Glaube und Finanzkrise
Die Finanzkrise hält Europa weiter in Atem und wirft ganz grundsätzliche Fragen zum Umgang mit Geld und Kapital auf: Was sagen eigentlich die Kirchen dazu? Spielen sie bei den Geldgeschäften mit? Bieten sie Gegenmodelle? Eine Initiative im Frankfurter Westend sucht nach Antworten
Gleich beginnt die Mittagsandacht, der "Lunchbreak". Durch die großen Fenster scheint die Wintersonne in die kreisrund gebaute Kirche im Frankfurter Westend. Stühle werden in ein Halbrund gerückt. Vorn steht ein schlichter Altar, gleich daneben ein Flügel. Heute sind 19 Menschen gekommen, fast alle in Hemd und Anzug oder Kostüm. Sie arbeiten in der Finanzbranche. Banker, Anwälte, Berater – ihre Arbeitsplätze sind nur wenige Gehminuten entfernt.
Die Gruppe singt, ein Rechtsanwalt begleitet sie am Flügel. Danach ergreift Jan Linsin das Wort, er arbeitet für ein Immobilienunternehmen und hat die Andacht vorbereitet. Sein Thema heute: christlicher Glaube und die Finanzbranche.
"Ich hab mal geguckt, was in der Bibel steht. Natürlich findet man in der Bibel nichts zum Thema Finanzkrise oder auch Rettungsschirm. Nicht auf den ersten Blick. Aber ich glaub, Gott sagt uns sehr viel durch sein Wort, wie der Mensch ist.""
Linsin spricht im Sitzen, mehr als zehn Minuten, seine Notizen liegen auf den Knien.
""Ich denke, dass diese Finanzkrise, und ich hoff's und ich wünsche es mir, dass sie die Menschen mehr zu Gott bringt. Dass sie die Gesellschaft, auch für Christen, mehr hinterfragen: Was treibt uns und wo hängt unser Herz wirklich dran? Sich mal auszumalen, was ist, wenn es morgen mal wirklich nicht mehr so ist. Wem vertraue ich dann? Vertraue ich meinem Depot, meiner Versicherung, oder vertraue ich dann meiner wirklichen Lebensversicherung?"
Nach einem Gebet und dem Segen ist die Andacht vorüber, aber noch nicht der Lunchbreak. Denn draußen im Foyer gibt es Kaffee und einen kleinen Snack, wie jeden Mittwochmittag. Der Anwalt Lutz Hülsdunk gehört zu denen, die vor drei Jahren diesen Gebetskreis gegründet haben:
"Also, die Krise, über die reden wir wie alle anderen auch. Und der ein oder andere findet jetzt vielleicht Halt. Aber das ist mir einfach wirklich wichtig, dass man nicht sagt: So, jetzt laufen die Geschäfte schlecht, und jetzt beten wir. Sondern im Gegenteil, das ist eine Sache, die ganz natürlich entstanden ist und dann uns auch hilft, mit solchen Themen umzugehen."
Manche Teilnehmer sind katholisch, viele evangelisch – beheimatet in Freikirchen oder der Landeskirche. Die Räume für den "Lunchbreak" stellt die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde im Frankfurter Westend zur Verfügung. Dafür stellte sie zwei Bedingungen: Zum einen soll jeder zur Andacht kommen dürfen, ob obdachlos oder Banker. Zum anderen dürften extrem konservative Positionen nicht unwidersprochen bleiben, sagt Udo Koenen, einer der beiden Pastoren der Gemeinde:
"In Richtungen, wo es um Moral geht, kann es schwierig werden. Also zum Beispiel wäre ein ganz schwieriges Ding in dieser Gruppe über Homosexualität oder Ähnliches zu sprechen. Da gehen Standpunkte oft sehr, sehr weit auseinander."
Im Foyer steht Burkhard Leffers an einem der Stehtische. Er war mehr als 30 Jahre bei der Commerzbank und ist inzwischen selbstständiger Berater. Warum er zum "Lunchbreak" kommt?
