Geringer Gebrauchswert

29.03.2013
Lange hat man von Julian Assange nichts mehr gehört. Seit Juni sitzt der Wikileaks-Gründer in der Botschaft Ecuadors in London und wartet auf politisches Asyl. In Buchform sendet Assange nun ein neues Lebenszeichen - aber seine Rezepte für den Umgang mit dem Internet sind wenig praktikabel.
Mit schlagzeilenträchtigen Enthüllungen hat sich Wikileaks-Gründer Julian Assange in letzter Zeit rar gemacht. Zwangsläufig. Seit Juni wartet er in der Londoner Botschaft Ecuadors auf die Bewilligung politischen Asyls, nachdem er zuvor monatelang in der Grafschaft Norfolk seinen Hausarrest absitzen musste. Dort, zwei Autostunden von London entfernt, besuchten ihn im März 2012 drei Netzaktivisten.

Allesamt haben einen Namen in der Szene und dürfen von sich in Anspruch nehmen, die Kommunikationsströme im Internet aus der Innenperspektive zu kennen, wie nur wenige andere. Das Ergebnis dieses Vierertreffens ist ein Gespräch über die zunehmende Überwachung unserer Gesellschaft, das für dieses Buch verschriftlicht worden ist. Statt eines neuen Scoops gibt es diesmal also eine andere Art der Aufklärung: einen Einblick in die Spionagemaschine Internet, der als Weckruf verstanden werden soll.

Für Assange und seine Mitstreiter ist klar, dass die Welt gerade dabei ist, in den Totalitarismus abzugleiten, da unsere gesamte Kommunikation zunehmend online abläuft. Zwar hat das auch sein Gutes, da es den Informationsaustausch fördert. Die negativen Seiten überwiegen aber, meinen alle vier, denn je mehr Daten übertragen werden, desto mehr lässt sich speichern und von Regierungen und Unternehmen zum Zwecke der Kontrolle über die Bevölkerung auswerten. Im Internet geht das besonders einfach, da die Technik immer billiger wird und die Architektur des Netzes zentrale Überwachung möglich macht.

An verschiedenen Beispielen zeigen Assange und die drei Netzaktivisten, wie aus ihrer Sicht Regierung und Wirtschaft an einem Strang ziehen. Ob staatliche Vorratsdatenspeicherung wie in Deutschland, der Export von westlichen Überwachungstechnologien in Regime wie Syrien oder die Datenspeicherung in sozialen Netzwerken und Zahlungssystemen wie PayPal – immer sitzen Konzerne und staatliche Institutionen am längeren Hebel, um ihre Macht gegen Andersdenkende durchzusetzen. Zwischen Diktaturen und Demokratien unterscheiden die Netzaktivisten hier nur graduell – schließlich hat Assange seine eigenen Verfolgungs-Traumata. Und Jacob Appelbaum erzählt ausführlich von Drangsalierungen durch US-Behörden, nachdem er 2010 auf einer Konferenz im Namen von Wikileaks gesprochen hat.

Sind das Verschwörungstheorien von Netzaktivisten? Der Verdacht drängt sich auf, wenn die vier immer wieder Fälle nur anreißen, ohne stichhaltige Beweise zu liefern. Andererseits gibt es genügend Beispiele, um Verdacht zu schöpfen, dass auch freiheitliche Gesellschaften gefährdet sind.

Man sollte das Buch als Anregung zum Nachdenken darüber verstehen, wie zerbrechlich unsere Demokratien sind, wenn es nicht gelingt, private Daten zu schützen. Assange und Co. sehen nur einen Weg – die Selbsthilfe. Sie setzten auf Verschlüsselungstechniken, mit denen jeder seine Transaktionen vor dem Ausspähen schützen soll. Kryptographie als "ultimative Form des gewaltfreien Widerstands", angelehnt an die Ideen des Cypherpunks, einer Hackerbewegung, die Anfang der 1990er Jahre entstand.

Wie elitär dieser Ansatz ist, wissen die vier jedoch auch. Am Ende des Buches räumen sie selbst ein, dass normale Menschen schlichtweg damit überfordert wären, ihre Kommunikation zu verschlüsseln. Insofern ist der praktische Gebrauchswert dieses Buches eher gering.

Besprochen von Vera Linß

Julian Assange, Jacob Appelbaum, Andy Müller-Maguhn, Jérémie Zimmermann: "Cypherpunks. Unsere Freiheit und die Zukunft des Internets"
Aus dem Englischen von Andreas Simon dos Santos
Campus Verlag, Frankfurt 2013
200 Seiten, 16,99 Euro
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