Gesa Ufer liest Musik

"Get to Heaven" von Everything Everything

Die Band Everything Everything bei einem Konzert im polnischen in Gdynia
Die Band Everything Everything © dpa / picture alliance / Adam Warzawa
02.07.2015
Everything Everything heißt eine Band aus Manchester, deren Album "Get to Heaven" in der Fachpresse bereits als eines der aufregendsten des Jahres gefeiert wird. Gesa Ufer versucht diese Begeisterung anhand des Titelsongs zu ergründen.
Bisher hätten sich ihre Fans bei Konzerten oft ratlos am Kopf gekratzt, erzählen die Musiker von Everything everything. Diesmal, beim neuen dritten Album, sollen sie sich amüsieren. Zum Beispiel beim Titeltrack, der zögerlich zum Mitschwofen einlädt.
Out in the cold
There's an old man laying down in the flames tonight
Smiling to me
And he whistles as they're sweeping him up, alright
Like: ...
Doch gleich zu Beginn bauen sich zu der fröhlichen Musik verstörende Bilder im Kopf auf: Ein alter Mann, der in einer eisigen Nacht in Flammen aufgeht und noch fröhlich pfeift, während die Müllabfuhr ihn von der Straße kehrt
Die apokalyptische Szenerie, wird nicht nur musikalisch in Kontrast gesetzt. Der Sänger beginnt Fragen zu stellen, die angesichts der unfassbaren Gräuel auf obszöne Art banal wirken. Während neben dem brennenden Mann bereits die ersten Aasgeier landen, überlegt der Sänger noch, ob es nicht vielleicht an der Zeit sei, in ein schickes Restaurant zu gehen
As the vultures land
Crushed under feet
How about we find some nice place to eat tonight?
Teeth on a wire
I made a necklace for you
Just you and I, alright
Like: ...
Zähne, aufgereiht auf Perlen
Und dann singt er von Zähnen, die wie aufgereihte Perlen an einem Draht hängen, um seiner Angebeteten im nächsten Satz mitzuteilen, er habe ihr eine Kette gebastelt. Bilder grausamster Verbrechen schießen in den Kopf. Der jahrelang als "Schlächter von Mauthausen" gesuchte Nazi-Verbrecher Aribert Heim etwa, von dem es heißt, er habe aus menschlicher Haut Lampenschirme fertigen lassen.
Eine Bestie, die immer größten Wert auf gute Umgangsformen und akkurate Manieren legte. In eine ähnlich Rolle schlüpft Everything Everything Frontmann Jonathan Higgs in diesem Song. Er spielt gleichermaßen den zynischen Psychopathen und den naiven Beobachter, der inmitten apokalyptischer Flammen sein Auto sucht.
(We can get to that heaven!)
As the tanks roll by
(We can get to that heaven!)
Under a blood black sky
(Lunatic in my bedroom!)
I'm thinking: "Where in the blazes
Did I park my car?"
Weltenbrand im Popsong
Tanzbare Popsongs mit Weltuntergangsszenarien zu kombinieren, das haben schon viele vor Everything Everything getan. Ulravox zum Beispiel oder REM. Auch die australische Band "Midnight Oil" sang in den Achtzigerjahren zwar nicht von brennenden Menschen, fragte allerdings mit verzweifeltem Pathos, wie wir denn bitteschön noch schlafen könnten, wo doch unsere Betten schon längst in Flammen stünden:
How do we sleep while our beds are burning
Everything Everything gehen raffinierter vor. Statt wütendem Rock oder traurig-anrührenden Balladen schleusen sie ihre kapitalismuskritischen Horrorbilder trojanischen Pferden gleich in fröhliche Popsongs.
Und so pfeift Sänger Jonathan Higgs weiter seine kleine Melodie, während um ihn herum Chaos, Krieg und Zerstörung herrschen. Erst beim zweiten Hinhören wird klar, dass nicht die Sonne diesen tropischen Grooves Wärme gibt. Es ist der Weltenbrand.
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