"Der Pause wegen, in der man nicht reden muss, in der man nicht arbeiten muss, in der man nicht denken muss, in der man sich fallen lassen kann. Und wo man sein darf."
Einen Tisch weiter unterhält sich Marion Wortmann. Sie ist Wirtschaftsprüfern, in ihrer Freizeit engagiert sie sich in einer Kirchengemeinde. Unter ihren Kollegen sei das selten:
"Ich würde mich freuen, wenn ich wüsste, dass meine Vorgesetzten und die Manager in unseren Betrieben, die ja zum Teil auch relativ harte Linien führen und ein hartes Geschäft haben, wenn die parallel solche Orte sich suchen und sich da diesen Ausgleich nehmen."
Sie und die meisten anderen verweilen noch ein wenig in der Kirche im Frankfurter Westend. Daniel, ein Banker, spürt den Spagat zwischen Glaube und Beruf. Seinen Nachnamen und Arbeitgeber möchte er nicht nennen:
"Ich sage mal, manchmal erfordert es eben auch der Beruf, dass man Dinge macht, die man so nur schwer mit seinem persönlichen Gewissen vereinbaren könnte, die aber einfach erwartet und gefordert werden. Auch ganz konkret, dass es einfach um Menschen geht, über die man entscheiden muss und über die entschieden wird. Und das auch nicht immer zum Wohle des Einzelnen ist. Und das dann so mit der Nächstenliebe in Einklang zu bringen, ist nicht immer einfach."
"Also ich denk, die Bergpredigt ist schwierig in der privaten Wirtschaft, also wenn mir einer eine wutscht, dann ist es schwer, da die andere Wange hinzuhalten. Aber umgekehrt heißt das nicht, dass ich mich in so einem Unternehmen mich nicht ethisch verhalten kann","
sagt Fritz Philipps, der sein Büro in einem der silbrig schimmernden Türme der Deutschen Bank hat.
Christlicher Glaube, Ethik und das Finanzgeschäft – gläubige Banker, Anwälte und Manager versuchen das zu vereinbaren, wenn auch manchmal mit Mühe. Aber nicht nur sie werden von der anhaltenden Finanzkrise auf die Probe gestellt – auch die Institution Kirche muss ihr Handeln hinterfragen.
""Als Christen wissen wir, dass der Tanz um das Goldene Kalb schon einmal schief gegangen ist."
Franz Segbers ist außerplanmäßiger Professor für Sozialethik an der Universität Marburg. Die Vorzeichen der Krise hätte man sehen können, sagt der Theologe:
"In den letzten zehn Jahren gab es mehrere solcher Finanzkrisen, vornehmlich in den südlichen Ländern dieser Erde. Und jetzt ist mittlerweile diese selbe Finanzkrise auf Europa zurückgeschlagen. Da stellt sich die Frage: Wie reagieren wir als Kirchen sozusagen im Zentrum dieses krisenhaften Geschehens?"
Ein großer Fehler einiger evangelischer Landeskirchen sei gewesen, sich am Kapitalmarkt zu engagieren, um dort vermeintlich höhere Renditen zu erwirtschaften – in Oldenburg etwa ging dies schief. Die Kirche kaufte für die Altersvorsorge ihrer Bediensteten Papiere von Lehman Brothers im Wert von mehr als vier Millionen Euro, die am Ende wertlos waren. Ein Ausrutscher, sagt Segbers. Aber dieser und andere illustrierten, wie nahe die Kirchen den Märkten seien:
"Damit sind sie Teil genau dieses Finanzsystems. Und sie haben sozusagen dann auch ein Interesse, auch wenn es Nachhaltigkeitsfilter gibt und ethische Kriterien für die Anlagen von Kapital, sie müssen Renditen erwirtschaften auf dem Kapitalmarkt, um die entsprechenden Pensionsansprüche garantieren zu können."
