Gerhard Henschels autobiografischer "Künstlerroman"

Wenn Onkel und Tante zu Romanfiguren werden

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Der Autor Gerhard Henschel © dpa/ picture-alliance/ Uwe Zucchi
Von Hilde Weeg · 17.08.2015
Mit dem "Künstlerroman" setzt Satiriker Gerhard Henschel die autobiografische Familiensaga rund um sein Alter Ego Martin Schlosser fort. Die Verwandten lesen eifrig mit - und verraten was sie von den Familiengeschichten in Buchform halten.
Aufstellen zum Familienfoto an diesem warmen August-Nachmittag im Garten eines Einfamilienhauses in Hildesheim. Gerhard Henschel alias Martin Schlosser mittendrin.
Es ist ein echtes Familientreffen. Die Henschels und Ottens alias Schlossers und Lüttjes und Morbachs wie im Roman: unkompliziert, meinungsfreudig, gerade heraus. Es ist ein Kaffeetreff, der bestimmt in einem späteren Roman vorkommen wird. Aber erstmal stellt sich Onkel Immo den Besuchern vor:
Bei Onkel Immo und Tante Luise ist eine Kaffeetafel für 20 Personen auf dem Rasen gedeckt, es gibt Apfel- und Pflaumenstreuselkuchen, eine Käsesahnetorte. Der Ort ist selbst Schauplatz im Roman, wie Tante Luise erklärt:
"Weil sich ja viel abgespielt hat von dem, was in seinen Romanen steht, vor allem der 80. Geburtstag unserer Mutter ..."
Für das besondere Treffen hat Onkel Walter sogar eine Überraschung für seinen Neffen vorbereitet:
"Ich hab noch einen Brief gefunden, in dem Gerd im Jahr 1987 beschrieben wird. Von meiner Mutter, also seiner Großmutter. Und das wird er nicht kennen, diesen Absatz …"
Unterstützung durch die Familie
Und nachdem alle die erste Tasse Kaffee getrunken haben, steht er auf und zitiert aus der Zeit, in der Henschels aktueller "Künstlerroman" spielt: 1987. Henschels Oma schreibt an ihre Schwester über den Enkel:
"Wenn er mal nach Meppen kommt, dann muss seine äußere Erscheinung erstmal auf Vordermann gebracht werden. ... dass sein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze liegt. In Klammern: Diogenes in der Tonne. – Ja, ein schönes Dokument ... Dankeschön …"
Der Enkel und erwachsene Autor Henschel freut sich. Und wenn man diesen Familien-Treff erlebt, dann ist klar, was Henschel selbst so beschreibt:
"Ich hab einfach das Glück, dass ich aus einer Familie komme, die gerne erzählt und gerne schreibt ... auch meine eigene Produktion ... und wenn ich mal unsicher bin, was bestimmte Daten betrifft …"
Die meisten schon, wie Walter. Aber nicht alle – zwei weitere Onkel zum Beispiel:
"Ja, die konnten sich nicht befreunden, dass sie als Romanfigur verarbeitet sind."
Tante Dagmar, im Leben wie im Roman die Patentante, habe seine Schreib- und Sammelwut schon bemerkt, als er noch Kind war. Alles habe er mitgeschrieben und aufgehoben:
"Und irgendwo taucht das in seinem Roman als Zwischenkram wieder auf. Das hab ich damals überhaupt nicht eingeschätzt, ich hab gedacht‚ ach der Bubi, der schreibt doch alles auf. Der hat doch einen Knall."
"Der erste Band hat mich fasziniert"
Das denke sie jetzt nicht mehr, im Gegenteil. Sie ist froh, die Familien- und zugleich Zeitgeschichte auf diese Weise nachlesen zu können:
"Für mich ja. Für mich war es wichtig, dass das alles mal ausgesprochen und aufgearbeitet wurde. Ich hab zwar alles mitbekommen. Und seh das jetzt, wo ich älter bin, noch klarer als damals."
Tante Luise ist da etwas kritischer:
"Mich hat ja der erste Band hat mich fasziniert, die Liebenden ... während diese anderen jetzt alle nur Schilderungen sind, und so. Das war in dem ersten nicht, der hatte doch höheres Niveau."
Bei schwierigen oder sehr persönlichen Stellen hat sich Henschel ohnehin die Erlaubnis seiner Helden geholt.
Der Anteil an mitlesenden Familienangehörigen habe sich über die Jahre jedenfalls deutlich erhöht:
"Ja, ... was steht da jetzt noch alles drin."
Henschel ist am Ende des Künstlerromans erst im Jahr 1988 angekommen. Wenn er im selben Tempo weiterschreibt, wie bisher, wird er erst in 27 Jahren in der Gegenwart ankommen. Dann leben die meisten von denen, die bei diesem Treffen dabei waren, nur noch im Roman.
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