Gender Planning

Eine Stadt für alle

06:39 Minuten
Mit Hut und Mütze als Sonnenschutz gehen eine Frau mit Kinderwagen und ein Kind einen Gehweg entlang.
Genug Platz auf dem Gehweg für Kinderwagen oder Rollstühle: ein Beispiel für Gender Planning. © picture alliance / Jens Kalaene / dpa / Jens Kalaene
Von Lydia Jakobi · 06.09.2022
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Gender Planning heißt: öffentliche Räume schaffen, die Bedürfnisse aller sozialer Gruppen und Geschlechter berücksichtigen. Doch die Umgestaltung der Stadt führt oft zu Konflikten. Zum Beispiel, wenn Gehwege mehr, Autostraßen weniger Platz bekommen.
Am Nord-Süd-Nadelöhr Berlins herrscht an diesem Wochentag der übliche Trubel. Geschäftsmänner in Business-Outfits hasten mit Fast-Food-Boxen über die Kreuzung. An den Ampeln stauen sich Autos.
Mittendrin: Anke Kläver. Die Mobilitätsforscherin arbeitet am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Sie zeigt auf die Verkehrsinsel, auf der man hier zwischen Straße und Tram stehenbleiben muss. Die sei relativ eng. „Wenn ich mir vorstelle, dass ich da mit meinem Fahrrad, meinem Kinderwagen, meinem Einkauf stehe, ist dieser Platz einfach wahnsinnig begrenzt – und das ist auch gefährlich.“

Frauen gehen mehr zu Fuß

Anke Kläver interessiert sich dafür, wie eine Stadt für alle aussehen kann – vor allem, wenn man ohne schützende Blechkarosse, sondern vielleicht mit einem Kleinkind an der Hand unterwegs ist. Denn das Verkehrsverhalten von Männern und Frauen unterscheide sich statistisch. „Männer machen im Vergleich weniger Wege pro Tag und das präferierte Verkehrsmittel ist meistens das Auto. Das trifft vor allem auf die Altersklassen zwischen 20 und Ende 60 zu.“
Frauen würden dagegen mehr zu Fuß gehen und häufiger den ÖPNV nutzen. Das hängt weniger mit dem biologischen Geschlecht als mit der sozialen Rolle zusammen: Frauen bringen häufiger die Kinder in die Kita, versorgen Angehörige, kaufen ein.

Gender Planning – bereits in den 80ern ein Thema

Geschlechter- oder besser gleichberechtigte Stadtplanung, sogenanntes Gender Planning, denkt die Vielfalt der Bedürfnisse mit und räumt dem Auto nicht länger Vorrang ein. Neu ist das Konzept nicht. Schon in den 80er-Jahren stellten Feministinnen fest, dass der durchschnittliche Planer männlich, gut situiert und gesund ist und den Alltag nach seinem Job ausrichtet. Die Folge: eine Trennung von Wohnsiedlungen und Geschäftszentren.
Die Geografin Stephanie Bock war eine der kritischen Stadtplanerinnen. Heute forscht sie am Deutschen Institut für Urbanistik. „Ein Schlagwort waren die Angsträume, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben“, erinnert sie sich zurück an die Anfänge. „Dass viele Frauen nachts den ÖPNV nicht genutzt haben, die öffentlichen Räume gemieden haben – und es dann solche Aktionen gab: Wir erobern uns die Nacht zurück, mit Nachtspaziergängen.“