Immerhin: Vor mehr als zwei Jahren habe die Evangelische Kirche in Deutschland, EKD, einen wichtigen selbstkritischen Schritt unternommen, zusammengefasst in einem Text mit dem Titel "Wie ein Riss in einer hohen Mauer". Dessen Vorwort hat der damalige Ratspräsident Wolfgang Huber verfasst:
Die "Stimmen derer wurden auch in den Kirchen nicht ernst genug genommen, die seit Jahren vor einer Fehlorientierung warnen: die Stimmen der Wissenschaftler, die für ein nachhaltiges Wirtschaften werben, und der Partner aus der weltweiten Ökumene, die auf die Folgen wirtschaftlicher Abhängigkeit und des Raubbaus an Rohstoffen und Energievorräten für die Ärmsten der Armen aufmerksam machen. [ ... ] Wir mahnen zur Umkehr."
Franz Segbers: "Nur denke ich, es reicht nicht aus, nur von Umkehr zu sprechen. Sondern die Frage ist: Wo kehren die Kirchen selber um?"
"Ich denke, da wird man eine ganz grundsätzliche Grenze einziehen müssen, schon aus ökonomischem Interesse. Denn die Finanzsektoren vertreiben Produkte, die hoch riskant sind teilweise. Ich denke, solche Anlagestrategien muss man ausschließen",
fordert Gustav Horn, Ökonom bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Seit mehr als einem Jahr ist er außerdem Vorsitzender der Kammer für Soziale Ordnung der EKD. Sie berät die Kirchenführung. Geld am Kapitalmarkt anzulegen, soll auch künftig möglich sein – aber nur unter strikten Regeln. Außerdem wünscht sich Horn bei der EKD eine Professionalisierung, also mehr Finanz-Know-how, um spekulativen Geschäften aus dem Weg gehen zu können. Und er kündigt neue Denkschriften an, die sich mit der Würde der Arbeit befassen und zur Finanzkrise entschiedener als bislang Positionen beziehen sollen. Frühestens im Sommer:
"Ich denke schon, dass die Kirche stark ihre Stimme erheben sollte. Gerade in einer Zeit, in der ja viele Menschen nach Orientierung suchen. Insofern halte ich es für dringend notwendig, dass die Kirche um Positionen dort ringt, auch diese Positionen klar und deutlich nach innen und außen macht und ... Position bezieht, ja."
Position beziehen: Auf dem Willy-Brandt-Platz in Frankfurt campieren seit Oktober Aktivisten der Occupy-Bewegung, auch bei frostigen Außentemperaturen. In ihrem Rücken ragt der Turm der Europäischen Zentralbank in die Höhe, eines der Symbole der Finanz-, Euro- und Staatsschuldenkrise.
"Also im Camp aktuell würde ich schätzen 20 bis 30 Leute, die jetzt hier noch Tag und Nacht aufm Camp sind."
Einer von ihnen ist Uwe. Auf dem Platz um ihn herum stehen und hängen Plakate, auf denen die Occupier auch eine Umkehr fordern: zu mehr Solidarität, sozialem Ausgleich und einer Abkehr vom Finanzkapitalismus. Kirchliche Losungen finden sich nicht.
"Ich sag mal, jeder beackert hier seine eigene Baustelle. Also wir legen von der Bewegung ausgesprochen Wert darauf, dass wir von gesellschaftlichen Institutionen und Parteien unabhängig sind."
Unabhängig auch von Kirchen. Mit ihnen gebe es nur vereinzelt Kooperationen – zum Beispiel stellten zwei evangelische Innenstadtgemeinden gelegentlich Räume für Treffen zur Verfügung.
In der evangelisch-reformierten Kirche, nur einige hundert Meter vom Occupy-Camp entfernt, findet der "Lunchbreak" nach einer guten Stunde ein Ende. Banker und Anwälte müssen zurück an ihre Schreibtische. Mit den Occupy-Aktivisten sieht Jurist Markus Hamann, der die Andacht mit seinem Klavierspiel begleitete, kaum Gemeinsamkeiten. Ihnen geht es um die Systemfrage – ihm um seine persönliche Haltung im Berufsalltag der Finanzwelt.
