George Tabori

"Er war in keiner Nation zu Hause"

24. Mai 2004: George Tabori während einer Gala anlässlich seines 90. Geburtstags.
24. Mai 2004: George Tabori während einer Gala anlässlich seines 90. Geburtstags. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Moderation: Stephan Karkowsky · 23.05.2014
Morgen wäre der Theatermacher George Tabori 100 Jahre alt geworden. Für den Hörspielregisseur Jörg Jannings war er Arbeitskollege und Freund zugleich. Im Gespräch erzählt er von der ersten persönlichen Begegnung.
Stephan Karkowsky: Wir könnten genauso gut über ihn selbst reden, denn der Hörspielregisseur Jörg Jannings ist ein Stück Radiogeschichte. Mehr als 134 Hörspielproduktionen gehen auf sein Konto, die meisten davon produziert hier im Hause. Seit den 70ern waren darunter auch Stücke eines Autors, der zu einem guten Freund wurde: der große Theatermacher George Tabori. Und weil sich morgen dessen Geburtstag zum 100. Mal jährt, wollen wir Jörg Jannings bitten, uns stattdessen von Tabori zu erzählen. Herr Jannings, guten Morgen!
Jörg Jannings: Guten Morgen.
Karkowsky: Sie waren sich nahe. Ein paar Daten vorweg sollten wir trotzdem sagen. Geboren wurde George Tabori 1914 in Budapest, gestorben ist er 2007 in Berlin. Er musste 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft Berlin verlassen, sein Vater wurde in Auschwitz ermordet von den Nazis, seine Mutter kam nur knapp mit dem Leben davon. Und davon erzählt Tabori in "Mutters Courage" und daraus haben Sie 1979 dann ein Hörspiel gemacht. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Tabori?
Jannings: "My Mother's Courage", "Mutters Courage", war ja nicht das erste Hörspiel. Das erste Hörspiel, das wir gemacht haben, war "Weisman und Rotgesicht". Das hat leider Gottes der RIAS nicht gemacht, sondern der NDR, und wir bekamen dafür den Prix Italia. Das war 1978. Das war unser Kennenlernen.
Früher habe ich ihn erlebt, natürlich "Die Kannibalen" im Schiller-Theater. Dann hat er "Pinkville" gemacht in einer Kirche in Rudow. Das ist ein Stück über die Sache Malay in Vietnam.
Lesung und Gespräch mit George Tabori (r.) und Jörg Jannings im Jahr 2002
George Tabori (rechts) mit dem Hörspielregisseur Jörg Jannings bei Deutschlandradio.© DeutschlandRadio - Jonas Maron
Karkowsky: "Die Kannibalen" noch, diese fürchterliche Geschichte von Auschwitz-Häftlingen.
Jannings: Sein Vater Cornelius lebt in dem Stück genauso wie seine Mutter in "My Mother's Courage". Das handelt ja von der Rettung seiner Mutter auf dem Transport nach Auschwitz.
"Das deutsche Feuilleton hat ihn damals nicht beachtet"
Karkowsky: Sie kannten ihn also von der Bühne, quasi als großen Künstler, als Theatermacher. Aber wie war die erste persönliche Begegnung?
Jannings: Großer Künstler war er da in Deutschland ja noch nicht. Er hatte ja in Bremen in der Concordia... Es waren drei Menschen, die ihn, denke ich, bekannt gemacht haben im deutschsprachigen Raum. Das war Maria Sommer, Peter Stolzenberg, der damals Intendant in Bremen war - der hat ihn zur Concordia nach Bremen geholt -, und ich. Er hat ja hier mal gastiert mit einem Stück, wo er mit seiner Gruppe, die er aus Bremen mitgebracht hat...
Niemand kannte ihn. Er spielte im SO36, in Kneipen, in verschiedenen Sälen und so weiter. Das deutsche Feuilleton hat ihn damals überhaupt nicht beachtet.
Karkowsky: Die Verlegerin Maria Sommer - Sie haben sie erwähnt -, sie war diejenige, die Tabori in New York begegnet ist, und dann hat sie ihn mit den "Kannibalen" nach Deutschland geholt. Das war 1969.
Jannings: Ja.

Programmtipps:
Am 25. Mai sendet Deutschlandradio Kultur das Hörspiel "Was seid ihr nur für Menschen?", am 29. Mai das Hörspiel "Masada".

