Geschichtsdebatten

Komplexität auszublenden ist totalitär

05:36 Minuten
Ein Straßenschild hängt in der Hindenburgstraße in Hannover (Niedersachsen).
Straßen umzubenennen, sei eine heikle Angelegenheit, sagt der Historiker Andreas Rödder. Doch er nennt Fälle, wo dies geboten sei. © dpa/Julian Stratenschulte
Andreas Rödder im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 09.07.2020
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Geschichtsdebatten dienten heute oft vor allem der Selbstverständigung, kritisiert der Historiker Andreas Rödder. Er plädiert dafür, ein vernünftiges Maß im Umgang mit dem historischen Erbe zu finden. Das könne auch heißen, es anzunehmen.
Die derzeitigen Debatten über die Umbenennung von Straßennamen oder den Sturz von Denkmälern sagten mehr über unser heutiges Selbstverständnis aus als über die Geschichte, meint unser Studiogast, der Mainzer Historiker Andreas Rödder. "Geschichtsdebatten sind Selbstverständigungsdebatten." Eine Hindenburgstraße heiße so bereits seit 90 Jahren, nur die Einschätzung verändere sich. "Das sagt mehr über uns aus als über die historischen Gegenstände."

Absage an Extreme

Straßen umzubenennen, sei eine heikle und schwierige Angelegenheit: In der Debatte gebe es zwei Extreme, sagt Rödder. Auf der einen Seite gebe es die Vorstellung, dass etwas immer schon so gewesen sei und nichts verändert werden dürfe. "Unser Stadtraum als unveränderliches Museum ist das eine Problem."
Das andere sei der "Bildersturm". Da gehe es dann nicht nur um Hindenburg. "Jeder, der irgendwie rassistisch oder frauenfeindlich war – da bleibt kein Mann aus der Weltgeschichte im Grunde mehr übrig."
Die Auslöschung der Erinnerung, von Widersprüchlichkeit und Komplexität der Geschichte sei die Vorstellung, dass man eine neue, ganz reine Welt schaffen könne. "Das ist im Kern totalitär", sagt Rödder. "Wir müssen ein vernünftiges Maß und eine vernünftige Mitte dazwischen finden."
Der Historiker Andreas Rödder
Erinnerung dürfe nicht ausgelöscht werden, meint der Historiker Andreas Rödder.© Bert Bostelmann
Für ihn persönlich stelle sich allerdings auch die Frage, ob eine Hindenburgstraße nicht umbenannt werden sollte. "Wir sehen Hindenburg heute sehr viel kritischer als wir ihn noch vor 40, 50 Jahren gesehen haben." Er habe Adolf Hitler nicht nur als seniler Greis zum Reichskanzler ernannt, sondern auch als Oberster Befehlshaber historische Schuld auf sich geladen.
"Den wollen wir eigentlich in unserem Stadtbild nicht mehr als Namensgeber haben." Man könne aber auch sagen, die Straße heiße seit 90 Jahren so und es werde etwas Erklärendes ergänzt.
Rödder räumte ein, dass nach 1945 natürlich auch die Adolf-Hitler-Straßen umbenannt worden seien. Er finde es auch in Ordnung, wenn eine Straße umbenannt werde, wenn sich jemand im Rückblick als massiver Gewalttäter entpuppe.

Umgang mit historischem Erbe

Als weiteres Beispiel nannte der Historiker ein Quartier in Mainz, das nach Jagdfliegern benannt sei. "Was machen wir mit Richthofen, mit Möllern?" Das seien Jagdflieger im Ersten Weltkrieg gewesen, die in ihrer Zeit als Helden galten. "Wir würden heute sagen, für uns sind das natürlich keine Helden mehr." Aber müssten die Straßen deshalb umbenannt werden? "Oder können wir das historische Erbe annehmen?", so Rödder.
(gem)

Der Historiker Andreas Rödder ist Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zuletzt erschienen seine Bücher "Wer hat Angst vor Deutschland?" und "Konservativ 21.0". Rödder ist CDU-Mitglied.

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