Gewerkschafter Huber zur Finanzkrise

"Wir waren nicht konsequent genug"

Kurssturz Börse Frankfurt
Die Regulierung der Vermögens- und Finanzmärkte ist nach wie vor unzureichend, sagt Huber. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Berthold Huber im Gespräch mit Dieter Kassel · 13.08.2018
Die Rendite der Aktionäre sei noch immer wichtiger als das Interesse der Allgemeinheit. Zehn Jahre nach der Finanzkrise sei man in Fragen der "Demokratisierung der Wirtschaft" nicht weitergekommen, kritisiert der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber.
Dieter Kassel: Als im Jahr 2008 die Finanzkrise begann, da war Bertold Huber als erster Vorsitzender der IG Metall noch ziemlich frisch im Amt. Von November 2007 bis November 2013 bekleidete er dieses Amt, war in dieser Zeit Vertrauter der Bundeskanzlerin und Herausgeber eines Buches mit dem Titel "Kurswechsel für Deutschland - Die Lehren aus der Krise". Das Buch mit Beiträgen unterschiedlicher Autoren erschien bereits im Jahr 2010. Ich habe jetzt Bertold Huber acht Jahre später gefragt, was wir denn wirklich bis heute aus der Wirtschafts- und Finanzkrise gelernt haben.
Berthold Huber: Zu wenig. Sie haben zwar die Krise in Deutschland, die ja keine deutsche Krise ist, sondern eine globale Finanzkrise war und teilweise heute noch ist. Wir haben die zwar ganz gut hingekriegt, wir haben über verschiedene Maßnahmen – die Verlängerung der Kurzarbeit einschließlich Weiterbildungsmöglichkeiten in dieser Zeit, wir hatten den Bürgschaftsrahmen erweitert bekommen für Unternehmensfinanzierungen, wir haben die Umweltprämie für Altautos auf den Weg gebracht, wir haben Investitionspakete 1 und 2 durch die Politik verabschiedet bekommen mit einem Volumen über 60 Milliarden zusammen.

"Nach wie vor laxe Eigenkapitalfinanzierung"

Das hat alles geholfen, dass man sozusagen relativ schnell aus der akuten Krise rausgekommen ist, die ja bedrohlich war für extrem viele Unternehmen und Arbeitsplätze, aber haben wir das überwunden? Ich glaube nicht. Wir haben nach wie vor eine laxe Eigenkapitalfinanzierung der Unternehmen, eine laxe Eigenkapitalfinanzierung der Banken, wir haben nach wie vor in manchen Banken das Thema Investmentbanking und, wenn ich darauf hinweisen darf, viele Risiken sind ja danach in dieser Zeit vor zehn Jahren ausgelagert worden in sogenannte Bad Banks, und alle beten zum lieben Gott, dass das nicht mal, wie soll ich sagen, zum Platzen kommt.
Kassel: Aber ich würde gern auf einen Unterschied, den ich sehe, aufmerksam machen, Herr Huber: All das, was Sie hier aufgezählt haben, all diese Maßnahmen und auch ein paar andere, die dazu geführt haben, dass die Wirtschaft im Prinzip heute wieder sehr gut dasteht in Deutschland, das waren doch eigentlich Maßnahmen, die uns geholfen haben, mit den Folgen der Finanzkrise umzugehen, Maßnahmen gegen die eigentliche Krise waren es ja eigentlich nicht.
Huber: Nein, das ist richtig. Ich persönlich bin der Meinung und war das schon damals und hab das auch vorgeschlagen, dass man für die Zukunft auch einen Rettungsschirm für die Unternehmen braucht. Wir hatten ja akute Liquiditätsprobleme in vielen Unternehmen, mit all den Gefährdungen. Wir haben in der Unternehmenspolitik nach wie vor den Shareholder-Value im Zentrum – die Rendite steht ganz oben und nicht das Interesse der Allgemeinheit und auch nicht der Arbeitnehmer.
Wir brauchen auch aus meiner Sicht eine Regulierung der Vermögens- und Finanzmärkte. Das ist nicht ausreichend, was da gemacht worden ist. Es ist was gemacht worden, aber nach wie vor ist Bank und Investmentbanking das normale Bankengeschäft zusammen. Wir haben Fortschritte bei den Steueroasen gemacht, aber das ist nicht hier ausreichend, und wir haben nach wie vor keine Finanztransaktionsteuer auf Aktien- und Devisengeschäfte. Und dann, wo ich auch drauf hinweisen möchte: Wir sind in der Frage der Demokratisierung der Wirtschaft nicht weitergekommen. Und das sehe ich alles als Punkte, die die nächste Finanzkrise jedenfalls möglich machen.

Vorwärts und schnell vergessen?