"Ganz ehrlich, die Occupy-Bewegung ist für mich ein bisschen diffus, also da werden einzelne Punkte rausgegriffen, die im System vielleicht nicht in Ordnung sind, und wir als Christen, zumindest die wir uns hier treffen, sagen: nicht Bewegung und ein Ganzes, sondern wie kann ich persönlich, in meiner Situation, anders reagieren, als man das vielleicht üblicherweise tut und ich dann auch eine persönliche Ansprache habe."
Die Gruppe singt, ein Rechtsanwalt begleitet sie am Flügel. Danach ergreift Jan Linsin das Wort, er arbeitet für ein Immobilienunternehmen und hat die Andacht vorbereitet. Sein Thema heute: christlicher Glaube und die Finanzbranche.
"Ich hab mal geguckt, was in der Bibel steht. Natürlich findet man in der Bibel nichts zum Thema Finanzkrise oder auch Rettungsschirm. Nicht auf den ersten Blick. Aber ich glaub, Gott sagt uns sehr viel durch sein Wort, wie der Mensch ist.""
Linsin spricht im Sitzen, mehr als zehn Minuten, seine Notizen liegen auf den Knien.
""Ich denke, dass diese Finanzkrise, und ich hoff's und ich wünsche es mir, dass sie die Menschen mehr zu Gott bringt. Dass sie die Gesellschaft, auch für Christen, mehr hinterfragen: Was treibt uns und wo hängt unser Herz wirklich dran? Sich mal auszumalen, was ist, wenn es morgen mal wirklich nicht mehr so ist. Wem vertraue ich dann? Vertraue ich meinem Depot, meiner Versicherung, oder vertraue ich dann meiner wirklichen Lebensversicherung?"
Nach einem Gebet und dem Segen ist die Andacht vorüber, aber noch nicht der Lunchbreak. Denn draußen im Foyer gibt es Kaffee und einen kleinen Snack, wie jeden Mittwochmittag. Der Anwalt Lutz Hülsdunk gehört zu denen, die vor drei Jahren diesen Gebetskreis gegründet haben:
"Also, die Krise, über die reden wir wie alle anderen auch. Und der ein oder andere findet jetzt vielleicht Halt. Aber das ist mir einfach wirklich wichtig, dass man nicht sagt: So, jetzt laufen die Geschäfte schlecht, und jetzt beten wir. Sondern im Gegenteil, das ist eine Sache, die ganz natürlich entstanden ist und dann uns auch hilft, mit solchen Themen umzugehen."
Manche Teilnehmer sind katholisch, viele evangelisch – beheimatet in Freikirchen oder der Landeskirche. Die Räume für den "Lunchbreak" stellt die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde im Frankfurter Westend zur Verfügung. Dafür stellte sie zwei Bedingungen: Zum einen soll jeder zur Andacht kommen dürfen, ob obdachlos oder Banker. Zum anderen dürften extrem konservative Positionen nicht unwidersprochen bleiben, sagt Udo Koenen, einer der beiden Pastoren der Gemeinde:
"In Richtungen, wo es um Moral geht, kann es schwierig werden. Also zum Beispiel wäre ein ganz schwieriges Ding in dieser Gruppe über Homosexualität oder Ähnliches zu sprechen. Da gehen Standpunkte oft sehr, sehr weit auseinander."
Im Foyer steht Burkhard Leffers an einem der Stehtische. Er war mehr als 30 Jahre bei der Commerzbank und ist inzwischen selbstständiger Berater. Warum er zum "Lunchbreak" kommt?
"Der Pause wegen, in der man nicht reden muss, in der man nicht arbeiten muss, in der man nicht denken muss, in der man sich fallen lassen kann. Und wo man sein darf."
Einen Tisch weiter unterhält sich Marion Wortmann. Sie ist Wirtschaftsprüfern, in ihrer Freizeit engagiert sie sich in einer Kirchengemeinde. Unter ihren Kollegen sei das selten:
"Ich würde mich freuen, wenn ich wüsste, dass meine Vorgesetzten und die Manager in unseren Betrieben, die ja zum Teil auch relativ harte Linien führen und ein hartes Geschäft haben, wenn die parallel solche Orte sich suchen und sich da diesen Ausgleich nehmen."
