Georges-Arthur Goldschmidt: "Vom Nachexil"

Das Französische war die Befreiung

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Buchcover von Georges-Arthur Goldschmidt: "Vom Nachexil", Wallstein Verlag
Eine Art intellektuelle Autobiografie im Twitter-Format ist Georges-Arthur Goldschmidts Buch "Vom Nachexil". © Wallstein Verlag
Von Dirk Fuhrig · 20.03.2020
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Als Kind musste Georges-Arthur Goldschmidt vor den Nationalsozialisten aus Deutschland nach Frankreich fliehen. In dem schmalen, stilistisch brillanten Band "Vom Nachexil" verdichtet er nun eine ganze Epoche deutsch-jüdischen Lebens.
Georges-Arthur Goldschmidt zählt zu den letzten lebenden Zeitzeugen, die über das Exil während der Zeit des Nationalsozialismus berichten können. Als Jürgen Arthur Goldschmidt wurde er 1928 in Reinbek bei Hamburg geboren. Als er 10 Jahre alt war, setzten ihn seine Eltern zusammen mit seinem älteren Bruder in einen Zug nach Florenz. Schon sehr bald, als auch Mussolini begann, Juden zu verfolgen, wurde er weiter nach Frankreich geschickt. In einem Internat in den französischen Alpen überlebte er die Besatzung Frankreichs und den Zweiten Weltkrieg. All dies schildert er in "Vom Nachexil".

Hassliebe zu Deutschland

Goldschmidt hat zahlreiche Bücher geschrieben, in denen die Emigration eine große Rolle spielt. Nur wenige davon auf Deutsch, die autobiografischen allerdings stets. Jetzt hat er die Essenz dieser Erfahrung auf noch nicht einmal 90 brillant formulierten Seiten konzentriert. In dem zwar schmalen, aber großartigen Band steckt eine ganze Epoche deutsch-jüdischen Lebens: Die Geschichte seiner Vorfahren, die schon im 19. Jahrhundert zum Protestantismus übergetreten waren und sich nicht mehr jüdisch fühlten - zum Teil sogar deutschnational dachten, wie sein Vater. Aber das nutzte wenig, denn die Rassenideologie der Nationalsozialisten stempelte sie dennoch zu "Volljuden", die verfolgt und ausgelöscht werden sollten.
Durch die Schulzeit in Savoyen, wo ihn einfache Bauern vor der Gestapo und französischen Kollaborateuren versteckten, wurde er zum Franzosen. Der spätere feinsinnige und sprachmächtige Übersetzer von Kafka, Goethe, Büchner, Nietzsche und auch einiger Werke seines Freundes Peter Handke schildert, wie ihm damals die französische Literatur und Sprache zur neuen Heimat wurden. Als 11jähriger habe er das fremde Idiom fast automatisch gelernt. Das Französische verschaffte ihm eine "seelische Befreiung" vom Deutschen, der Sprache der Barbarei und der Mörder. Bis heute empfindet er Hassliebe zu Deutschland, was auch in diesem Band "Vom Nachexil" zu spüren ist.

Anrührend und mitreißend

Goldschmidt blickt ein dreiviertel Jahrhundert zurück und schildert die Nöte des Jugendlichen im Internat, der nicht nur die erste Muttersprache gegen eine zweite tauschen, sondern der sich verstecken und parallel noch die Pubertät durchstehen musste. Auch bei der Entdeckung der Sexualität hat ihm das Französische geholfen: "Die Sprachen aber sind auch etwas Leibliches, etwas, das einen sinnlich erfaßt, erotisch einbezieht".
Lauter solch herrlichen Sätze reiht der Sprachmagier Georges-Arthur Goldschmidt hier aneinander. "Von Nachexil" könnte man als eine Art intellektuelle Autobiografie im Twitter-Format bezeichnen: Er braucht weniger Seiten als sein Lebensalter, um sein eigenes Schicksal als exemplarisch für die in Folge der Hitler-Jahre Entwurzelten darzustellen. Ein anrührendes, mitreißendes - ein schlicht wundervolles Buch. Als Leser kann man gar nicht anders, als es atemlos in einem Rutsch zu verschlingen.

Georges-Arthur Goldschmidt: "Vom Nachexil"
Wallstein Verlag, Göttingen 2020
88 Seiten, 18 Euro

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