige Kanzleramtschef Gerhard Schröders zu einem der entscheidenden Architekten des inzwischen Zusammengebrochenen wurde, wird hier ebenso thematisiert wie das jahrzehntelange Wegschauen angesichts von Putins Kriegsverbrechen in Tschetschenien, Georgien oder Syrien.

Wahrnehmen, was man wahrnehmen will

Die Autorin thematisiert nicht allein diverse Interessenlagen, Abhängig- und womöglich auch Erpressbarkeiten (die noch lange nicht aufgearbeitet und zu Ende recherchiert sind). Das ist erhellend, auch weil sie dabei eine Art Grundstimmung herausarbeitet, im Gegenüber lediglich das zu sehen, was man selbst – durch und durch bundesrepublikanisch sozialisiert und deshalb reichlich naiv – sehen wolle.
Großrussischer Landgewinnungswahn wurde in dieser Optik ebenso wenig wahrgenommen wie afghanische oder malische Stammestraditionen, die wenig mit westlichem Verständnis von Staatlichkeit und Zivilgesellschaft zu tun haben.
Ebenso wurde und wird – und dies durchaus in spätkolonialer Dominanz-Attitüde – die Explosiv- und Verführungskraft eines bis nach Westeuropa diffundieren Dschihadismus unterschätzt, der keineswegs allein muslimische "Underdogs" fasziniert und deshalb wohl auch kaum mit bloßen „Bildungsangeboten“ einzuhegen ist.
Isolationismus ist keine Alternative
Doch was wäre stattdessen zu tun? Susanne Schröters Kritik an den „neuen Falken“ in der deutschen Außenpolitik überzeugt da nur wenig und ist überdies ungenau. Denn schließlich hatten Menschenrechts-Politiker der Grünen und profilierte Osteuropa-Historiker seit Jahr und Tag vor Putins Expansionismus gewarnt. Auch ein Spott über die simplifizierende Forderung eines „Frierens für den Frieden“ bleibt wohlfeil, solange ihm kein reflektierendes Nachdenken über zukünftige europäische Energiestrategien folgt.
Und obwohl die Auslandseinsätze in Mali und Afghanistan tatsächlich gescheitert sind – was wären die Alternativen, um aus "failed states" keine neuen Terrorismus-Hochburgen entstehen zu lassen, keine weitere Massenemigration zu provozieren und Russlands Auslandssöldnern nicht völlig freie Bahn zu geben? 

Zu Ende gedacht, könnten Susanne Schröters Betrachtungen auf einen neuen Isolationismus hinlaufen, auf ein „Kehren vor der eigenen Haustür“. Das wäre in Zeiten globaler Verknüpfungen freilich ebenfalls eine fatale Illusion.
Eine kluge Nachdenk-Provokation
Dabei sind jene Kapitel, die der innerwestlichen Verfasstheit gewidmet sind und hier nun einer oftmals geradezu masochistischen Verzagtheit nachspüren, durchaus augenöffnend. Gewisse Aspekte des Postkolonialismus, Cancel Culture, linker und rechter Populismus, Beschweigen eines neuen, zusätzlichen, gleichsam eingewanderten Antisemitismus: Was Susanne Schröter hier zusammenträgt (auch an geradezu hanebüchenen Rechtfertigungs-Zitaten aus der akademischen Zunft), dürfte ihr wohl kaum neue Freundinnen und Freunde bescheren.

Ihre Kritik an einer modischen Wahrnehmung des Westens als Sündenbock für jedes und alles ist dabei jedoch mitnichten neo-konservativ, sondern bleibt aufklärerisch. Angeklagt nämlich wird ein alter Allmachtswahn, der sich nun lediglich in negativer Gewandung zeigt. Auch wer der Wissenschaftlerin nicht in allem zustimmen mag und in diesem Buch auch nicht immer stringent argumentiert wird – eine kluge, weil nie marktschreierische Nachdenk-Provokation ist es ganz gewiss.
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