Wien als Vorreiter

Die Ansätze für eine gendergerechte Stadt sind vielfältig: Gehwege, die breit genug sind für Kinderwagen, ausgeleuchtete Plätze, Sitzgelegenheiten, ein guter öffentlicher Nahverkehr, kurze Wege, Beteiligungsmöglichkeiten in der Planung.
Als beispielhaft gilt die Stadt Wien. Vor rund 30 Jahren warf hier eine Ausstellung die Frage auf, wem der öffentliche Raum gehöre. Der Untertitel: „Frauenalltag in der Stadt“.
Kurz danach wurde das Wiener Frauenbüro gegründet. Die Leitung übernahm die Stadtplanerin Eva Kail – eine Vorreiterin des Gender Plannings. „Unser Flaggschiff ist die geschlechtersensible Parkgestaltung“, sagt sie. „Hier hat eine Studie gezeigt, dass wir ein Problem haben: So ab dem Alter von 13 Jahren verschwinden Mädchen aus den Parks, weil das Angebot für ältere Kinder an den Spiel- und Sportinteressen der Burschen ausgerichtet ist. Die Großen schmeißen die Kleinen aus dem Ballkäfig und alle miteinander haben das Gefühl, Mädchen haben darin nichts verloren.“
Beim Berliner Creative Bureaucracy Festival skizziert Eva Kail, was Wien dagegen unternommen hat: Bei der Umgestaltung der Parks hat die Stadt die Fußballkäfige offener gestaltet und Sitzecken eingerichtet.
Ein anderes Beispiel: Das Viertel Seestadt Aspern, „ein sehr autoarmer Stadtteil mit Sammelgaragen und Verkehrsberuhigung im Innenbereich“, so Kail. „Das Quartiersmanagement hat bestätigt, dass die Kinder dort sehr selbstbewusst unterwegs sind und durch die vielfältigen Angebote ganz aktiv sind. Das sieht man auch im Stadtteil.“

Umgestaltung führt zu Konflikten

Auch der Berliner Senat arbeitet an einer gendergerechten Stadt. An einer dröhnenden Kreuzung in Berlin-Wilmersdorf hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ihren Sitz. Folgt man den Gängen des mächtigen 20er-Jahre-Baus, trifft man irgendwann auf Beate Profé. Sie leitet die Abteilung Stadtplanung. „Wir planen für alle Menschen dieser Stadt“, sagt sie. „Dieses alte Verständnis von Gender Mainstreaming – Männer, Frauen – wäre doch viel zu kurz gegriffen. Wir haben das Thema LGBTQ. Das andere ist: Junge und Alte haben unterschiedliche Ansprüche an den Stadtraum, Menschen in unterschiedlichen Berufen.“ Alle sozialen Belange gelte es bei der Planung anzusprechen.
Radfahrer auf der Friedrichstraße in Berlin.
In manchen Abschnitten der Berliner Friedrichstraße dürfen Autos nicht mehr fahren. Das hat bei ansässigen Laden-Besitzerinnen und -Besitzern Unmut verursacht.© picture alliance / ZUMAPRESS / Michael Kuenne
Einmal sei sie gefragt worden, ob man jetzt die Abwasserrohre rosa anstreichen solle, erzählt die Ur-Berlinern. Das sei natürlich Unsinn. Trotzdem: Die Umgestaltung der Stadt führe zu Konflikten. „Wir nehmen die Parkplätze weg und bauen da noch ein Haus hin, da kommen 20 Wohnungen rein“, das sei so ein Klassiker, sagt sie. „Da gibt es immer Stress.“ Außerdem müsse immer wieder zwischen Gemeinwohlinteressen und individuellen Interessen abgewogen werden. „Da ist immer wieder die Frage, wohin sich die Waagschale neigt.“

Zoff um die Berliner Friedrichstraße

Die Mobilitätsexpertin Anke Kläver steht vor einem Absperrgitter. Im August 2020 startete hier das umstrittene Modellprojekt Flaniermeile Friedrichstraße: eine autofreie Zone mit Bänken und Pflanztöpfen.
„Wenn wir uns überlegen, dass wir seit der Nachkriegszeit eine Normalität des Autos begünstigt haben, braucht es einfach ein bisschen Umdenken“, sagt sie. Gerade in Bezug auf Berlin denke sie aber: „Wir haben schon ein gutes ÖPNV-Netz, gute Kiezstrukturen, breite Straßen, die eigentlich eine gerechtere Verteilung des öffentlichen Raums ermöglichen würden.“
Damit tut Berlin bereits mehr fürs Gender Planning als andere Städte. So hält es das Deutsche Institut für Urbanistik in einer Studie von 2017 fest und erklärt: Gender-Aspekte in der Planung zu berücksichtigen, ermöglicht letztlich ein gleichberechtigtes und demokratisches Zusammenleben.

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