Genossenschaft "Wider das Vergessen"

Ex-Tatort-Kommissar Peter Sodann rettet DDR-Bücher

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Peter Sodann steht inmitten von Buchregalen seiner Sammlung von Büchern, die in der DDR erschienen sind.
Peter Sodann in seiner Bibliothek: Seit 1989 sammelt er Bücher, die in der DDR veröffentlicht wurden. © imago images / ddbd
Von Alexandra Gerlach · 25.01.2021
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Unzählige DDR-Bücher landeten nach der Wende auf dem Müll. Ein Unding, findet der Schauspieler und Theatermacher Peter Sodann. Hunderttausende der ausrangierten Werke hat er gesammelt und eine genossenschaftliche Bibliothek eingerichtet.
"Hier ist jedes Buch durch meine Hand gegangen. Ich bin ja durch das Land gefahren, als ich mit meinem Auto angefangen habe, und habe gefragt, wer Bücher abzugeben hat und so weiter. Später wurde das dann ein kleiner Bus. Ich habe immer die Menschen bewundert, wie leicht sie ihr Gehirn wegwerfen", sagt Ex-Tatort-Kommissar Peter Sodann und schaut etwas grimmig auf die Reporterin.
Wir stehen in seiner stattlichen, restaurierten Scheune, im ehemaligen Rittergut von Staucha, einem kleinen Dorf nahe Meißen. Hier hat der Theatermann eine Bibliothek über drei Etagen in zwei Gebäuden, ein Antiquariat und ein Hoftheater eingerichtet. Wenige Stufen führen in das Foyer der großen Scheune, das von einem mehrarmigen Leuchter an der hohen Balken-Decke erhellt wird. Die Friedenstaube von Picasso grüßt den Besucher als großrahmiges Fresko von der Wand.

Hunderte Kisten voller Bücher

Der Weg in den Veranstaltungsraum ist beidseitig gesäumt von gut gefüllten Bücherregalen. Unzählige übereinandergestapelte Bananenkisten voller Bücher stehen im eigentlichen Theaterraum, wo sonst die Besucher sitzen: "So, hier kommen die Bücher an, da nehme ich sie in Empfang, jetzt im Moment stehen hier natürlich viele, weil ich ja nicht alles alleine machen kann."
Der Raum ist rappelvoll. "Die DDR hatte über 250 Verlage, und nach den Verlagen sammle ich die Bücher", erklärt Sodann. Wie viele Bücher hier bereits stehen, wisse er allerdings nicht. Sie müssen noch sortiert und katalogisiert werden. Hilfe hat er dabei kaum, "nur dass der Deutsche seine Bücher gern wegschmeißt – und sein Gehirn mit!"
Still grinsend drückt Sodann auf die Lichtschalter, und schon leuchten Dutzende Deckenlampen "Made in GDR". Seine zweite Sammelleidenschaft: "Ja, weil eine Lampe etwas Licht in das Gehirn der Menschheit bringt."
Normalerweise gibt es hier Veranstaltungen, nur im Pandemie-Jahr 2020 sei alles ausgefallen, erzählt der Hausherr bedauernd. Die Gäste kämen von weit her – aus Leipzig, Chemnitz, Jena und Berlin – zu ihm in die Provinz, um sich auszutauschen über die Bücher und über andere Themen.

Wissen des Ostens – in Bananenkisten des Westens

Über der Bühne, zugestellt mit übereinandergestapelten Stühlen, prangt ein Spruch in schwarzen Lettern an der Wand: "In den Bananenkisten des Westens schlummert das Wissen des Ostens." Das sei auch sein Motto, sagt Sodann. "Als die Wende war, habe ich diesen Satz geprägt: Weil ich Leute nicht leiden kann, die etwas anderes vernichten" und meint damit die Bücher.
So etwa 1990 am Gewerkschaftshaus in Halle. Sodann erhält den Hinweis, dass dort mehrere LKW vor dem Gebäude stünden, auf die massenhaft Bücher geworfen würden. Eine Art "Büchersturm" hatte begonnen, die alten "Russenschwarten" müssten weg, rief man ihm zu. Darüber ärgert er sich noch heute und zitiert den Dresdner Dichter Erich Kästner, dessen Bücher in der Nazi-Zeit 1933 verbrannt worden sind:
"Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht und bildet die Menschen um. Wer das, was schön war, vergisst, wird böse, wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm!"

Als neue Ideen kamen

Er sei ein "betender Kommunist", sagt Sodann über Sodann. Um das zu verstehen, muss man in seine Vita schauen. Am 1. Juni 1936 wird er in eine Arbeiterfamilie in Meißen geboren.
Der Vater ist Kommunist, wird im August 1944 zur Wehrmacht eingezogen und fällt noch im selben Jahr. Mutter und Sohn müssen alleine zurechtkommen:
"Meine Mutter hat mich 1945 gefragt, Peter, wo wollen wir denn hin fliehen? Wollen wir lieber ans linke Ufer der Elbe oder ans rechte Ufer der Elbe? Ich sage: Warum? Am linken Ufer der Elbe kommen die Amerikaner, am rechten Ufer der Elbe kommen die Russen. Und da die beiden nicht kamen, sind wir wieder nach Hause – und das war das rechte Ufer. Und heute bin ich glücklich darüber, dass da die Russen kamen. Weil: Damit kam auch eine neue Idee. Mit der konnte ich mich anfreunden. Sehr!"
Peter Sodann von hinten in seiner Bibliothek in einer restaurierten Scheune.
Bibliothek, Antiquariat und Hoftheater: Der frühere "Tatort"-Kommissar Peter Sodann in seiner restaurierten Scheune nahe Meißen.© Deutschlandradio Kultur / Alexandra Gerlach
Peter Sodann lernt zunächst Werkzeugmacher und holt später sein Abitur nach. Er ist unüberhörbar bis heute dankbar, dass er im sozialistischen System der DDR – obwohl die schwierigen Umstände dagegen sprachen – an der Arbeiter- und Bauernfakultät lernen und studieren durfte.

