Genosse Journalist

Von Peter Marx · 01.10.2013
Viele Journalisten in der DDR arbeiteten eng mit der Stasi zusammen, horchten die Redaktionen und die Leser aus. Überall aufgearbeitet ist das noch lange nicht, der "Nordkurier" in Neubrandenburg hat es erst jetzt gemacht. Doch wie mit den Ergebnissen umgegangen werden soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Der blaue Fleck am viel befahrenen Friedrich Engels Ring in Neubrandenburg ist das Verlagshaus des Nordkuriers. Blau ist die Hausfarbe des Verlages und ziert täglich den Kopf der Regionalzeitung. Das Haus mit den drei Flügeln wirkt modern, die Einrichtung ebenfalls. Im zweiten Stock, im Konferenzraum, warten Geschäftsführer Lutz Schumacher und Chefreporter Frank Wilhelm, vor sich ein schmales Buch mit dem Titel "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Schumacher beantwortet die erste Frage, bevor sie gestellt worden ist: Warum jetzt, warum 23 Jahre nach dem Mauerfall?
"Meines Erachtens gab es keinen direkten Auslöser, sondern es gab schon etwas längerfristig den Wunsch aus der Redaktion heraus, getrieben durch den damaligen Chefredakteur, fand ich gut. Ich hatte mir, als ich hier vor sechs Jahren anfing, auch über das Thema Gedanken gemacht, fand aber, dass ich, der ich aus Westdeutschland stamme, eigentlich nicht die Berechtigung habe, so eine Geschichte voranzutreiben."
Der damalige Chefredakteur Michael Seidel hat inzwischen beim Konkurrenzblatt, der Schweriner Volkszeitung angeheuert. Er fügt später ergänzend hinzu:
"Ich halte dagegen, besser spät als nie. Es mag sein, dass manches einfach so lange braucht."
Zeitungen wie die Leipziger Volkszeitung, Berliner Zeitung oder die Lausitzer Rundschau haben bereits vor Jahren ihre DDR-Geschichte aufgearbeitet. Warum der Nordkurier erst 2013?
"In erster Linie war es eine Verständigung nach innen, weil man als Nachfolger einer ehemaligen SED-Bezirkszeitung, wenn man sich sozusagen für 60 Jahre Bestehen feiert, auch diese andere Seite der Geschichte mit dazu gehört. Das war unsere Intention. Warum es bei den Zeitungen seinerzeit nicht von alleine kam, kann ich im nach hinein schlecht nachvollziehen, weil der öffentlich-rechtliche hat das frühzeitig gemacht mit einem mehr oder weniger geregelten Verfahren. Da lief auch nicht alles gut. Das hat möglicherweise auch ein bisschen abgeschreckt. Den Zeitungsverlagen, die alle privatisiert worden sind, schien es seinerzeit nicht opportun."
Und ist es noch heute nicht. Als die westdeutschen Verlage die Parteizeitungen der DDR aufkauften, ging es darum, auf einem der größten neuen Lesermärkte präsent zu sein. Die Vergangenheit interessierte damals kaum einen Verleger, aus Angst, komplette Redaktionsmannschaften auswechseln und die hohen Investitionen für neue Druckmaschinen und Redaktionssysteme abschreiben zu müssen. Also "Schwamm drüber", lautete die Verleger-Maxime mit dem Zusatz: "Wenn es schlimme Fälle gibt, werden wir einschreiten."
Inzwischen sind die ehemaligen Parteizeitungen bereits in der zweiten oder dritten Verleger-Hand, weil aus den hohen Gewinnen der Anfangsjahre erhebliche Verluste wurden. Die Archive bleiben allerdings für Außenstehende weiter verschlossen. Michael Seidel sagt, er bedauert das. Die Aufklärung über die SED-Zeit habe seiner ehemaligen Zeitung nicht geschadet.
"Es ging uns darum, das System herauszuarbeiten. Was die Rolle des Journalisten war, was die Rolle dieser Zeitungen war. Warum sind sie eigentlich mal gegründet worden und welche Rolle haben sie auch gespielt in diesem Prozess des Mündigwerdens, des politischen Mündigwerdens über diese friedliche Revolution hinweg und dann die Neuordnung danach."
