Geraubtes Land

Rezensiert von Martin Zähringer · 16.09.2012
Das Zeitalter des Kolonialismus liegt lange hinter uns, doch die Prinzipien des Landraubs leben in anderer Form bis heute fort. Die auf Umweltthemen und die Dritte Welt spezialisierten Autoren Stefano Liberti (Italien) und Fred Pearce (Großbritannien) haben sich des Themas angenommen.
Landgrabbing, Landnahme oder Landraub – drei Worte, eine Bedeutung: Riesige Ländereien meist in den südlichen Zonen der Welt werden von landesfremden Investoren unter oft nicht ganz eindeutigen Umständen angeeignet, um Biotreibstoff zu gewinnen wie in Brasilien, um Wälder abzuholzen, um Länder mit unfruchtbaren Böden wie Saudi-Arabien mit Nahrungsmitteln zu versorgen, oder schlicht um den Reichen unter dem Vorwand des Naturschutzes exotische Besitztümer zu verschaffen. Es gibt weitere wenig altruistische Gründe, über die Stefano Liberti und Fred Pearce in ihren Büchern ausgiebig berichten. Was heutzutage geschieht, ist nicht mehr nur die Angelegenheit von westlichen Imperialisten und armen Ländern des Südens. Der britische Journalist Fred Pearce beobachtet seit Jahrzehnten ein globales Phänomen:

"In der ehemaligen Sowjetunion warten einstige Staatsgüter auf neue Besitzer. In Brasilien werden die Grassteppen in High-Tech-Prärien verwandelt, um Soja für China anzubauen. Brasilianische Rancher ziehen in die sengende Hitze des paraguayanischen Gran Chaco und entfachen im Rest Lateinamerikas neue Kriege um Land. Unten im Süden reißen sich die Superreichen der Welt, von Ted Turner bis zu den Benettons, das magische, naturbelassene Land Patagoniens unter den Nagel. Und jenseits des Pazifiks, in Australien, betreiben die alten Viehzüchterfamilien einen Ausverkauf an ausländische Landbarone."

Fred Pearce arbeitet mit langem Atem. Er kennt die Fachliteratur, besucht die wichtigen Kongresse, bereist alle Kontinente und kennt und nennt die Namen der Firmen und Personen, die in diesem Geschäft aktiv sind.

Wenig überraschend beginnt das Buch mit Afrika, das über 60 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Erde verfügt. Und über reichlich Erfahrung mit Landraub. So berichtet der Journalist von Äthiopien, wo indische und saudische Investoren auf ein günstiges Investitionsklima für ihre Farmprojekte stoßen. Dieses günstige Klima ist erzwungen von einer autoritären Regierung und abgesichert durch die internationalen Vereinbarungen für Investitionsgeschäfte.

Pearce zitiert einen Bericht der Standard Bank in Johannesburg über die International Investment Agreements:

"Wer immer meint, Regierungen seien berechtigt, während einer Hungersnot Nahrungsmittelexporte ausländischer Investoren zu verbieten, sollte noch einmal darüber nachdenken. In den Anlageverträgen werden die Investoren im Allgemeinen in die Lage versetzt, ihr Investitionsobjekt entsprechend den eigenen Bedürfnissen zu verwenden."

Und die Regierungen sind verpflichtet, die zugesagte Infrastruktur zu gewährleisten. Wozu auch das Wasser gehört, das den einheimischen Kleinbauern dann entzogen wird. Aber die sind sowieso aus der Agenda ihrer Politiker gelöscht, weil ja die Gebiete laut Kauf- und Pachtvertrag brachliegen.

Die Tragödie der Enteignung von Kleinbauern ist in ganz Afrika ein Thema. Es ist sogar ein globaler Konflikt, den Pearce quer durch alle Kontinente verfolgt und detailliert in Einzelfällen beschreibt.