Kassel: Sie haben ja damals natürlich auch in Ihrer Funktion als erster Vorsitzender der größten deutschen Industriegewerkschaft auch in engem Kontakt mit der Politik gestanden und gehandelt. Haben Sie damals das Gefühl gehabt, dass viele Politiker damals noch gesagt haben, wir müssen jetzt erst mal mit den Folgen umgehen, aber wir haben die große Absicht, danach ans große Ganze zu gehen und, soweit das im nationalen Rahmen möglich ist, auch wirklich Grundsätzliches zu ändern, um solche Krisen zu verhindern, und dass dann einfach in dem Moment, wo die Folgen im Griff waren, das plötzlich wieder vergessen wurde und man das Gefühl hatte, na ja, so wichtig ist es doch nicht?
Huber: Doch, dieses Gefühl habe ich, so unter dem Motto: vorwärts und schnell vergessen. Das ist ein Fehler in meinen Augen. Das trifft aber nicht nur die Politik, sondern es trifft auch die Akteure in der Finanzindustrie, bei Banken, es trifft auch bei Unternehmen teilweise, wo man mit viel zu geringen Eigenkapitalausstattungen arbeitet, und am Shareholder-Value-Gedanken, nach dem die Rendite alles ist, hat sich auch nicht viel geändert. Auch Vorschläge, die wir gemacht haben, dass das Aktiengesetz erweitert wird, nämlich nicht nur auf das Wohl des Unternehmens, dem das Management verpflichtet ist, sondern auch das Wohl der Allgemeinheit, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Unternehmen, das ist alles sehr schnell vergessen worden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt am 25.11.2013 auf einem außerordentlichen Gewerkschaftstag in Frankfurt am Main (Hessen) neben Ex-IG-Metall-Chef Berthold Huber. Foto: Boris Roessler/dpa
Ein guter Draht zur Kanzlerin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt am 25.11.2013 auf einem außerordentlichen Gewerkschaftstag in Frankfurt am Main (Hessen) neben Ex-IG-Metall-Chef Berthold Huber. Foto: Boris Roessler/dpa© picture alliance / dpa / Boris Roessler
Ich will hinzufügen: Am Anfang waren viele, auch aus der Ökonomie, der Meinung, ja, so kann es nicht weitergehen. Das war im Jahre 2009 so das Klima. Spätestens ab Mitte 2010 waren diese Stimmen nicht mehr zu hören. Es waren die alten Stimmen, man hat ja die große Krise ganz offensichtlich ganz überraschend schnell überwunden beziehungsweise war auf dem Weg aus dieser großen Krise heraus, in Deutschland jedenfalls, und seither ist nicht viel passiert. Gut, die Steueroasenfrage ist angepackt worden, die Eigenkapitalquote auch, aber das ist alles nicht hinreichend und ausreichend.

Heute gibt es weniger internationale Kooperationsbereitschaft

Kassel: Hat man da vielleicht auch einen sehr guten Zeitpunkt inzwischen wirklich verpasst? Ich frage das, weil ja die internationale Bereitschaft zur Zusammenarbeit doch nachgelassen zu haben scheint.
Huber: Richtig.
Kassel: Wir sehen das auch in Europa, wir müssen Stichworte wie Brexit und vieles andere gar nicht im Einzelnen benennen da, glaube ich. Man hat ja damals schon gehört, wenn wir irgendwas an der Börse in Frankfurt verbieten, wird es halt in London gemacht oder in Singapur oder in New York oder sonst wo. Das Argument hat mich damals nicht ganz überzeugt, heute würde ich sagen, doch, heute ist es so. Ein Land wie Großbritannien droht ja schon an, wir machen uns zur Steueroase, wenn wir keinen Deal hinbekommen. Das heißt, es ist heute doch fast schwieriger, was zu ändern, als vielleicht vor fünf bis zehn Jahren.
Huber: Zweifellos. Ich glaube, dass man auch sagen kann, dass auch international der Gedanke, wir wollen nicht mehr in diese Gefährdungslage kommen, sehr viel ausgeprägter war wie heute. Und ich glaube, man kann schon auch feststellen – ich denke, ich geh da nicht zu weit –, dass im Gegensatz zu konjunkturellen Krisen die Finanzkrisen, so wie wir sie erlebt haben 2008 folgende, und das gab es ja öfters, wenn ich an die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre erinnere, da kommen auch Dinge zum Vorschein, die bei normalen konjunkturellen Krisen nicht zum Vorschein kommen.
Zum Beispiel diese ganzen Rechtspopulisten, alle diejenigen, die nur Schuldige suchen und nicht die Frage stellen, was können wir tun und was müssen wir tun, damit es nicht mehr so weit kommt. Also, Sie sehen das in Frankreich, Sie können das auch in Deutschland sehen, das ist die Geburtsstunde von Pegida und das ist die Geburtsstunde von AfD in Deutschland oder von Front National in Frankreich, und es ist auch die Geburtsstunde vom Brexit. Und da muss überlegt werden oder muss zumindest bedacht werden, das alles fällt ja nicht vom Himmel, sondern es hat seine Ursachen.

"Wir waren nicht konsequent genug"

Kassel: Sie haben das alles überwiegend als Vertreter der großen Gewerkschaft miterlebt, welche Chancen haben vielleicht auch Gewerkschaften verpasst? Ich meine, es ist ja verständlich und Ehre, wem Ehre gebührt, Sie persönlich haben das ja intensiv getan, dass man als Gewerkschafter damals gesagt hat, wir müssen Arbeitsplätze retten, wir müssen Firmenpleiten verhindern et cetera, das hat auch ganz funktioniert, aber haben vielleicht Gewerkschaften auch die Gelegenheit verpasst damals, zu sagen, wir spielen hier auch mit, Kurzarbeit und vieles andere nehmen wir selbstverständlich hin, aber wir bestehen darauf, danach muss sich grundsätzlich was ändern? Ich hab so das Gefühl, die Gewerkschaften bestehen darauf ja auch nicht.
Huber: Auf jeden Fall, Herr Kassel, war der Wille dazu da, und diese Vorschläge gibt es ja auch – also was unter der Rubrik Demokratisierung der Wirtschaft steht und Orientierung nicht an kurzfristigem Shareholder-Value, sondern an langfristigen, nachhaltigen Entwicklungen von Ökonomie und Gesellschaft. Das war guter Wille, aber wir haben es nicht durchsetzen können, und ich denke, wir waren an der Stelle nicht, wie soll ich sagen, nicht konsequent genug. Das würde ich sehr wohl so sehen und würde das auch selbstkritisch anmerken, dass wir nicht die nötige Konsequenz bei diesem Thema haben walten lassen.
Kassel: Sagt Bertold Huber, der von 2007 bis 2013, also auch auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, der erste Vorsitzende der IG Metall war.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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