Die Rolle des sozialistischen Journalisten hat bereits Lenin vorgeschrieben: Propagandist, kollektiver Agitator und kollektiver Organisator der Massen. Entsprechend wurden die DDR-Journalisten bis 1989 auch an der Leipziger Universität – Sektion Journalistik – ausgebildet.
Christiane Baumann: "Vorsichtig formuliert würde ich sagen, war eine SED-Zeitung wie die Freie Erde nicht an exaltierten Journalistenpersönlichkeiten interessiert. Das war diszipliniertes Mittelmaß, um es mal ganz direkt zu sagen. Anpassung und Disziplin waren so die gefragten Sachen."
Für Christiane Baumann, Autorin der Zeitungsreihe und des Buches "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", war die starke Einflussnahme der Partei in Redaktionen, auf Berichte und Themenauswahl keine Überraschung:
"Ich habe jetzt nicht erwartet, dass die Freie Erde ein Hort des Widerspruchs, schon gar nicht des Widerstandes gewesen wäre. Aber es gab offenbar sehr wenig Reibung, sehr wenig Reibung, also anders ausgedrückt, sehr große Anpassung."
Im Konferenzraum des Nordkuriers wird Kaffee serviert. Wir sind noch immer beim Thema Aufarbeitung. Geschäftsführer Schumacher, in Personalunion auch Chefredakteur, gibt zu, was seine Kollegen bei den anderen Verlagen sonst vehement dementieren:
"Ist in vielen Häusern nicht gut gelaufen. Ich glaube, auch rückblickend gesehen, man hätte damals mehr machen müssen. Man hätte das offener diskutieren müssen. Es ist vieles einfach so weitergetrieben worden. Man hat das versucht totzuschweigen. Und ich bin mir sicher, dass da auch wirtschaftliche Gründe im Fokus gestanden haben damals. Dass man das eigentlich gar nicht wissen wollte."
Chefreporter Frank Wilhelm schaut derweil versunken aus den Fenstern, versucht Gedanken zu ordnen:
"Beißhemmung gegenüber der eigenen Geschichte, ja das kann es vielleicht treffen, weil man ja als Journalist ohnehin ungern andere Kollegen angreift. Das ist ein Stück Grundehrlichkeit des Einzelnen, die da fehlt. Es fehlten die Anstöße von außen, es fehlt die Initiative, die Umstände waren nicht da."
Was so nicht stimmt. Anstöße gab es genügend, aus der Politik, aus Reihen der Journalisten. Die Ex-Parteizeitungen samt Redaktionen mauerten sich jedoch regelrecht ein, sobald jemand die Frage stellte: "Was habt ihr eigentlich vor dem Mauerfall gemacht?" Unterstützung fanden sie bei den Journalisten-Gewerkschaften. Rainer Sobiech, von 1992 bis 2004 Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes im Bundesland, hält das für übertrieben.
"Na, zuerst hätte man sich darüber unterhalten müssen, wie soll diese Aufarbeitung passieren. Da liegt sicherlich das Grundproblem. Dazu braucht man natürlich auch ein Interesse aller Landesverbände oder eines Vorstandes innerhalb eines Landesverbandes, das man sagt: Wir machen das so. Also es gab viele Unwägbarkeiten."
Autor: "Kurz gesagt, Sie haben es ausgesessen?"
"Na, ich sage mal so, nicht ausgesessen, wir haben es anderen überlassen."
An dieser Einstellung hat sich bis heute nichts geändert. Die Vergangenheit des Ost-Journalismus fängt für den DJV-Landesverband erst nach dem Mauerfall an. Die DJV-ler aus dem Nordosten sind dabei kein Einzelfall. Aus diesem Blickwinkel heraus lobt die Autorin Baumann das beherzte Vorgehen des Nordkuriers:
"Also es ist ja immer mal wieder Thema gewesen in den ehemaligen SED-Zeitungen oder in den Nachfolgeblättern, nur nicht in dieser Form und das fand ich interessant und fand ich auch reizvoll, dass der Nordkurier beschlossen hat, es im Blatt zu tun. Also das, was an Recherche-Ergebnis kommt, ins Blatt zu nehmen ohne hineinzuredigieren. Von daher ist der Zeitpunkt nicht der Perfekte, aber für die historische Aufklärung und das historische Wissen ist er trotzdem gut."