Auch der italienische Journalist Stefano Liberti beginnt in seiner ebenfalls global angelegten Recherche mit Äthiopien. Wobei er die Spur der arabischen Investoren und ihrer politischen Verbindungen noch genauer verfolgt. Liberti räumt auch mit dem Vorurteil auf, es seien die Chinesen, die in Afrika im großen Stil investieren. Im agroindustriellen Bereich sind sie es nicht. Und Liberti geht ein bisschen schärfer und suggestiver zur Sache als Pearce. So spricht er meist von Landraub und nicht von Landnahme. Und er bleibt näher am politischen Zündstoff:

"Die Vertreter der Bauernorganisationen sprechen von ‚Ausverkauf der Anbauflächen’, die Vertreter der Institutionen und Regierungen von notwendigen Investitionen in die darniederliegende Landwirtschaft. Erstere benutzen Ausdrücke wie ‚Raub’, ‚Neokolonialismus’, ‚Rechtsbrüche’. Letztere sprechen von ‚Gelegenheiten’, ‚Entwicklung’ und ‚Produktivität’."

Liberti beschreibt zwei entgegengesetzte Modelle. Das der Agrokonzerne, gefördert von den großen Institutionen wie etwa der Weltbank. Hier wird behauptet, dass allein mit einer Produktion in großem Maßstab der Landwirtschaft der Zielländer neuer Schwung zu verleihen sei. Das Modell der Bauernorganisationen dagegen verlangt Respekt vor dem Recht auf Grundbesitz und fordert öffentliche Investitionen ohne Knebelverträge.

Fred Pearces globale Recherchen wirken durch ihre Weitläufigkeit etwas distanziert. Aber wenn er aus dem globalen Cockpit seiner Recherchereisen in die Analysen absteigt, dann wird es interessant. Zum Beispiel am Anfang des aktuellen Landnahme-Booms. Den führt er auf die Finanzkrise von 2008 zurück, als plötzlich handfeste Waren wie Rohstoffe und Landbesitz attraktiv wurden. Pearce erklärt:

"Als die Regierungen der Vereinigten Staaten und Europas versuchten, das Weltbankensystem zu retten, indem sie frisches Geld hineinpumpten – um ‚Schlimmeres zu vermeiden’ – beschleunigte sich diese Entwicklung noch. Ein Großteil jenes Geldes wurde, wie wir heute wissen, auf direktem Wege in Rohstoffe investiert. 2003 flossen 13 Milliarden Dollar in Agrarrohstofffonds, 2008 schätzten viele Beobachter die Summe auf über 300 Milliarden Dollar."

Und inzwischen greifen sich die Investoren die Basis aller Rohstoffgeschäfte: das Land. Pearce, der auch zurückhaltend mit moralischen Urteilen ist, relativiert die Rolle der Spekulanten:

"Um Missverständnissen vorzubeugen: Spekulation allein war nicht dafür verantwortlich, dass die Nahrungsmittelpreise in den letzten Jahren anzogen. Die Entwicklung begann mit einem Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage, hervorgerufen durch Dürren sowie den Biokraftstoffboom."

Und das ist der eigentliche Skandal. Denn ob in der Ukraine, in Brasilien, in den letzten Urwäldern Südamerikas oder im indonesischen Sumatra, wo gigantische Papierfabriken die Wälder fressen, immer geht es um kurzfristige Profite. Und es geht um die einfache Geschäftsidee, dass bei steigender Nachfrage nach Rohstoffen und Lebensmitteln die Nachfrage nach Land wachsen wird. Hier wird mit dem Hunger spekuliert, aber Fred Pearce und Stefano Liberti zeigen auch, dass der Gier Grenzen gesetzt werden können – durch die wachsende politische Gegenmacht der Kleinbauern und indigenen Völker.


Fred Pearce: Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden
Verlag Antje Kunstmann München

Stefano Liberti: Landraub. Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus"
Rotbuch-Verlag
Fred Pearce: Landgrabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden
Fred Pearce: Landgrabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden© Verlag Antje Kunstmann
Stefano Liberti: Landraub. Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus
Stefano Liberti: Landraub. Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus© Rotbuch Verlag