Sie und die meisten anderen verweilen noch ein wenig in der Kirche im Frankfurter Westend. Daniel, ein Banker, spürt den Spagat zwischen Glaube und Beruf. Seinen Nachnamen und Arbeitgeber möchte er nicht nennen:
"Ich sage mal, manchmal erfordert es eben auch der Beruf, dass man Dinge macht, die man so nur schwer mit seinem persönlichen Gewissen vereinbaren könnte, die aber einfach erwartet und gefordert werden. Auch ganz konkret, dass es einfach um Menschen geht, über die man entscheiden muss und über die entschieden wird. Und das auch nicht immer zum Wohle des Einzelnen ist. Und das dann so mit der Nächstenliebe in Einklang zu bringen, ist nicht immer einfach."
"Also ich denk, die Bergpredigt ist schwierig in der privaten Wirtschaft, also wenn mir einer eine wutscht, dann ist es schwer, da die andere Wange hinzuhalten. Aber umgekehrt heißt das nicht, dass ich mich in so einem Unternehmen mich nicht ethisch verhalten kann","
sagt Fritz Philipps, der sein Büro in einem der silbrig schimmernden Türme der Deutschen Bank hat.
Christlicher Glaube, Ethik und das Finanzgeschäft – gläubige Banker, Anwälte und Manager versuchen das zu vereinbaren, wenn auch manchmal mit Mühe. Aber nicht nur sie werden von der anhaltenden Finanzkrise auf die Probe gestellt – auch die Institution Kirche muss ihr Handeln hinterfragen.
""Als Christen wissen wir, dass der Tanz um das Goldene Kalb schon einmal schief gegangen ist."
Franz Segbers ist außerplanmäßiger Professor für Sozialethik an der Universität Marburg. Die Vorzeichen der Krise hätte man sehen können, sagt der Theologe:
"In den letzten zehn Jahren gab es mehrere solcher Finanzkrisen, vornehmlich in den südlichen Ländern dieser Erde. Und jetzt ist mittlerweile diese selbe Finanzkrise auf Europa zurückgeschlagen. Da stellt sich die Frage: Wie reagieren wir als Kirchen sozusagen im Zentrum dieses krisenhaften Geschehens?"
Ein großer Fehler einiger evangelischer Landeskirchen sei gewesen, sich am Kapitalmarkt zu engagieren, um dort vermeintlich höhere Renditen zu erwirtschaften – in Oldenburg etwa ging dies schief. Die Kirche kaufte für die Altersvorsorge ihrer Bediensteten Papiere von Lehman Brothers im Wert von mehr als vier Millionen Euro, die am Ende wertlos waren. Ein Ausrutscher, sagt Segbers. Aber dieser und andere illustrierten, wie nahe die Kirchen den Märkten seien:
"Damit sind sie Teil genau dieses Finanzsystems. Und sie haben sozusagen dann auch ein Interesse, auch wenn es Nachhaltigkeitsfilter gibt und ethische Kriterien für die Anlagen von Kapital, sie müssen Renditen erwirtschaften auf dem Kapitalmarkt, um die entsprechenden Pensionsansprüche garantieren zu können."
Immerhin: Vor mehr als zwei Jahren habe die Evangelische Kirche in Deutschland, EKD, einen wichtigen selbstkritischen Schritt unternommen, zusammengefasst in einem Text mit dem Titel "Wie ein Riss in einer hohen Mauer". Dessen Vorwort hat der damalige Ratspräsident Wolfgang Huber verfasst:
Die "Stimmen derer wurden auch in den Kirchen nicht ernst genug genommen, die seit Jahren vor einer Fehlorientierung warnen: die Stimmen der Wissenschaftler, die für ein nachhaltiges Wirtschaften werben, und der Partner aus der weltweiten Ökumene, die auf die Folgen wirtschaftlicher Abhängigkeit und des Raubbaus an Rohstoffen und Energievorräten für die Ärmsten der Armen aufmerksam machen. [ ... ] Wir mahnen zur Umkehr."