Lutz Schumacher denkt nach, sein Chefreporter sucht nach der richtigen Formulierung. Es geht jetzt um Reaktionen der Leser und der eigenen Redaktion. Chefreporter Frank Wilhelm über die Resonanz aus den Redaktionen:
"Es gab viele ältere Kollegen, die schon zu DDR-Zeiten bei der Freien Erde, dem Vorgänger des Nordkuriers gearbeitet haben, die der Serie und der Aufarbeitung sehr kritisch gegenüber standen. Und es gab dem gegenüber viele junge Kollegen, die das sehr gut kommentiert haben und die es auch gut fanden, dass wir unsere Geschichte so kritisch aufgearbeitet haben."
Christiane Baumann erinnert sich an eine Redaktionssitzung des Nordkuriers, die anders verlief als sie erwartet hatte:
"Ich habe von früheren Journalisten auch Ablehnung bekommen, die wollten auch mit mir nicht sprechen darüber. Und dann habe ich auch eigenartige Reaktionen bekommen, dass, obwohl ich die betreffenden Journalisten, also frühere IM, gar nicht mit dem vollen Namen nenne, quasi kritisiert wurde, dass sie zu erkennbar seien und so."
Sehr unterschiedliche Wertungen kamen auch von den Lesern. Auszüge.
" …denen, die in dieser Zeit gelebt haben, wird erklärt, was sie alles falsch gemacht haben. Wenn wundert es da, dass diese Personen wiederum alles schön reden."
"Ihren Artikel kann man nur mit dem Prädikat 'Thema verfehlt' benoten. Oder war es das Ziel der Redaktion, die Geschichte der Freien Erde auf die Stasi zu reduzieren…?"
Michael Seidel, Initiator der Reihe, bilanziert:
"Es war alles dabei, von vereinzelten Anwürfen 'Nestbeschmutzer. Warum ist es noch nötig? Warum müsst ihr das jetzt aus der Kiste ziehen, hättet ihr vor 10 Jahren machen müssen!' Es kamen auch genauso viele Reaktionen, die gesagt haben, 'Mein Gott', hat man schon fast vergessen, wie es damals war. Enttäuschend eigentlich für mich war, dass es eine sehr große Zurückhaltung gab. Also, es gab nicht die Reaktionen in Massen. Das waren eher Einzelmeinungen."
Wie eben diese Meinung aus dem zweiten Zitat: die Geschichte der Regionalzeitung "auf die Stasi zu reduzieren." Stasi ist die gängige Verniedlichungsform für das Ministerium für Staatssicherheit. Es war das machtvolle Organ der SED für Willkür und Terror an der eigenen Bevölkerung. Um ihren Überwachungs-Auftrag ausführen zu können, benutzte die Staatsicherheit bevorzugt Journalisten aus den Parteizeitungen für Spitzeldienste. So in Mecklenburg-Vorpommern und so auch beim ehemaligen SED-Blatt Freie Erde, heute Nordkurier.
Christiane Baumann entdeckte bei ihren Recherchen in der Bundesbehörde für Stasi-Unterlagen Akten von über 40 ehemaligen "Inoffiziellen Mitarbeitern", kurz IMs: fast jeder vierte Journalist der Freien Erde. Sie waren die "Horchposten" der Schnüffelbehörde sowohl nach innen in die Redaktion, als nach außen unter der Leserschaft.
"Aber was dennoch sehr spektakulär ist, ist das die potentielle Leserschaft damals betroffen war in einer Breite, wie man sich das nicht vorstellt. Also, die über 40 IMs, die es beispielsweise Mitte der 80ziger Jahre in der Redaktion der Freien Erde gegeben hat, die haben nur ungefähr zur Hälfte ihre Kollegen beobachtet und bespitzelt. Ein ganz großer Teil dieser inoffiziellen Arbeit war auf die Leserschaft gerichtet. Die SED-Ebenen wollten wissen, was das Volk denkt."
Dazu führten die Schnüffel-Journalisten mal unverfänglich wirkende Gespräche mit Interview-Partnern, mal sortierten sie die Leserbriefe des Nordkuriers danach aus, wer Kritik am Staat übte oder gaben den Tratsch aus der Kantine weiter. Oftmals – aus heutiger Sicht – Banales. Aber keiner der IMs wusste, wie die Staatssicherheit das gelieferte Material verwendete. Der Lohn für die Denunzianten: Geld, Orden oder oftmals einen Anschub für die eigene Karriere.