Sodann brennt für die Idee des Sozialismus

Später, als er an der Theaterhochschule Leipzig studiert, gerät er mit einem als "konterrevolutionär" eingestuften Programm im Studentenkabarett "Rat der Spötter" in die Mühlen des DDR-Regimes. Das Kabarett wird aufgelöst, Sodann verurteilt und kommt kurz ins Gefängnis. Langfristige Folgen für seine berufliche Laufbahn als Schauspieler, Regisseur und später als Theaterintendant in Halle hat das nicht.
Sodann bleibt politisch und brennt für die Idee des Sozialismus. Auch seine Bibliothek mit Büchern aus der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone 1945 bis zum Ende der DDR 1990 sei politisch, sagt Sodann, denn: "Da gibt es noch viele Fragen, die völlig ungeklärt sind, und die können Bücher zumindest berichtigen – oder man kann sich dort auch Auskunft holen."

Ein facettenreiches Bild der DDR

Diese Auffassung teilt der Dresdner Historiker Johannes Schütz. Der gebürtige Thüringer ist Jahrgang 1984 und erforscht Heimatbegriffe und Konstruktionen in der späteren DDR sowie der Transformationsgesellschaft.
Ein Blick in die facettenreiche, gleichwohl von der Staatsmacht kontrollierte Themenwelt der DDR-Bücher lasse interessante Rückschlüsse zu, sagt Schütz: "Dann lässt sich vor allem daran auch ablesen, wie unterschiedlich die DDR war, also, dass der Alltag anders aussah als vielleicht ein politisches Event, ein Feiertag, dass es verschiedene Aspekte gibt, die die DDR in ihrer Gesamtheit dann ausmachen – und dass wir mit diesen vielen materiellen Zeugnissen dann diese verschiedenen Aspekte anschauen können."
Die gezielte wissenschaftliche Lektüre der DDR-Bücher jenseits der strikt politischen Themen, vom Kinderbuch über Kochrezepte, Romane, Lyrik und Klassiker bis hin zum Zukunftsroman, mache es möglich, den DDR-Alltag von den staatlichen Zielrichtungen und politischen Vorgaben, die vom Politbüro gemacht wurden, unterscheiden zu können, fasst Wissenschaftler Schütz zusammen: "Und es war nicht die durchherrschte Gesellschaft, die man vor allem in den Neunzigerjahren gesehen hat, sondern es ging schon komplexer und differenzierter zu."

DDR-Bücher – weltweit verschickt

Die Peter-Sodann-Bibliothek betreibt auch ein Antiquariat. Hier arbeitet Detlev Simnowski seit mehr als acht Jahren ehrenamtlich. Konzentriert sitzt er vor einem Bildschirm im ersten Stock des Bibliotheksgebäudes. Er verkaufe die Bücher "online, weltweit", sagt er.
Die Nachfrage sei groß. Bestellungen kommen aus England und Thailand. Simnowski fasziniert es, die alten Bücher in die Hand zu bekommen und auch zu erfahren, dass diese immer noch gefragt seien.
"Das sind natürlich gebrauchte Bücher. Das kostet drei Euro. Es gibt durchaus Bücher, die kosten 50 Euro. Das ist ein Zwölf-Euro-Buch, zum Beispiel."
Die wissenschaftlichen Zukunftsromane, also Science-Fiction à la DDR, sind deutlich teurer. Weil sie so selten sind, muss der Käufer knapp 50 Euro pro Buch berappen.

Bangen um die Zukunft der Sammlung

Was wird nun aus der Sammlung? Peter Sodann hat sich zum Ziel gesetzt, Staucha zu seinem 85. Geburtstag im Juni zu verlassen. Er hat eine Genossenschaft – mit inzwischen knapp 130 Mitgliedern – gegründet: "Wider das Vergessen". Doch für eine gesicherte Zukunft seines Lebenswerkes reicht das noch nicht. Kritiker werfen ihm und seiner DDR-Büchersammlung Ostalgie vor, und auch mit der Gemeinde gab es Streit um Unterhaltungskosten, der noch nicht gelöst ist. Darüber sprechen will er nicht.
Sodann zieht die Konsequenz: "Ich möchte nicht hier sterben. Ich möchte wieder dahin, wo ich auch schon tätig war. In Halle steht mein Theater, das habe ich mal gebaut, und viele Erinnerungen. Und hier habe ich wenig Erinnerungen unter den Menschen, die hier wohnen. Aber ich habe es mir selbst gewählt – und es ist gut so, irgendwie."
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