Karkowsky: Und sie ist mal gefragt worden, ob denn Tabori wie so viele Schuld empfunden habe, ein Überlebender des Holocaust zu sein, und das hier hat sie gesagt:
"Bei George war es also sehr ausgeprägt, dieses Gefühl. Ja warum? – Nicht Schuld, sondern Scham. Und natürlich ist das. Alles was er schrieb, ist eigenes Leben. Wobei er ein sehr ausgeprägtes Gefühl für Witz und für komische Situationen hatte und das ja sehr nahe beieinander liegt und er auch durchaus sagte, dass eine seiner Eigenschaften auch die Flucht in den Witz wäre. Also das hat er schon gewusst."
Sein Verhältnis zu Deutschland
Karkowsky: Wie ging es Ihnen denn? Haben Sie mit Tabori, der ja sein Theater als einzige Heimat bezeichnet hat, über sein Verhältnis zu Deutschland gesprochen?
Jannings: Nein, eigentlich nicht. Er hat ja von sich immer gesagt, er sei ein Fremder. Er war in keiner sogenannten Nation zu Hause. Wir haben auch nicht über Deutschland gesprochen. Er hat ja Englisch geschrieben. Nur die letzte Sache, die jetzt erschienen ist, "Exodus", hat er auf Deutsch geschrieben. Das andere hat er in Englisch geschrieben und wurde dann übersetzt.
Karkowsky: Morgen jährt sich der Geburtstag des großen Theatermachers George Tabori zum 100. Mal. Wir sprechen darüber mit dem Hörspielregisseur Jörg Jannings. Herr Jannings, welches Verhältnis hatte denn eigentlich Tabori, der Schriftsteller, der Theatermacher, zum Hörspiel?
Jannings: Das Hörspiel war für ihn eine neue, eine sehr gute Erfahrung. Und unsere Hörspiele, die wir gemacht haben, zusammen, das waren eigentlich Proben, Versuche und Überprüfungen des Textes. Er war ja ein Probenmensch. Die Prämiere war ihm nicht so wichtig. Er sagte dann, ich habe heute Nacht sehr schlecht geschlafen, mir ist was eingefallen, wir müssen das Ganze noch mal machen, das wird bestimmt besser, wir versuchen was Neues.
Das Grab von George Tabori
Das Grab von George Tabori, aufgenommen am 21. August 2007.© picture alliance / dpa / Johannes Eisele
Karkowsky: Und er hat diese charismatische Stimme gehabt, die wir jetzt auch hören in einem Ausschnitt aus Ihrem gemeinsamen Hörspiel „Mutters Courage" über die Leidensgeschichte seiner Mutter Elsa:
"Nachdem sie geseufzt und eine Haarsträhne aus den Augen gepustet hatte, eine andere ihrer Angewohnheiten, packte meine Mutter ihre Handtasche mit den üblichen Utensilien: ihren Schlüssel, einem Taschentuch, einem Foto ihrer beiden Söhne im Exil..."
Karkowsky: Ein Sohn im zärtlichen Zwiegespräch mit seiner Mutter, die von den Nazis nach Auschwitz verschleppt werden soll. Sie haben Tabori da selbst sprechen lassen. Er sprach, man hört das deutlich, österreichisches Deutsch mit dieser grabestiefen, aber doch sehr freundlichen Stimme. Er selbst mochte ja für sich den Begriff des Regisseurs nicht, sah sich eher als Spielmacher. Wie war er denn als Sprecher unter Ihnen als Regisseur? Hat er sich da überhaupt führen lassen?
"Wie eine Figur aus einem Roman von Joseph Roth"
Jannings: Er kam mir immer vor wie eine Figur aus einem Roman von Joseph Roth und er hatte so eine lässige Nonchalance und es war keine bemühte, keine angestrengte Kunst. Es kam mir so vor, als hätten die Schauspieler gerade Worte erfunden im Hier und Jetzt. Er sagte auch immer - nach jeder Probe sitzt man zusammen und es kommt die Kritik, was war und was schlecht war und so weiter. Das hat er überhaupt nicht gesagt. Sein erster Satz war dann, hat es euch Spaß gemacht.
Karkowsky: Wann sind Sie sich zuletzt begegnet?
Jannings: Zuletzt - da war er tot - habe ich ihm noch einen Abschiedsbrief ins Jackett gesteckt. Zuletzt bin ich ihm begegnet – er wohnte ja neben dem Berliner Ensemble und da hatten wir ein kleines Essen im Ganymed, so ein Restaurant, und ja...
Karkowsky: Das war halt der Schluss. Sie haben eine Frage sich überlegt, die Sie mitgebracht haben.
Jannings: Ich habe eine Frage. Über Tabori wird man sprechen am 24. Mai und Freunde werden sprechen, die ihn kennen, Freunde, die glauben, ihn zu kennen. Es wird Trauerwitz, Liebe, ja Erinnerung. Ich habe mir eine Frage überlegt: Wie würde er den 24. Mai inszenieren, 100 Jahre? Wie sähe der Einzug aus vom Dorotheenstädtischen Friedhof zum Berliner Ensemble? Hat er wieder ein neues Stück geschrieben? Die Bühne ist noch leer, bis auf den berühmten roten Tabori-Sessel. Da sitzt er jetzt und erzählt von jenem unentdeckten Land, das wir das Jenseits nennen, erzählt von den Spielern, mit denen er jetzt arbeitet, von ihren Veränderungen, von der Körperlichkeit, die er ihnen gibt. Er hat sich nicht geändert.
Und plötzlich wäre die Bühne nicht mehr die Welt, in der wir unsere Rollen spielen. Sie wäre eine Welt, von der wir immer geträumt haben, die wir aber nie betreten haben. Jeder von uns trägt jetzt das Kostüm, das er immer tragen wollte. Aber plötzlich spürt jeder die Enge dieses Kostüms. Sie bedrängt Lunge und Zwerchfell, sie nimmt uns die Luft, wir atmen schwer, die Katastrophe ist da im Hier und Jetzt. – Das ist so etwas. Ich habe mir diese Frage überlegt. Das ist so etwas wie der Humus, aus dem er geschrieben hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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