Gitarrist Jimmy Rip über "Television"-Tour

Auf der Suche nach dem verlorenen Akkord

Jimmy Rip - Gitarrist der Punk-Band "Television" zu Gast bei Deutschlandradio Kultur
Jimmy Rip - Gitarrist der Punk-Band "Television" zu Gast bei Deutschlandradio Kultur © Oliver Schwesig, Deutschlandradio
Jimmy Rip im Gespräch mit Oliver Schwesig |
Television ist die wohl kultigste Punk-Band, die im New York der 70er-Jahre entstand. Ihr Album "Marquee Moon" ist ein besonderes - und wurde seit 1979 nicht mehr live gespielt. Beim Berlin-Konzert bringt Television nun das Album zurück auf die Bühne - gar nicht einfach, sagt Gitarrist Jimmy Rip.
Deutschlandradio Kultur: Was gab den Anlass, jetzt nach so vielen Jahren noch mal auf Tour zu gehen?
Jimmy Rip: Ach, Television haben nie aufgehört, auf Tour zu gehen, wir tun das nur nicht besonders oft. In den letzten vier, fünf Jahren ist es etwas mehr geworden. Nachdem Richard Loyd 2007 ausgestiegen ist haben sie mich gefragt, ob ich bei Television einsteigen will. Ich bin jetzt etwa zehn Jahre dabei, vorher habe ich schon mit Tom Verlaine Musik gemacht, seit 1981, also 35 Jahre. Ich habe auf fast allen seiner Soloalben gespielt, wir waren als Duo auf Tour und haben Musik für einen Stummfilm gemacht. Wir sind also gut eingespielt, ich mache das jetzt schon mein halbes Leben.
Deutschlandradio Kultur: Was interessant ist bei der aktuellen Tournee ist, dass Sie das alte Album Marquee Moon noch mal neu aufführen. Warum?

"Dieselben Songs - aber in anderer Reihenfolge"

Rip: Bei einigen Songs von dem Album kann sich niemand mehr daran erinnern, sie jemals live gespielt zu haben. "Torn Curtain" zum Beispiel, oder "Guiding Light". Wenn sie überhaupt jemals live gespielt wurden, dann nur sehr selten. Das weiß ich natürlich nur aus Erzählungen, ich bin ja etwas jünger als die anderen und war nicht von Anfang an dabei. Auf jeden Fall wurden die Songs nach der ersten Auflösung der Band 1979 nicht mehr live gespielt. Vor drei Jahren kam von einem australischen Promoter die Anfrage, ob wir Lust hätten, "Marquee Moon" live aufzuführen. Was noch nie gemacht wurde. Hörte sich ziemlich gefährlich an, aber wir haben zugesagt, denn er hat uns 'ne Menge Geld geboten. Was wir allerdings nicht machen, ist, die Songs in der Reihenfolge des Albums zu spielen. Dann würde der Titelsong "Marquee Moon" in der Mitte der Show gespielt, wo er nun wirklich nicht hinpasst, und der letzte Song, "Guiding Light", ist nun auch nicht gerade das Stück, mit dem man einen Auftritt beenden würde. Also, das Ganze war jedenfalls nicht unsere Idee.
Deutschlandradio Kultur: Sie waren damals bei den Originalaufnahmen von 1979 nicht dabei. Wenn Sie jetzt so jemand von außen sind, wie hört sich das jetzt für Sie an, hat das auch einen Kultcharakter für Sie?
Rip: Es ist einfach ein großes, zeitloses Album. Wissen Sie, ich habe mein Leben damit verbracht, Alben zu produzieren und auf Platten anderer Leute zu spielen. Ich musste als Musiker schon oft das machen, was andere von mir verlangt haben. Als ich mit Mick Jagger gearbeitet habe, musste ich ein Jahr lang Keith Richard für ihn sein. Ich bin es gewohnt, mir tolles Gitarrenspiel anzuhören und es nachzuahmen, vielleicht mit einem bisschen von meinem eigenen Stil. Und ich bin es doch den Fans des "Marquee Moon"-Albums schuldig, ich meine, diese Songs wurden fast nie live gespielt, und viele Leute sind seit 40 Jahren von diesem Album besessen, es wäre dumm, jetzt eine ganz neue Sache daraus zu machen, und einfach respektlos. Was Tom Verlaine auf diesem Album gemacht hat, ist fantastisch. Und mir macht das Riesenspaß, es ist eine Herausforderung, jeden Abend aufs Neue.
Deutschlandradio Kultur: Also es ging Ihnen schon darum, das Album möglichst originalgetreu auf die Bühne bringen…

"Jedes Mal suchen wir auf der Bühne diesen einen Akkord"

Rip: Ich habe in meinem Leben schon viele Platten aufgenommen, und das gilt eigentlich für alle Musiker: Fast niemand hört sich seine eigenen Platten später noch mal an. Manche verweigern das vehement, spielen Sie nie was von Prince, wenn er im Raum ist. Ich bin derjenige, da ich ja nicht auf "Marquee Moon" mitgespielt habe, der die anderen korrigiert und sagt: Das hast Du auf dem Album aber anders gespielt! Und das ist schon eine komische Rolle, die ich habe, diese Leute haben das Album eingespielt, und sie sind alte Freunde von mir, und ihnen zu sagen: Hör dir mal dein eigenes Album an, das ist schon etwas seltsam. Aber die Jungs sind nicht empfindlich. Manchmal sind sie einfach überrascht, dass das, was sie seit Jahren spielen, gar nicht das ist, was auf dem Album zu hören ist. Und: Ich würde wahnsinnig gerne mal die Original-16-Spur-Aufnahmen hören! Manches ist sehr schwer auf dem Album herauszuhören, vor allem die Gitarrenparts, wenn da drei Spuren übereinander liegen. Leider sind die Originalaufnahmen verschwunden. Aber wir haben ein paar Leute drauf angesetzt und hoffen, dass wir eines Tages im Studio die Regler aufdrehen können und dann die Erleuchtung kommt: Oh mein Gott, das ist also der Akkord, den wir jahrelang gesucht haben. Und es ist wahr, es gibt einen Song, ich sage jetzt nicht, welcher, da fehlt Tom der richtige Akkord schon so lange, wie ich ihn kenne. Und es ist jeden Abend dasselbe, wir gehen auf die Bühne und suchen diesen Akkord. Aber eines Tages werden wir ihn finden!
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, wenn Sie der einzige aus der Band sind, der die alten Sachen aus der Band hört, werden Sie eigentlich als Beobachter sehr gebraucht?
Rip: Ja, und außerdem bin ich der einzige in der Band, der morgens schon gute Laune hat.
Deutschlandradio Kultur: Können Sie etwas verraten über neue Songs der Band?
Rip: Ja, es gibt neue Songs. Wir werden sie heute Abend nicht spielen, denn es ist eine "Marquee Moon"-Show. Aber vor ein paar Tagen in Paris haben wir schon ein paar neue Songs gespielt und tun das auch sonst. Die Songs ändern sich allerdings noch jeden Abend, man kann auch schlecht mitsingen, weil Tom dauernd die Texte ändert. Aber die Leute fragen uns dauernd nach einem neuen Album, und wir fragen Tom, ob es ein neues Album geben wird. Wir haben schon viele neue Songs aufgenommen, aber sie sind noch nicht fertig. Wir warten alle. Wir warten genauso sehr wie unsere Fans auf eine neue Platte, und eines Tages, eines Tages…
Mehr zum Thema