Gerechtigkeit und Globalisierung

Rezensiert von Reinhard Kreissl · 06.01.2008
"Wird die Demokratie ungerecht?", fragt Felix Ekardt in seinem gleichnamigen Sachbuch und entwickelt politische Konzepte für mehr globale Gerechtigkeit, votiert für eine Ökosteuer und gegen eine Leitkultur. In zentralen Fragen bleibt er jedoch ein Antwort schuldig, wie globale Unterschiede ausgeglichen werden können.
Ekardt votiert für eine diskurstheoretisch begründete politische Theorie, die er aufbauend auf den einschlägigen Arbeiten von Habermas und anderen als diskursrationalen Liberalismus bezeichnet. Dabei versucht er die Vorteile des Liberalismus und eines minimalen Staates mit den Ansprüchen an soziale Gerechtigkeit, wie sie in der Diskurstheorie angelegt sind, zu verbinden.

Die dabei entstehende Melange buchstabiert er sehr ausführlich mit vielfältigen Bezügen zu den Klassikern der politischen Philosophie aus. In eigentümlichem Kontrast zu dieser Exposition, die in Duktus und Aufbau gelegentlich an eine fleißige Seminararbeit erinnert, stehen die Pappkameraden des öffentlichen Diskurses, die Ekardt bemüht, um die vom ihm favorisierte Position im rechten Licht erscheinen zu lassen. Positiv formuliert, will Ekardt die normative Grundlage für eine Politik explizieren, die für jene Probleme, die derzeit als große Herausforderungen gelten, eine vernünftige und gerechte Lösung ermöglichen.

"Die Aufgabe und Legitimation von Politik im 21. Jahrhundert, national und europäisch, global und intergenerationell, liegt im Kern darin, allen Menschen Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, nicht aber darin, ihnen eine ganz bestimmte Entfaltungsform aufzudrängen. Die damit angesprochene Freiheits-Thematik ist der Kern der zentralen tagesaktuellen Politikdebatten, nicht nur um den Klimawandel und die ökonomisch-soziale Globalisierung mit ihren 'Sachzwängen', sondern auch um Kopftücher in Schulen, um soziale Gerechtigkeit versus freie Marktwirtschaft, um die 'Freiheit der Tabakwerbung’, um Gentechnik und Embryonen, um die Gesundheitsreform oder um die Demografie."

Die im ersten Teil des Buches abstrakt entwickelten normativen Überlegungen bricht der Autor sodann herunter auf konkrete Fragen und Problemstellungen, um den Lesern die Angemessenheit und Brauchbarkeit seiner Freiheits- und Gerechtigkeitstheorie zu demonstrieren.

Dabei zeigt sich das Dilemma aller normativ und prinzipiell ansetzenden Entwürfe. Die polierte Oberfläche der gerechtigkeitstheoretischen Konstruktion verliert an Glanz, wenn man sie im trüben Licht der Niederungen des real existierenden Betriebs der Herrschaftsausübung in modernen Gesellschaften betrachtet. Es ist schön und erfreulich zu hören, was Politik tun sollte, worauf sie unter gerechtigkeitstheoretischen Gesichtspunkten verzichten müsste, in welche Sphären sie keineswegs intervenieren dürfte, nur kümmert das die politisch mächtigen Akteure und die von ihnen Regierten leider meist wenig. Der Gerechtigkeit hervorbringende Diskurs kann nur unter Bedingungen stattfinden, die bereits durch ein erhebliches Maß an Herrschaftsfreiheit geprägt sind. Bei Ekardt klingt das so:

"Wer Gerechtigkeit national und global realisieren will, braucht eine Gerechtigkeitsdurchsetzungslehre. Dies setzt freilich erst einmal eine Handlungstheorie voraus, also eine Lehre davon, wie Menschen faktisch handeln. Gute normative Gründe sind zwar notwendige, zuweilen sträflich ausgeblendete Voraussetzung für das Realwerden der Gerechtigkeit. Doch allein hinreichend sind sie selten. Denn Menschen handeln faktisch meist nicht nur aus innerer rationaler Überzeugung von der Richtigkeit bestimmter Prinzipien, auch wenn dies in politischen Fragen wünschenswert wäre."

Und so werden dann auch hier am Schluss kleine Brötchen gebacken. Ekardt springt gerechtigkeitstheoretisch als Tiger, um politisch als Bettvorleger zu landen. Er votiert für Ökosteuern und gegen eine Leitkultur und vertritt - was man ihm nicht vorwerfen sollte - in zentralen Fragen die Position eines konsequenten Sowohl-als-auch. Das normative Fundament einer gerechten Politik ist in diesem kleinen Büchlein wieder einmal bekräftigt worden und das kann nicht schaden. Die harten Fragen aber stellen sich erst, wenn man an die Umsetzung dieses Programms geht und da können wir wohlwollend resümieren, dass Ekardts Ausführungen dazu auf intelligente Weise auffordern.

Felix Ekardt: Wird die Demokratie ungerecht?
Politik in Zeiten der Globalisierung

Beck Verlag, München 2007
Felix Ekardt: "Wird die Demokratie ungerecht?"
Felix Ekardt: "Wird die Demokratie ungerecht?"© Beck Verlag