Geschichte

Das Königreich Israel aus archäologischer Sicht

Jerusalem: Das Südreich hatte hier sein Zentrum.
Jerusalem: Das Südreich hatte hier sein Zentrum. Finkelstein beschreibt das Nordreich als das in jeder Hinsicht weiter und früher entwickelte. © Deutschlandradio Kultur / Philipp Eins
Von Winfried Dolderer · 01.11.2014
Der Archäologe Israel Finkelstein rüttelt mit seinem Buch "Das vergessene Königreich" am Geschichtsbild des Zionismus: Den Königen David und Salomo zugeschriebene Herrschaftsbauten seien nicht nachweisbar - sie seien stattdessen im Nordreich Israel entstanden.
Aus der Bibel kennen wir den König Jerobeam als Spalter. Er rebellierte gegen Salomon und brachte zehn der zwölf Stämme Israels auf seine Seite. Diese verweigerten dem rechtmäßigen Thronerben, Salomons Sohn Rehabeam, die Gefolgschaft. So zerfiel das Reich der Könige Saul, David und Salomon. Im Norden herrschte Jerobeam. Rehabeam blieb König eines stark verkleinerten Südreiches Juda, immerhin mit der legitimen Hauptstadt Jerusalem.
Doch Jerobeam war nicht nur ein Spalter, sondern auch ein Götzendiener. In den Heiligtümern von Sichem und Bet El ließ er vergoldete Stierfiguren aufstellen. Deshalb beschloss Gott den Untergang des Nordreiches Israel. Ein Urteil, das zwei Jahrhunderte nach Jerobeam die Assyrer vollstreckten.
Soweit die Version des Alten Testaments. Mit der historischen Realität, wie Israel Finkelstein sie in seinem Buch beschreibt, hat sie nicht viel zu tun.
"Für die wissenschaftliche Bibelforschung steht heute fest, dass die biblische Erzählung von einer großen vereinigten Monarchie ein literarisches Konstrukt ist, das für die Territorialideologie, die Vorstellungen von einem Königtum sowie die theologischen Ideen judäischer Autoren aus der späten Königszeit steht... Verwirft man die Vorstellung, dass das vereinigte Königreich eine historische Tatsache war, muss man davon ausgehen, dass die beiden hebräischen Königreiche unabhängig voneinander als eigenständige benachbarte politische Gebilde entstanden."
Ein Fach mit politischer Brisanz
Von diesen beiden war das Nordreich das bei weitem größere, wirtschaftlich potentere und in jeder Hinsicht weiter und früher entwickelte. In der biblischen Überlieferung führt es dennoch ein Schattendasein. Hier tritt uns das Südreich Juda mit Jerusalem als kultischem und politischem Zentrum und den Königen aus der davidischen Dynastie als der einzig legitime Traditionsquell zur Begründung jüdischer Identität entgegen. Dieses Bild zurechtzurücken, ist Finkelsteins Anliegen.
"Es ist (...) die Feldforschung, die eine archäologisch gestützte, von der judäischen Ideologie freie Sicht auf die Geschichte Israels ermöglicht und es damit erlaubt, die Geschichte des Alten Israel im allgemeinen und der beiden hebräischen Königreiche im besonderen ausgewogener zu rekonstruieren."
Finkelstein vertritt ein Fach, dem im Nahen Osten stets politische Brisanz anhaftet. Nicht zuletzt von palästinensischer Seite werden israelische Archäologen gerne verdächtigt, mit dem Spaten in der einen und der Bibel in der anderen Hand im Boden des Heiligen Landes nichts anderes als Fundamente jüdischer Gebietsansprüche zu suchen.
Finkelstein zählt in Israel zu den Kritikern eines solchen national-zionistischen Ansatzes. Seine Forschung tendiert vielmehr dazu, Groß-Israel-Visionen den Boden zu entziehen. Schließlich lautet seine These, dass es auch in biblischer Vorzeit, der Referenzperiode des radikalen Zionismus in der Siedlerbewegung, ein Groß-Israel nie gegeben hat.
Keine Monumentalarchitektur nachweisbar
Wiederholt merkt Finkelstein an, dass für das 10. Jahrhundert vor Christus, als nach biblischer Überlieferung die Könige David und Salomon geherrscht haben sollen, in Jerusalem keine Monumentalarchitektur nachweisbar ist. Solche Herrschaftsbauten entstanden erst hundert Jahre später. Aber nicht in Jerusalem, sondern im Nordreich Israel, das durch den Export von Olivenöl, Wein, Kupfer und Zuchtpferden prosperierte.
Der technische Aufwand war gewaltig. Hügel wurden abgeflacht, Abhänge aufgeschüttet, um Plattformen für Verwaltungssitze und Königburgen zu schaffen. Noch mit einem weiteren Hinweis rüttelt Finkelstein am Geschichtsbild des Zionismus: Eine homogen jüdische Bevölkerung habe nur das nach seinem Befund unbedeutende Südreich Juda besessen. Im Norden hätten Israeliten mit Kanaanäern, Aramäern und Moabitern zusammengelebt.
Der historische König Jerobeam, der Begründer des Nordreiches Israel, kam nach Finkelsteins Darstellung etwa um 930 zur Macht, zunächst wohl als Vasall der Ägypter. Seine Nachfolger erweiterten ihr Herrschaftsgebiet. Es erstreckte sich auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung vom Mittelmeer bis über den Jordan hinaus. Finkelstein schätzt die Bevölkerungszahl auf 350.000 Menschen, dreimal mehr als damals in Juda lebten. Dafür war das Nordreich offenbar ein attraktiveres Ziel für Eroberer. Bereits um 720 vor Christus fiel das Nordreich einem Angriff der Assyrer zum Opfer. Dies freilich, so Finkelstein, war nicht das Ende.
"Nicht als Königreich, sondern als ideelles Konzept"
"In einer überraschenden Wendung der Geschichte war Israel kurze Zeit später wieder da, allerdings nicht als Königreich, sondern als ideelles Konzept. Tatsächlich bahnte der Untergang des einen Israel den Weg zum Aufstieg eines anderen ideellen Israel, das nun aus zwölf Stämmen bestand und die beiden Reiche Israel und Juda umfasste."
Die Vernichtung des Nordreiches löste einen Strom von Flüchtlingen nach Juda aus. Sie brachten ihre historischen Überlieferungen mit und prägten damit das Geschichtsbild der Autoren, die hundert Jahre nach dem Untergang des Nordreiches die Königserzählungen des Alten Testaments verfassten. Für sie standen Jerusalem und die davidische Dynastie im Mittelpunkt. Doch sie übernahmen Traditionen aus dem Norden in entsprechend abgewandelter Form, um, wie Finkelstein vermutet, die Nachkommen der Zuzügler besser zu integrieren. So entstand die Legende vom Großreich Davids und Salomons und vom Spalter Jerobeam.
All dies ist eine faszinierende Geschichte. Finkelsteins Referate archäologischer Befunde mögen streckenweise ermüden. Doch die Lektüre lohnt sich. Sie vermittelt ein Bild der jüdischen Frühzeit auf dem aktuellen, für fachfremde Leser überraschend neuen Stand der Forschung.

Israel Finkelstein: Das vergessene Königreich
Israel und die verborgenen Ursprünge der Bibel
C.H. Beck
234 Seiten, 22,95 € (Ebook 18,99 €)
ISBN: 978-3-406-66960-6