Germano Almeida: "Der treue Verstorbene"

Kapverdische Verwirrungen

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Zu sehen ist das Cover des Buches "Der treue Verstorbene" von Germano Almeida.
Satirischer Blick auf die postkolonialen Kapverden: Der Krimi "Der treue Verstorbene" von Germano Almeida. © Transit / Deutschlandradio
Von Marko Martin · 01.12.2020
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Auf der Kapverden-Insel Boa Vista wird ein Schriftsteller erschossen. Eine Rache der Mächtigen an einem Unbequemen? Mitnichten. Germano Almeida erweist sich in "Der treue Verstorbene" als reflektierter und gewitzter Erzähler.
Trotz ihrer Einwohnerzahl von etwas mehr als einer halben Million sind die kapverdischen Inseln alles andere als kulturelle Peripherie. Nicht allein die Sängerin Cesária Èvora hat den seit 1975 unabhängigen Archipel vor Afrikas Westküste weltweit bekannt gemacht; auch andere Musiker, vor allem aber Schriftsteller, bezeugen eine Kreativität, die in der Region einmalig ist. Liegt es womöglich an jener auch in der Karibik existenten "Kreolisierung", an einer Durchmischung aus europäischen und afrikanischen Kulturen?
Dabei sind die Zeiten, in denen kapverdische Künstler und Autoren nach Portugal ausreisen mussten, um im einst kolonialen "Mutterland" zu reüssieren, zum Glück lange vorbei: Längst hat sich auf den einzelnen Inseln, die nach dem Ende der marxistischen Diktatur von 1990 in einer bemerkenswert robusten demokratischen Struktur miteinander verbunden sind, ein vibrierendes intellektuelles Leben etabliert. Inzwischen ist die Szenerie bereits derart ausdifferenziert, dass sie sogar zur Ironisierung inspiriert.

Zwei tödliche Revolverkugeln

Germano Almeidas Roman "Der treue Verstorbene" beginnt deshalb nicht zufällig mit einer Buchpremiere, zu der sich nicht nur die insularen Notablen versammeln, sondern auch die "einfache" Leserschaft jenes Miguel Lopes Macieira, der nach langem Schweigen nun endlich wieder einen Roman veröffentlicht hat. Dennoch wird der Autor stumm bleiben - gleich zu Beginn der Lesung (und bereits auf den ersten Seiten der hinreißenden comédie noire dieses Romans) treffen ihn nämlich zwei tödliche Revolverkugeln.
Eine Rache der Mächtigen an einem Unbequemen? Mitnichten. Almeida, Jahrgang 1945 und seit 2018 Träger des renommierten Camoes-Preises, fächert - ähnlich wie in seinem vor Jahren ebenfalls auf deutsch erschienenem Roman "Das Testament des Herrn Napomoceno" - vor dem Hintergrund eines prominenten Hinscheidens gesellschaftliche Konventionen auf, die mittlerweile nuancierter sind als die gängige Dichotomie Macht versus Ohnmacht.

Der ausgebrannte Texthandwerker

Immerhin wurde der Schriftsteller Macieira ganz öffentlich von seinem besten Freund Edmundo erschossen, was selbstverständlich sofort die Gerüchteküche aktiviert. War der vermeintlich joviale Romancier nicht in Wirklichkeit ein längst ausgebrannter Texthandwerker, dem sogar die eigene Lebensgefährtin "Adeus" (Auf Wiedersehen) gesagt hatte? Hatte er sich daraufhin der literaturschwärmenden Frau seines zeugungsunfähigen Jugendfreundes Edmundo angenähert, von diesem sogar subtil ermutigt?
Was in thematisch vergleichbaren Büchern von Lobo Antunes oder in William Faulkners längst kanonischem Roman "Als ich im Sterben lag" nicht selten zur polyphonen Herausforderung wird, erzählt Almeida durchaus leserfreundlich, wenn auch nicht ohne Widerhaken. Tod und anschließendes (Staats-)Begräbnis provozieren zärtliche Erinnerungen ebenso wie üble Nachrede, Gedanken über Literatur und über das (Un-) Mögliche einer ménage-à-trois.

Keine folkloristische Behaglichkeit

Dem preisgekrönten Übersetzer Michael Kegler gelingt es überdies, jene kapverdischen Verwirrungen in ein lebhaftes, fluides Deutsch zu übertragen, das in keiner Zeile in die Falle folkloristischer Behaglichkeit gerät. Würde es deshalb nicht zu arg nach Kalauer klingen, das Lektüre-Resümee wäre: ein überaus gewitzter Roman zum reflektierten Sich-Totlachen.

Germano Almeida: "Der treue Verstorbene"
Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler
Transit Verlag, Berlin 2020
303 Seiten, 24 Euro

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