Gespräch und Musik

Begegnungen mit Helmut Lachenmann

Der Komponist Helmut Lachenmann (l.) und der Musikredakteur Rainer Pöllmann.
Der Komponist Helmut Lachenmann (l.) mit dem Musikredakteur Rainer Pöllmann © privat
30.07.2014
Helmut Lachenmann, geboren 1935 in Stuttgart, ist einer der berühmtesten und wirkungsmächtigsten Komponisten der Gegenwart, der unsere Hörgewohnheiten und unser Denken über Musik grundlegend verändert hat. In sieben Folgen spricht Lachenmann über seine künstlerische Entwicklung, seine Ästhetik und seine Erlebnisse mit Musikern und Institutionen.
Ein Komponist, der seit fast 50 Jahren mit seiner differenzierten Klangwelt und seinem konsequent die Gesellschaft herausfordernden Kunstbegriff Vorbild und Herausforderung für Generationen von Komponisten und Kunstschaffenden ist.
Sein Werk steht im Kontext abendländischer Musiktradition, die aber einer kritischen Reflexion unterworfen wird. Mit seiner Musik und seinen theoretischen Texten hat Helmut Lachenmann unsere Art des Hörens verändert, mehr noch: unser ganzes Denken über Musik. Und nicht zuletzt ist er auch ein scharfer und hellsichtiger Beobachter der politischen Verhältnisse, ein unerbittlicher Kämpfer für die Freiheit der Kunst von inneren und äußeren Zwängen, gegen ihre Vereinnahmung und Funktionalisierung.
In den 1970er-Jahren noch heftig angefeindet, ist Lachenmann seit vielen Jahren schon ein weithin verehrter Künstler, zu dessen 80. Geburtstag im nächsten Jahr zahlreiche Veranstaltungen geplant werden. In sieben Folgen der Gesprächsreihe "Begegnungen" spricht Helmut Lachenmann mit Rainer Pöllmann über seine künstlerische Entwicklung, seine Ästhetik und seine Erlebnisse mit Musikern und Institutionen.
"Komponieren heißt, das Material neu zu definieren"
Nach dem Studium bei Luigi Nono 1959/1960, künstlerischen Erfahrungen mit Stockhausen, Cage und anderen sowie ersten kompositorischen Suchbewegungen entstehen ab Mitte der 1960er-Jahre die ersten Werke, in denen Lachenmann künstlerische Eigenart deutlich hervortritt: ein Streichtrio, das „trio fluido" für Klarinette, Viola und Schlagzeug, „Interieur I" für Schlagzeug und zwei Chorwerke (Consolation I und II).
Gegen Ende der 1960er-Jahre – in einer politisch aufgeladenen Zeit – entwickelt Helmut Lachenmann dann die von ihm so genannte „Musique concrète instrumentale". In deren Zentrum steht der konkrete Klang, der so weit wie möglich von allen Hörgewohnheiten, Konventionen und historischen Verkrustungen befreit werden soll. Das Geräusch tritt gleichberechtigt neben den Ton, eine Unterscheidung in "schön" und "hässlich" wird obsolet. Ziel des Hörens ist, was Lachenmann selbst gerne "Heiterkeit" nennt: eine hellwache Offenheit, frei von Festlegungen und (selbstauferlegten) Beschränkungen.
Erste Werke dieser "Musique concrète instrumentale" sind "temA" für Flöte, Stimme und Violoncello sowie drei Solowerke für Violoncello ("Pression"), Klarinette ("dal niente") und Klavier ("Guero"). Außerdem entstehen Orchesterwerke wie "Air" für großes Orchester mit Schlagzeug, "Kontrakadenz" für großes Orchester oder "Klangschatten – mein Saitenspiel" für 48 Streicher und drei Konzertflügel. Ein zentrales Werk jener Jahre ist auch das erste Streichquartett "Gran Torso".
Die "Musique concrète instrumentale" wird bis zum Ende der 1970er-Jahre zur bestimmenden Ästhetik im Werk Helmut Lachenmanns und löst nicht selten Verstörung und scharfe Ablehnung aus. Die Radikalität jener Werke ist auch heute noch spürbar, inzwischen wird aber auch ihnen höchste Wertschätzung zuteil.
Im dritten Teil der "Begegnungen" spricht Helmut Lachenmann über die ästhetischen Grundlagen der "Musique concrète instrumental": über dialektisches Komponieren und die Notwendigkeit strukturalistischen Denkens, über seine Arbeit mit Musikern und schließlich auch über die Schwierigkeiten einer "Musique concrète vocale".
Begegnungen mit dem Komponisten Helmut Lachenmann
Eine Sendung in 7 Teilen von Rainer Pöllmann.
Teil 3: Die Entwicklung der Musique concrète instrumental
Mit Ausschnitten aus folgenden Werken Helmut Lachenmanns:
"Kontrakadenz" für großes Orchester (1970/71)
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart
Leitung: Michael Gielen
"temA" für Flöte, Stimme (Mezzosopran) und Violoncello (1968)
Linda Hirst, Mezzosopran
Martin Fahlenbock, Flöte
Lucas Fels, Violoncello
"Pression" für einen Cellisten (1969/1970)
Lucas Fels, Violoncello

"Gran Torso" Musik für Streichquartett (1971/72)
Berner Streichquartett

"Got lost" Musik für Stimme und Klavier (2007/2008)
Elizabeth Keusch, Stimme
Yukiko Sugawara, Klavier

Die vierte Folge der Begegnungen mit Helmut Lachenmann senden wir am 06. August 2014 um 20:03 Uhr. Im Zentrum stehen dann die Orchesterwerke der 1970er-Jahre und der Widerstand, der Lachenmann aus dem Kulturbetrieb entgegenschlug.

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