Gesellschaftliche Probleme mit unternehmerischen Mitteln lösen

Hans Reitz im Gespräch mit Britta Bürger |
"Social Business" ist gemeinnützig und erzielt keine Rendite, kann aber von Joint-Ventures mit gewinnorientierten Unternehmen inhaltlich profitieren - sagt Hans Reitz, Gründer einer "Social-Business-GmbH" in Wiesbaden.
Britta Bürger: Vor etwa sechs Jahren tauchte der Begriff Social Business zum ersten Mal auf und kursierte schnell in Talkshows und Wissenschaftsmagazinen, auf Podiumsdiskussionen und internationalen Konferenzen. Anhänger sprechen jetzt längst von einer neuen wirtschaftlichen sozialen Bewegung. Was also ist Social Business?

Social Business, ein Geschäftsmodell, dem sich auch der Unternehmer Hans Reitz verschrieben hat. Er ist Inhaber der Wiesbadener Event-Agentur circ und leitet die Social-Business-GmbH Grameen Creative Lab, das ist eine Beraterfirma, die er vor zwei Jahren zusammen mit dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus gegründet hat. Und jetzt ist Herr Reitz für uns am Telefon, schönen guten Morgen!

Hans Reitz: Schönen guten Morgen!

Bürger: Was war für Sie persönlich die Initialzündung, Ihr Geschäftsmodell auf soziale Ziele hin auszurichten?

Reitz: Ich glaube, dass man dieses Thema schon von Kindheit auf in sich trägt. Und als ich dann über die Idee von Social Business gelesen habe, Professor Yunus kennengelernt habe, war mir eigentlich ganz klar, dass man noch schärfer, noch konkreter seinen inneren Wert darauf ausrichten kann. Ich glaube, das hat man schon, wie ich gerade gesagt habe, von Kindheit auf in sich.

Bürger: Sie selbst leiten eine Event-Agentur. Was ist daran sozial und wie sehen konkret darauf bezogen Ihre sozialen Ziele aus?

Reitz: Ja, also, die Event-Agentur ist mittlerweile 18 Jahre alt und das ist eins von zwölf Unternehmen, was ich aufgebaut habe. Als ich 2007 Professor Yunus kennengelernt habe, habe ich mich überwiegend von den meisten Unternehmen, die ich hatte, getrennt und habe mich fokussiert auf ein paar wenige. Da ich über die Agentur circ sehr gute Kontakte in die Wirtschaft hatte, habe ich die nach Beratung mit Professor Yunus behalten und gesagt, okay, wir machen hier die Arbeit weiter, der überschüssige Gewinn fließt dazu dann ein, um Veranstaltungen, verschiedene Workshops und Austausch zum Thema Social Business zu haben. Also, für die Event-Agentur ist es so, dass wir am 31.12.2008 gesagt haben, wir arbeiten weiter, der Überschuss geht aber dann in andere Projekte.

Bürger: Okay, also das ist diese eine Firma. Sie haben gesagt, da sind viele andere, unter anderem ist das eine kleine Kaffeehauskette mit fair gehandeltem Kaffee, die Sie gegründet haben, ein Kindermodengeschäft, ein afghanisches Restaurant und eben noch einige mehr, mit denen Sie insgesamt, so war zu lesen, rund 20 Millionen Euro im Jahr verdienen. In welcher Weise tragen jetzt Ihre Gewinne dazu bei, ganz konkret Armut zu mindern, was machen Sie mit den Gewinnen?

Reitz: Also, die Gewinne werden immer wieder reinvestiert, jetzt zum Beispiel ganz konkret mit dem "Lalaland" in Wiesbaden hier ist es so, dass wir alles Mögliche versuchen, das Beste und Liebste für das Kind zu tun. Wir haben hier mit den lokalen Anbietern, mit dem "Flummy", der über 13.000 Familien kontaktiert hat, versuchen wir, für junge Familien einen Platz zu geben, in dem man sich in eine Gemeinschaft vernetzen kann, da eine immer größer werdende Anonymität in den Städten herrscht. Gerade in Wiesbaden oder in anderen Städten ist das oft so der Fall. Beim "Perfect Day", das ist eines meiner Lieblingsprojekte, die ich allerdings schon sehr viel länger leite ...

Bürger: ... das ist die Kaffeehauskette ...

