Paradiesgarten oder Zwangsort

Warum Religionen Männer und Frauen oft auseinanderhalten

Ein iranisches Mädchen beobachtet vom Frauenbereich einer Moschee wie die die Männer beten
Getrennte Bereiche für Frauen und Männer gibt es vielen Religionen © picture alliance / NurPhoto / Dominika Zarzycka
Von Kirsten Dietrich · 08.06.2023
Die Unterscheidung zwischen Mann und Frau wird in vielen religiösen Urtexten als eindeutig und gottgegeben angesehen. Das hat Folgen für das Zusammenleben bis heute. Ist diese Trennung überhaupt noch zeitgemäß?

Warum gibt es in vielen Religionen eine Geschlechtertrennung?

Die großen Religionen sind vor 2.500 bis 1.500 Jahren entstanden und damit in vormodernen Gesellschaften, die patriarchal organisiert waren. Das bedeutete: unterschiedliche Rollen und auch oft getrennte Räume für Frauen und Männer.
Diese Umstände spiegeln sich auch in den religiösen Praktiken, Ordnungen, Ritualen. Denn auch wenn sie auf göttliche Offenbarungen zurückgeführt werden: Es sind die Menschen in ihren jeweiligen Lebensformen, die sie in Worte fassen.

Gibt es theologische Gründe für Geschlechtertrennung?

Die Unterscheidung zwischen Mann und Frau wird in vielen religiösen Urtexten als eindeutig und gottgegeben angesehen, Fortpflanzung als grundlegender Auftrag an die Menschheit.
Ein wichtiger Zweck von Religion war es zudem, generelle Lebensunsicherheiten zu deuten. Sie gaben und geben Erklärungen für das, was sonst nicht erklärbar scheint - deuten Tod, Krieg, Leid. Außerdem stabilisieren sie natürlich auch Gesellschaften. Entscheidend dabei ist die Regulierung von Sexualität und damit von Familie, Bindung, Generationenfolge.
In patriarchalen Gesellschaft war es dabei offenbar am einfachsten, die als weiblich verstandenen Mitglieder der Gemeinschaft stärker zu regulieren. Vorschriften dazu, wie Frauen sich zu kleiden haben, sodass sie keinen Anstoß – sprich: kein unkontrolliertes männliches Begehren – erwecken, gehören zum Grundbestand von Judentum, Christentum und Islam.
In der praktischen Umsetzung führte das oft zu möglichst getrennten Lebensbereichen für Männer und Frauen. Im Gottesdienst bedeutet das oft: Männer und Frauen nehmen voneinander getrennt daran teil, in separaten Räumen oder getrennt durch einen Vorhang. In manchen christlichen Landgemeinden ist es auch in Deutschland noch üblich, dass Frauen auf der einen Seite der Kirche sitzen, Männer auf der anderen.

Gibt es Religionen, in denen das irrelevant ist?

In jüngeren Religionen ist das Thema Geschlechtertrennung nicht so relevant, weil sie in moderneren Gesellschaften mit anderen Geschlechterrollen entstanden sind. So gibt es zum Beispiel bei den Bahai, die im 19. Jahrhundert in Persien entstanden sind, keine ausdrückliche Geschlechtertrennung. (Das heißt allerdings nicht, dass Frauen wirklich alle Leitungsämter übernehmen können.)

Wie stehen Religionen zu nicht-binären Geschlechtsidentitäten?

In Religionen wie Christentum und Judentum taucht das als Frage erst in der jüngeren Zeit auf und wird je nach Offenheit der Gemeinde unterschiedlich beantwortet. Im Islam haben sich regional manchmal eigene kulturelle Formen gebildet: So sind in Pakistan die sogenannten Khwaja Sira als „drittes Geschlecht“ akzeptiert. Sie leben meist in eigenen kleinen Gemeinschaften – auch hier also wieder: Geschlechtertrennung – und haben klare Aufgaben für die Gemeinschaft.

Welche Folgen hat die Geschlechtertrennung in den Religionen?

Da haben sich in jeder Religion ganz verschiedene Formen entwickelt – man kann nicht sagen, „der Islam“ oder „das Judentum“ halte es generell so und so. Sicher kann man sagen, dass konservative Ausprägungen einer Religion mehr Wert auf Geschlechtertrennung legen.
Eine andere Frage ist, wie das die jeweiligen Gläubigen empfinden. Die Ahmadiyya-Gemeinschaft zum Beispiel lebt eine sehr konservative Ausprägung des Islams. In ihren getrennten Lebensbereichen haben aber auch die Frauen viele Möglichkeiten, sich zu organisieren und etwa gemeinsam zu lernen.

Bedeutet Geschlechtertrennung immer Unterdrückung?

Im modernen Blick von außen erscheint das schnell so. Aus den Religionen heraus sieht das vielfältiger aus. Es gibt religiöse Frauen, die die ihnen zugewiesenen Frauenräume und Frauenrollen als Zwang empfinden. Sie verlassen dann teilweise ihre Gemeinschaften.
Aber das muss nicht notwendig sein: In Klöstern zum Beispiel leben Frauen (und Männer) jeweils strikt getrennt vom anderen Geschlecht und auch von der nicht religiösen Welt. Trotzdem haben Nonnen im Mittelalter ihre Klöster vor allem als Ort der besonderen Nähe zu Gott erlebt und als Chance für Bildung. Mehr Paradiesgarten, weniger Gefängnis.

Ist das überhaupt noch zeitgemäß?

Das hängt von der Perspektive ab: In manchen Gemeinden fordern Frauen sogar getrennte Räume ein, um unabhängig von Männern eigene Formen von Glauben leben zu können. So haben sich zum Beispiel in der deutschen evangelischen Kirche seit den 70er-Jahren immer wieder Zentren gegründet, in denen Frauen nur mit Frauen vor allem über feministische Theologie nachdenken wollten. Viele von ihnen sind inzwischen wieder aufgelöst oder beschäftigen sich in einem weiteren Fokus mit Gerechtigkeits- und Genderfragen.
In manchen Traditionen des weltweiten Buddhismus dagegen formulieren Frauen gerade aus Frauengemeinschaften wie Orden heraus Zugang zu mehr Rechten und Teilhabe.
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