Wenn die Eltern sterben

Gespräche am Lebensende

87:28 Minuten
Illustration: Eine Alte Dame schaut auf Familienfotos an einer Wand.
Viele Eltern gehören zur Kriegsgeneration, sie haben Not, Vertreibung, Tod erlebt. Und über sehr vieles davon haben sie nie geredet. Das Trauma bleibt und wird unter Umständen an die Folgegenerationen weitergegeben. © imago / Ikon Images / Veronica Grech
Moderation: Katrin Heise  · 19.02.2022
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Wenn sich die Eltern dem Ende ihres Lebens nähern, kommen viele Fragen auf. Was weiß man über das Leben dieser Generation? Welche Erfahrungen, welche Traumata haben sie weitergegeben? Wie können Kinder und Eltern darüber offen miteinander reden?
Viele aus der Babyboomer-Generation erleben gerade den Abschied von ihren Eltern. Das Verhältnis kehrt sich um. Nun sind die Kinder die Kümmerer, die Eltern bedürftig. Es ist auch ein Abschied von einer gemeinsamen Zeit. Und es ist die Gelegenheit, auf das Leben der Eltern zurückzublicken.
Aber wie führt man solche Gespräche? Viele Eltern gehören zur Kriegsgeneration, sie haben Bedrohung erlebt, Not, Vertreibung, Tod. Andere fühlen sich schuldig. Meist wurde in den Familien nicht oder nur bruchstückhaft darüber gesprochen, zu oft geschwiegen, von beiden Seiten. Das Trauma bleibt und wird unter Umständen an die Folgegenerationen weitergegeben. Wie kann man diesen Knoten lösen und miteinander ins Gespräch kommen?

Gespräche als „seelisches Großreinemachen“

„Ich weiß, wie wenig selbstverständlich es ist, dass das Gespräch zwischen den Generationen am Lebensende glückt“, sagt Jürgen Wiebicke. Der Journalist und Autor hatte dieses Glück. Über den intensiven Austausch mit seiner sterbenden Mutter hat er ein Buch geschrieben: „Sieben Heringe. Meine Mutter, das Schweigen der Kriegskinder und das Sprechen vor dem Sterben.“
Die Gespräche seien für beide ein „seelisches Großreinemachen“ gewesen, denn die Mutter habe vieles zum ersten Mal erzählt. Für ihn als Sohn „eine Archäologie meines Lebens, ein Schlüssel, um zu mir selbst zu finden und zu der Wirksamkeit von Prägungen“, so Wiebicke rückblickend.

Die Flaschenpost, die man an die 3. Generation schickt

Er habe gemerkt, was auch er für einen „Rucksack“ mitbekommen habe von seinen Eltern. Er stellt sich die Frage: „Was geschieht mit der 3. Generation? Wo ist die Flaschenpost, die man weitergibt?“
Seine Erfahrung ist: „Was ich zeigen möchte, ist die Kraft und die Macht von Sprache. Man kann sehr viel lösen, wenn man das offene Sprechen ermutigt. Wenn man Fragen stellt, die nicht hart und schneidend sind, sondern erstmal wohlwollend.“

Die Macht familiärer Tabus

„Tabus haben eine große Macht“, sagt Udo Baer. Der Pädagoge, Therapeut und Autor beschäftigt sich seit langem mit den Folgen von Traumata. Gemeinsam mit seiner Frau, der Therapeutin Gabriele Frick-Baer, hat er unter anderem das Buch „Kriegserbe in der Seele“ geschrieben, auch als Anleitung für die verschiedenen Generationen, miteinander ins Gespräch zu kommen.  
Sein Rat: „Wenn es um die Weitergabe von Traumata geht, dann gilt es, unser eigenes Gepäck im Rucksack und das unserer Eltern und Großeltern auseinander zu sortieren. Ist das meins? Will ich das? Da gibt es keine leichten Antworten, es ist eine Suchbewegung. Aber dieser Prozess ist wichtig und notwendig. Ebenso wie miteinander reden und das Auflösen verhärteter Emotionen.“

Wenn die Eltern sterben - Gespräche am Lebensende
Darüber diskutiert Katrin Heise heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit dem Therapeuten Udo Baer und dem Journalisten Jürgen Wiebicke. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de.

(sus)

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