Reitz: ... genau, und hier geht es ganz weit, viel weiter als jetzt nur Fair Trade, im Fair handeln Sie ungefähr mit 30 bis 40 Prozent mehr pro Kilo Kaffee. Wir haben ein System aufgebaut, in dem der Bauer und das Land am Kaffeehaus beteiligt ist. Das heißt also, wir zahlen konkret an die sechs US-Dollar pro Kilo und weitere sieben US-Dollar für neuen Wald, der sich dann generiert. Und da ist jedes Kaffee auch eine kleine Revoluzzerzelle in Wiesbaden, in der man einfach immer über Social Business und über neue Ideen spricht. Also, ein ganz tolles Projekt schon, "Perfect Day".

Bürger: Wie würden Sie das allgemein beschreiben, welchen Kriterien hat ein Social Business zu folgen? Also, worin liegt der radikale Unterschied zu Unternehmen, die in erster Linie Profit machen wollen, der dann einigen Führungskräften zugeht?

Reitz: Ja, also, ich weiß nicht, das ist jetzt eine zusätzliche Frage, ob das dann den Führungskräften zugeht. Im ersten Sinne ist es natürlich sozusagen, hier gibt es irgendwie ein gesellschaftlich drängendes Problem, das man lösen möchte. Das kann die Überwindung von Armut sein, das kann aber auch genau so die schwierige Situation der alleinerziehenden Mutter in unserer Gesellschaft sein. Das kann aber auch das sein, wie viel Menschen und vor allem Frauen über 45 keinen Arbeitsplatz mehr in unserer Gesellschaft finden. Also, es gibt in jeder Gesellschaft sehr viel drängende Fragen und im Social Business, im Idealbild, geht es darum zu sagen, der Unternehmer konzentriert sich auf ein Thema und dieses Thema löst er mit unternehmerischen Mitteln.

Bürger: Darüber hinaus vermitteln Sie mittlerweile aber auch sogenannte Joint Ventures, womit Sie auch mit großen Konzernen zusammenarbeiten, mit BASF zum Beispiel, mit E.ON, aber auch mit Danone. Warum ist das jetzt noch ein Social Business? Ermöglichen Sie solchen Firmen nicht im Grunde nur neue Märkte, damit die, ja, auch wenn es Moskitonetze oder Joghurt ist, die in anderen Ländern vertreiben können?

Reitz: Ja, das kann schon gut sein, dass die den einen oder anderen Benefit daraus haben. Unser Fokus liegt darauf, das Problem zu lösen. Also, wenn wir mit Danone da zusammen ein Joint Venture haben, dann ist das eine eigene, unabhängige Firma, die Grameen Danone, also, die in Bangladesch, und die konzentriert sich ganz klar auf das Thema, wie man die Unterernährung und die Mangelernährung der Kinder ausrottet.

Bürger: Aber können die Menschen sich den Danone-Joghurt leisten?

Reitz: Ja, die Zielsetzung von Unternehmen ist es ja genau, diesen Joghurt so günstig wie möglich zu produzieren. Sehen Sie, wenn Sie heute in einem gewinnmaximierenden Unternehmen arbeiten, haben Sie diese Brille auch auf. Wenn Sie heute im Social Business arbeiten, ziehen Sie die Brille auf, wie löse ich das Problem. Und ja, klar können sich in den Projekten mit anfänglichen Schwierigkeiten wie mit allen anderen Projekten auch, die es gibt in der Wirtschaft, schaffen wir es immer mehr, dass wir den Joghurt noch effizienter und noch effizienter gestalten, dass ihn sich die Ärmsten der Ärmsten leisten können.

Bürger: Im Bereich der Mikrokredite, da gab es immer wieder Fälle von Missbrauch. Da wurden zum Beispiel horrende Zinsen genommen, die Kleistunternehmerinnen in Afrika und Asien dann nie im Leben zurückzahlen konnten. Auch bei uns hier gibt es ja immer wieder Fälle, in denen gemeinnützige Projekte Gelder veruntreuen, jüngstes Beispiel war zum Beispiel Treberhilfe in Berlin. Wer kontrolliert bei Ihren Projekten, ob ein Social Business tatsächlich gemeinnützig und nachhaltig arbeitet?