Ernst Jürgen Walberg, ehemaliger Kulturchef des NDR-Regionalprogramms Mecklenburg-Vorpommern, der sich mehrfach in der Reihe "Erinnerungen an die Zukunft" mit Aktionen der Stasi auseinandersetzte, kritisiert die Autorin, dass sie beim Thema Stasi-Journalisten nicht deutlich genug wurde:
"Ja, mir ist das zu allgemein, mir ist das nicht deutlich genug. Mir ist auch nicht deutlich genug, wer von denen, die damals als IM an der Freien Erde gearbeitet haben, heute noch Kommentare oder Berichte für den Nordkurier schreiben. Und das mal nur mal feststellt, was zu DDR-Zeiten vielleicht oder tatsächlich gewesen ist, ist mir 20 oder 25 Jahre danach, wirklich zu wenig."
Konferenzraum Nordkurier. Die Gesichter von Geschäftsführer Schumacher und Chefreporter Wilhelm sind beim Thema Stasi-Journalisten angespannt. Dann gibt Lutz Schumacher zu, dass er aufatmete, nachdem er die ersten Recherche-Ergebnisse gelesen hatte:
"Ja, ich bin eigentlich eher positiv überrascht gewesen, ich hatte Schlimmeres erwartet."
Die Autorin Baumann fand heraus, dass ehemalige Stasi-Journalisten noch immer aktive Mitarbeiter seiner Redaktion sind. Vor allem die Sportredaktion des Nordkuriers war früher quasi eine Außenstelle der Staatssicherheit, und die Journalisten wurden dafür mit Auslandsreisen in den Westen belohnt.
"Ja, das schreibt sie. Bislang ließ sich ja nicht alles identifizieren. Einiges schon, da haben wir, glaube ich, die meisten Dinge gelöst. Es ist ja heute, so lange nach der Wende nicht mehr möglich, zu jemandem zu gehen und zu sagen. Du warst bei der Stasi, wir entlassen Dich jetzt."
Seinen Schmusekurs oder seine große Nachsicht begründet der Geschäftsführer damit, dass ihn dieses spezifische Ost-Thema überfordert:
"Ich weiß nicht, weil ich fühle mich da nicht als die richtige Instanz, die darüber zu urteilen hat."
Wer dann außer ihm? Schumacher wird wortkarg und schaut hilfesuchend auf seinen Chefreporter Frank Wilhelm, der einspringt:
"Das ist eine gute Frage, weil man, denke ich mal, neben dem Thema Stasi insgesamt das System sehen muss, in dem man steckte. Das war ja nicht nur die Stasi, das war die SED, in der die meisten Journalisten drin waren. Es war die ganze Verflechtung in den ganzen staatlichen und Parteisystemen in der DDR und ich glaube auch nach wie vor, dass der Alltag viel zu viel verdrängt."
Michael Seidel, Initiator der Reihe und damals Chefredakteur des Nordkuriers hält ebenfalls nichts von einem harten Kurs gegen Stasi-Journalisten. Er hat lediglich ein…
"…ungutes Gefühl, wenn man dann über bestimmte Hintergründe weiß, dann erklären sich auch gewisse Verhaltensmuster. Aber wem steht es denn zu, jetzt zu richten."
Beispielsweise Seidel selbst, damals Vorgesetzter der noch immer aktiven ehemaligen Schnüffel-Journalisten:
"Selbstverständlich, aber ich bin doch nicht der Scharfrichter."
Nein, aber ein Journalist, der nach eigener Darstellung, Wert darauf legt, dass er den Dingen immer auf den Grund geht und sich weder von Drohungen noch Repressalien abschrecken lässt. Seidels wachsweiche Haltung zum Thema "Stasi-Journalisten" ist jedoch im Bundesland eher die Regel, als die Ausnahme. Rainer Sobiech war langjähriger Vorsitzender des DJV-Journalistenverbandes, der ehemalige Stasi-Journalisten genauso gerne aufnahm wie unbelastete Kollegen. Sobiechs Verteidigung in zwei Akten - der erste:
"Das hat dann so auch keine Rolle gespielt, aus einem ganz bestimmten Grund, der damals auch so formuliert werden konnte: Wir sind kein Gesinnungsüberprüfungsverein."
Der zweite Akt:
"Na ich denke, weil die meisten Verbände, wenn nicht alle, Angst davor gehabt haben, dass viele ihrer prominenten Vertreter da auch geoutet worden wären."
(Kürzung aus rechtlichen Gründen)
Schwierig wird es für Journalisten aus den alten Bundesländern, wenn sie Ex-DDR-Journalisten nach Aufarbeitung und Stasi-Journalisten fragen. Unterschwellig wird ihnen sofort vermittelt, dass sie "keine Ahnung" haben und entsprechende Nachfragen deshalb für Sie tabu sind. Machen es die Kollegen trotzdem, kommt reflexartig der Hinweis, dass es im Westen ebenfalls Journalisten gab, die mit der Stasi kooperierten. Ernst Jürgen Walberg, Ex-Kulturchef des NDR im Bundesland, recherchierte in diese Richtung und machte ganz spezielle Erfahrungen mit Kollegen aus den West-Funkhäusern:
"Der NDR hier hat angeregt, eine Studie 'Giftspinne im Äther, die Staatssicherheit und der NDR'. Das bezog sich auf den NDR im Westen. Und in dem Zusammenhang wurde nicht nur nach den Korrespondenten gefragt in Ostberlin, sondern es wurde auch gefragt: Welche Reisekorrespondenten waren in der DDR regelmäßig? Was haben die gemacht? Wie 'embedded', würde man heute sagen, waren die? Und da wurden urplötzlich der betroffene Reisekorrespondent sehr vorsichtig in seinen Antworten und irgendwann auch die Vorgesetzten dieser Reisekorrespondenten."
Viel herausgekommen ist nicht. Jedenfalls aus Sicht von Walberg, der heute kritisch seine eigenen Beiträge beurteilt. Er spricht nicht von Einflussnahme, nicht vom Druck von Vorgesetzen, trotzdem findet er: Es wurde mit zweierlei Maß gemessen, bei den Stasi-Kontakten von West-Journalisten und von Ost-Journalisten:
"Das würde ich mit Abstand mit dem heutigen Abstand so sehen ja."
Was bleibt ist ein ungutes Gefühl. Der Wunsch nach Aufklärung kommt immer wieder hoch. Nicht nur bei Ernst Jürgen Walberg. Er fordert Vertrauen. Vertrauen darauf, dass jede Seite mit der Vergangenheit des anderen sachlich umgeht.
"Bei den Journalisten ist es was anderes, glaube ich, die hätten ja über ihre eigene Geschichte reden müssen. Man kann nicht dasitzen und über andere Journalisten schreiben, wenn man die eigene Geschichte auslässt. Das geht nicht, das funktioniert nicht. Und dazu muss man mindestens bereit sein und die öffentliche Diskussion also zwischen Journalisten West und Ost hat es zum Beispiel beim MDR gegeben in Leipzig, aber hier nie. Den Fehler haben wir aber alle gemacht, Ost wie West. Wir hätten öffentlich darüber streiten sollen, aber nicht getan."
Auf der anderen Seite warnt die Autorin Christiane Baumann vor zu großen Erwartungen.
"Aber man kann natürlich konstatieren und muss konstatieren, dass es einen sehr weichen, sanften Übergang gegeben hat für diese Journalisten aus SED-Zeitungen. Dass es wenig Nachfrage und wenig Druck vom Publikum, von der Leserschaft, von der Straße damals gegeben hat und auch wenig Überprüfungen. Es sind dann auch im Nordkurier, also in der Freien Erde, Leute von selbst gegangen. Aber es hat da kein Nachfragen, kein Nachhaken gegeben."
Ende des Interviews. Die Kaffeetassen werden weggeräumt, das kleine Buch über die eigene Zeitungsgeschichte ebenfalls. Entspannte, erleichterte Gesichter bei Geschäftsführer Schumacher und Chefreporter Wilhelm. Das Tagesgeschäft verlangt jetzt ihre Aufmerksamkeit: die Nachrichten aus der Region, das große Politische aus Berlin. Was spielt da die Vergangenheit noch eine Rolle?
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