Geschichte im Roman

Italiens Literaten blicken zurück auf Mussolini und die NS-Zeit

Porträtaufnahme von Benito Mussolini in Uniform
Benito Mussolini in Uniform: Unbequeme Beschäftigung mit dieser Zeit. © picture alliance / dpa
Maike Albath im Gespräch mit Andrea Gerk · 23.01.2019
Francesca Melandris Spurensuche "Alle, außer mir" war ein erster Blick zurück auf die Geschichte Italiens in einer schwierigen Zeit. Nun nehmen andere Autoren die Zeit des Faschismus unter die Lupe.
In der italienischen Literatur erscheinen gerade eine ganze Reihe von Romanen, die sich mit der Zeit des Faschismus und mit Mussolini befassen.
Francesca Melandris Spurensuche "Alle, außer mir" ist schon im vergangenen Jahr erschienen. Das Buch befasst sich mit der Kolonialgeschichte Italiens und mit dem Krieg in Abessinien 1935. Während die Geschichtsschreibung das Thema durchaus schon beleuchtet und auch sehr gut und kritisch bearbeitet habe, so unsere Kritikerin und Italien-Kennerin Maike Albath, sei es in der Literatur bis zum Erscheinen von Melandris Buch sehr unterbeleuchtet gewesen. Und das gelte auch für die gesellschaftliche Aufarbeitung. Historiker bemängelten immer wieder, diese Abrechnung habe gar nicht stattgefunden.

Kritik und Publikum in Italien uneins

Interessanterweise sei das Werk in Italien bei der Kritik sehr gut angekommen, aber der Erfolg beim Publikum sei nicht allzu groß gewesen, sowohl was Lesungen als auch was Verkäufe angehe. Die Diskussion über diese Zeit habe begonnen. Aber die Beschäftigung mit dieser Zeit sei natürlich auch unbequem. Im Prinzip habe sich Italien seit der Nachkriegszeit immer begriffen als eine Republik, die aus dem Widerstand geboren sei, und man habe verdrängt, dass in dem Land ein Bürgerkrieg getobt hat.
Nun gebe es aber ein Bewusstsein, mindestens bei Teilen der Leserschaft, und auch ein großes Interesse für diese Zeit, vielleicht, so mutmaßt Albath auch deshalb, weil das in der Regierungszeit von Silvio Berlusconi so ungebrochen vermittelt worden sei. Unter Berlusconi, das sagten die Historiker, habe ein Revisionismus eingesetzt, dass man sich sehr unkompliziert auf Mussolini beruft.
"Da setzt natürlich eine Gegenbewegung ein", sagt Alnath: Ein Beispiel sei ein glänzender Roman von Helene Janeczeks, "Das Mädchen mit der Leica", der auch den wichtigsten Literaturpreis bekommen hat, den Premio Strega 2018. Dabei gehe es aber um diese Zeit in ganz Europa, nicht nur Italien, und auch um den spanischen Bürgerkrieg, um Leipzig auch.

Ästhetische Verfahren und historisches Bewusstsein

"Er hat mir unter diesen vielen Romanen, die diese historische Phase wieder aufgreifen, am besten gefallen. Er hat mich literarisch am meisten überzeugt", sagt Albath. Janeczek ist in München aufgewachsen, ist polnisch-deutsche Jüdin und dann aber nach Italien gegangen, mit 18. "Ein ganz, ganz interessantes Buch – und da zeigt sich wieder, dass es bestimmte ästhetische Verfahren braucht und auch ein historisches Bewusstsein: Es muss Brechungen geben; es muss kenntlich gemacht werden, welches Dokumente sind; welches eine Vergangenheitsebene ist; welches fiktionale Hinzufügungen sind – dann kann es zu einer bedrängenden Lektüre werden, die auch die Vielfalt dieser historische Periode vermittelt."
Andernfalls bleibe es sehr leicht oder zu oberflächlich: Der Unterhaltungsfaktor dränge sich etwa bei Rosella Postorinos "Die Vorkosterinnen" in den Vordergrund, über Frauen, die für Hitler die Speisen vorgekosten haben sollen – was aber historisch nicht verbürgt sei.
Interessanter vielleicht: Extrem positiv wurde in Italien auch der Roman "M" besprochen, von Antonio Scurati, und hinter der Abkürzung "M" verbirgt sich niemand anders als Mussolini. Der erste Band der Trilogie erschien in Italien im Herbst, mit vielen Ebenen, mit über hundert Figuren, der erste Band gehe bis 1925. "Ich finde, dass es leicht passieren kann, dass man so dicht dran an Mussolini ist, dass dann auch etwas Identifikatorisches entsteht – und das finde ich sehr, sehr fragwürdig."
(mf)

Francesca Melandri: "Alle, außer mir"
Wagenbach, Berlin 2017
848 Seiten

Helene Janeczek: "La ragazza con la Leica"

Guanda, Mailand 2017

Rosella Postorino: "Le assaggiatrici"
Feltrinelli, Mailand 2018

Antonio Scurati: "M"
Giunti, Florenz 2018

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