Reitz: Ach, wir sind heute Gott sei Dank in der tollen Lage, dass wir mit Medien und mit den Blogs so eine soziale Kontrolle haben, dass sich es heute kaum einer leisten kann. Wissen Sie, wenn Sie heute ankündigen, Sie machen ein Social Business oder Sie gehen in diesen Bereich rein, dann werden Sie so hart und kritisch von allen Seiten betrachtet, dass schon kaum einer sich zu sagen traut, dass er etwas versucht. Das sind alles anfängliche Versuche um zu sagen, wir wollen Menschen, also die Unternehmen und die Leute, die das entscheiden, die finden eine Idee vor und sagen, das sollte man ausprobieren, ob diese Idee auch wirklich Sinn macht. Und wenn sie Sinn macht, dann geht es weiter nach vorne. Im Moment ist Social Business noch eine ganz junge Idee, die einzelnen Unternehmer, die dahinterstehen, haben bis jetzt mit Sicherheit noch keinen Profit daraus gezogen oder auch irgendwelchen Geschäftsführern hohe Gehälter bezahlt, sondern es geht darum: Funktioniert die Idee oder funktioniert die Idee nicht?

Bürger: Sie sagen, die einzelnen Unternehmer. Wie viele gibt es denn in Deutschland zum Beispiel?

Reitz: Also, wir haben noch leider keine Untersuchung, aber ich selber oder wir selber über Grameen Creative Lab haben es mal so durchgezählt: Also, ungefähr 60 Unternehmen, die jetzt in den letzten 24 Monaten mit initiiert haben. Eines der wunderschönsten ist zum Beispiel "Mammu" in Riga, wo Fionn, ein junger Designer, mit 2000 Dollar angefangen hat, ein Social-Business-Fashion-Label hochzuziehen, wo Mütter Design-Objekte gestalten. Und er hat jetzt sage und schreibe nach zwei Jahren über 27 Angestellte. Da gibt es eigentlich nur Respekt auszudrücken. Und so gibt es sehr viele kleine wunderschöne Projekte, wo Menschen einfach versuchen, ihrem Wunsch nachzugehen und die Gesellschaft gerechter zu gestalten, mit den Mitteln unternehmerisch tätig zu sein.

Bürger: Es gibt die Kleinen, aber es gibt eben auch die Großen. In der "Wirtschaftswoche", da wurde über Sie geschrieben, dass Sie für manchen DAX-Vorstand gewöhnungsbedürftig seien. Was für Argumente müssen Sie sich so anhören und wie bringen Sie diese Leute dann zum Nachdenken über Veränderungen?

Reitz: Ja gut, also ... Ich glaube, also, gerade im Topmanagement-Bereich ist es heute weit, also, wo ich jetzt seit 16 Jahren auch mit dabei bin, ist es heute oft weiter, als wir uns im Allgemeinen vorstellen, dass Sie viel in engeren Entscheidungsspielräumen entscheiden können. Und Sie sind ja oft ganz stark getrieben von Entscheidungen, die der Kapitalmarkt auch vorgibt oder einfach, die der Markt Sie dazu drängt. Wenn man mit den Menschen alleine spricht, haben die natürlich eine hohe Sensibilität, was das Umfeld angeht und die gesellschaftliche Entwicklung. Dann kriegt man sie immer wieder sehr stark und dann muss man nicht lange reden, weil da ist das Verständnis von denen da. Die Frage ist, was zwei Tage später, wie schnell das dann wieder vergessen ist, weil andere Themen leiden...

Bürger: ... ob aus Worten Taten werden.

Reitz: Genau. Ja, oder aus Gehörtem, tatsächlich der Freiraum besteht, in seiner Position diese Entscheidungen zu treffen oder ... Bei Danone zum Beispiel war das Thema, dass die gar kein Geld anlegen durften, was keine Dividende erwirtschaften darf, also, gesetzlich gesehen. Darauf hin mussten die erst mal ihre Aktionäre fragen, ob die wiederum einverstanden sind, Kapital so anzulegen, dass keine Dividende erwirtschaftet wird. Und das dauerte natürlich einen Prozess, die Danone, brauchten für ihr Joint Venture mit Grameen eine halbe Million Euro und haben dann ihre Aktionäre gefragt. Und die Aktionäre haben ein Prozent von der Dividende freigegeben, was damals circa 30 Millionen Euro war. Und nachdem man sie mal gefragt hat, haben sie auch Ja gesagt. Und ich glaube, der eine oder andere Vorstand sollte den Mut haben, seine Aktionäre mal zu fragen, ob sie denn willig wären, Geld so einzusetzen, dass sie nicht auf die maximale Dividende auszielen, sondern auf Werteschaffen ausgerichtet sind. Das ist aber ein Prozess und es braucht Mut von den Topmanagern.

Bürger: Der Unternehmer Hans Reitz engagiert sich im Bereich Social Business. Herr Reitz, ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Reitz: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema