"Jugendliche sollten auch von Marx etwas wissen"

Peter Sodann im Gespräch mit Jürgen König · 03.09.2008
Unsere Enkel wollen einmal nachlesen, was ihre Großväter gemacht haben, findet Peter Sodann und sammelt seit den frühen 90er Jahren Bücher, die in der DDR erschienen sind. Für seine Bibliothek ist der Schauspieler seit Monaten auf der Suche nach einem geeigneten Ort. Die Stadt Halle wolle sie nicht beherbergen.
Jürgen König: Guten Tag, Herr Sodann.
Peter Sodann: Guten Tag.
König: 200.000 Bücher sind es jetzt. Haben Sie irgendeine Vorstellung, wie viele es noch werden können, sollen?
Sodann: Na ja, es ist ganz schwer, aber ich habe mit einigen Professoren, mit einigen Verlagen gesprochen und in Daumen mal Fensterkreuz würde ich sagen, würde diese Bibliothek einst mal 450.000 Bücher umfassen.
König: Und im Moment ist das Platzproblem das gravierendste?
Sodann: Ja, das ist schwierig. Also, jemanden zu finden, der einem hilft. Also, in Halle bin ich ja rausgeflogen mit der Bibliothek. Da hatte ich Platz.
König: Seit Sie als Schauspieldirektor sozusagen in Unfrieden mit der Stadt schieden, ist der Kontakt zwischen Ihnen und der Stadt Halle abgebrochen?
Sodann: Nein, das ist nicht. Sie haben mich anschließend zum Ehrenbürger gemacht. Also ist der Kontakt nicht ganz abgebrochen. Aber es gibt doch widerliche Umständen, die mir bis heute nicht gefallen. Das ist nun mal so und ...
König: Aber das wäre doch naheliegend, dass die Stadt Sie mit dieser Bibliothek wirklich unterstützt. Da ist ja auch Platz da, sollte man meinen.
Sodann: Ja, hat sie aber nicht. Tja, es nutzt ja nun alles nichts. Nun bin ich erst einmal in Merseburg gelandet und ich hoffe, dass wir die Sache dort klarkriegen. Ich werde mir heute wieder mal ein Gebäude ansehen. Was fehlt, ist Geld. Das fehlt ja überall. Aber ich denke schon, dass ich das zusammenbekomme. Das sind wir eigentlich uns selbst schuldig.
König: 73.000 Titel wurden schon elektronisch erfasst. Nach welchen Kategorien ordnen Sie Ihre Bibliothek?
Sodann: Also, na ja, die Bibliothek ist eigentlich ganz einfach. Also, nun weiß ich nicht alles, wie man das jetzt alles macht, ich kann ja nicht alles tun. Aber wir sammeln im Wesentlichen erst mal Belletristik. Die Belletristik aus einem Grund, dass wenn ich den Historikern immer glauben solle, von jetzt und von gestern, Historiker richten sich sehr oft nach dem, was die Regierung sagt, wie die Moderatoren im Durchschnitt. Und da würde ich sagen, dann soll man lieber sich an die Literaten wenden, die sich mit dieser Zeit beschäftigt haben und Sie wissen ja, es wird ja immer gesagt, dass unsere Jugendlichen, oder wer auch immer, haben kein Verständnis oder wissen nichts mehr über die 40 Jahre DDR. Das wäre auch nicht ganz so schlimm, aber von Marx und von allen anderen Leuten sollten sie doch etwas wissen. Und das Furchtbare ist ja daran, dass man ja nicht nur die Schriftsteller der DDR weggeschmissen hat, man hat ja auch Goethe und Heinrich Böll – Es ist ja alles auf dem Müllhaufen gelandet und das geht nicht.
König: Nun gab und gibt es so viele Projekte, Untersuchungen, Materialien zur DDR-Geschichte auch und gerade zur Kulturgeschichte der DDR, ich denke etwa an das Projekt der DDR-Bibliothek von Elmar Faber, dem früheren Chef des Aufbauverlages, der in den 90er Jahren zusammentrug und veröffentlichte, was ihm bewahrenswert schien. Was fügt Ihr Projekt solchen Unternehmungen hinzu?