Franz Segbers: "Nur denke ich, es reicht nicht aus, nur von Umkehr zu sprechen. Sondern die Frage ist: Wo kehren die Kirchen selber um?"
"Ich denke, da wird man eine ganz grundsätzliche Grenze einziehen müssen, schon aus ökonomischem Interesse. Denn die Finanzsektoren vertreiben Produkte, die hoch riskant sind teilweise. Ich denke, solche Anlagestrategien muss man ausschließen",
fordert Gustav Horn, Ökonom bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Seit mehr als einem Jahr ist er außerdem Vorsitzender der Kammer für Soziale Ordnung der EKD. Sie berät die Kirchenführung. Geld am Kapitalmarkt anzulegen, soll auch künftig möglich sein – aber nur unter strikten Regeln. Außerdem wünscht sich Horn bei der EKD eine Professionalisierung, also mehr Finanz-Know-how, um spekulativen Geschäften aus dem Weg gehen zu können. Und er kündigt neue Denkschriften an, die sich mit der Würde der Arbeit befassen und zur Finanzkrise entschiedener als bislang Positionen beziehen sollen. Frühestens im Sommer:
"Ich denke schon, dass die Kirche stark ihre Stimme erheben sollte. Gerade in einer Zeit, in der ja viele Menschen nach Orientierung suchen. Insofern halte ich es für dringend notwendig, dass die Kirche um Positionen dort ringt, auch diese Positionen klar und deutlich nach innen und außen macht und ... Position bezieht, ja."
Position beziehen: Auf dem Willy-Brandt-Platz in Frankfurt campieren seit Oktober Aktivisten der Occupy-Bewegung, auch bei frostigen Außentemperaturen. In ihrem Rücken ragt der Turm der Europäischen Zentralbank in die Höhe, eines der Symbole der Finanz-, Euro- und Staatsschuldenkrise.
"Also im Camp aktuell würde ich schätzen 20 bis 30 Leute, die jetzt hier noch Tag und Nacht aufm Camp sind."
Einer von ihnen ist Uwe. Auf dem Platz um ihn herum stehen und hängen Plakate, auf denen die Occupier auch eine Umkehr fordern: zu mehr Solidarität, sozialem Ausgleich und einer Abkehr vom Finanzkapitalismus. Kirchliche Losungen finden sich nicht.
"Ich sag mal, jeder beackert hier seine eigene Baustelle. Also wir legen von der Bewegung ausgesprochen Wert darauf, dass wir von gesellschaftlichen Institutionen und Parteien unabhängig sind."
Unabhängig auch von Kirchen. Mit ihnen gebe es nur vereinzelt Kooperationen – zum Beispiel stellten zwei evangelische Innenstadtgemeinden gelegentlich Räume für Treffen zur Verfügung.
In der evangelisch-reformierten Kirche, nur einige hundert Meter vom Occupy-Camp entfernt, findet der "Lunchbreak" nach einer guten Stunde ein Ende. Banker und Anwälte müssen zurück an ihre Schreibtische. Mit den Occupy-Aktivisten sieht Jurist Markus Hamann, der die Andacht mit seinem Klavierspiel begleitete, kaum Gemeinsamkeiten. Ihnen geht es um die Systemfrage – ihm um seine persönliche Haltung im Berufsalltag der Finanzwelt.
"Ganz ehrlich, die Occupy-Bewegung ist für mich ein bisschen diffus, also da werden einzelne Punkte rausgegriffen, die im System vielleicht nicht in Ordnung sind, und wir als Christen, zumindest die wir uns hier treffen, sagen: nicht Bewegung und ein Ganzes, sondern wie kann ich persönlich, in meiner Situation, anders reagieren, als man das vielleicht üblicherweise tut und ich dann auch eine persönliche Ansprache habe."