Sodann: Ja, das, was Herr Faber erst mal nicht gesammelt hat oder preisgegeben hat. Wissen Sie, wie soll ich das sagen? Wenn man ein schlechtes Buch hat, weiß man, was ein gutes Buch ist. Und wenn man ein gutes Buch hat, weiß man, was ein schlechtes Buch ist. Und dann ist da noch eine Geschichte, die ich meinem eigenen Buch jetzt in letzter Zeit vorangestellt habe, ein kleines Gedicht von Erich Kästner. Es heißt: "Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht und bildet den Menschen um. Wer das vergisst, was schön war, wird böse. Wer das vergisst, was schlecht war, wird dumm." Und das möchten wir doch nicht.
König: Das möchten wir auf gar keinen Fall. Aber noch mal gefragt: Das kulturelle Erbe der DDR wird ja bewahrt und gepflegt und den Anthologien zugänglich gemacht.
Sodann: Ach ja, nun, also entschuldigen Sie, ich hatte vor kurzem in der "Welt" einen Artikel, da schrieb ein Rolf Schneider, der früher selbst mal Schriftsteller war oder jetzt noch sein will, dass doch in einer deutschen Bibliothek, in einer deutschen Bücherei ein Band von jedem Buch da wäre, also was veröffentlicht worden ist. Ja, sagen Sie mal, was soll denn solch ein Unsinn? Wenn jemand sich wirklich damit beschäftigen will, dann muss er in die deutsche Bücherei gehen, muss sich diesen einen Band, nehmen wir jetzt mal "Die Aula" von Hermann Kant, weil davon die Rede war, herausholen, dann muss er das so schnell lesen, dass die anderen es auch mal lesen können. Das ist doch Nonsens. So viel ist nicht übrig geblieben. Also deshalb, ich finde es schon ganz gut.
König: Es ist in der DDR sehr viel veröffentlicht worden, auch viel Propaganda-Literatur, die den, sagen wir mal, jeweiligen Direktiven der Partei Rechnung tragen sollte. Wie gehen Sie damit um?
Sodann: Ja, das würde ich auch sammeln. Ich muss doch wissen, was damals gewesen ist, wer gelogen hat, wer nicht gelogen hat, wer die Wahrheit gesagt hat, denn wo ist die Wahrheit?
König: Können Sie ein Beispiel geben?
Sodann: Ach Gott, was weiß denn ich, ob Plechanow damals die Wahrheit gesagt hat oder der gesagt hat oder was Stalin alles gesagt hat? Ich kann Ihnen da kein Beispiel geben, aber ich kenne einfach Bücher, die über die DDR berichtet haben oder in der DDR geschrieben wurden, die hervorragend sind. Sehen Sie mal, wir bleiben wieder mal bei der "Aula", da war der erste 'IM' schon dabei. Viele Leser haben das gar nicht mitgekriegt. Und es behandelt ja das Jahr 1953, 1952, als die Arbeiter- und Bauernfakultät gegründet wurde.
König: Sie haben vorhin Professoren erwähnt. Arbeiten Sie mit wissenschaftlichem Beistand oder wie muss man sich das, das ist ja, erfordert ja sehr viel Kommentarteil sozusagen, diese Werke eben auch ins rechte Licht zu rücken und in einem gewissen Kontext ...
Sodann: Nein, nein, nein, die Werke in das rechte Licht rücken, das müssen schon die Leser selbst. Dazu sind wir gar nicht in der Lage. Wir werden später sicherlich auch mit Universitäten und so weiter zusammenarbeiten, aber jetzt zurzeit werden sie erst mal registriert, das heißt also katalogisiert. Was für eine Möglichkeit hat man? Sie muss so ziemlich vollständig werden. Wir haben natürlich auch Verbindung zu anderen, wir sammeln ja nicht alleine.
König: Alles zusammengenommen, was wäre Ihr größter Wunsch jetzt für Ihr Projekt der Peter-Sodann-Bibliothek?
Sodann: Mein größter Wunsch wäre, einen geeigneten Raum zu finden, Geld dafür zu finden, dass wir das nicht so schwierig zusammentreiben müssen. Aber ich bin da fester Hoffnung. Also, ich glaube, es gab immer einen Wahlspruch in meinem Leben, der ist von Lope de Vega, der heißt: "Was du nicht selber tust, tut für dich kein anderer." Also, verlassen wir uns auf uns, es wird schon werden.
König: Unsere Enkel wollen einmal nachlesen, was ihre Großväter gemacht haben. Ein Gespräch mit dem Schauspieler Peter Sodann über sein Projekt, die Peter-Sodann-Bibliothek. Herr Sodann, alles Gute und vielen Dank.
Sodann: Vielen Dank.