Genauer Beobachter

Rezensiert von Rachel Gehlhoff · 27.07.2008
Truman Capote schrieb nicht nur brillante Romane, sondern auch Reportagen, Essays und Porträts. Dabei erweist er sich als geduldiger Zuhörer, der sich selbst völlig zurücknehmen kann. Zum Glück für die Leser, die so unter anderem Marlon Brando in all seinen Facetten porträtiert sehen.
Zeit: 28. April 1955. Ort: die Trauerkapelle des Bestattungsunternehmens "Universal Funeral Home", Lexington Avenue, Ecke 52nd Street.

Bei der Beerdigung von Constance Collier, einer gemeinsamen Freundin, treffen sich Marilyn Monroe und Truman Capote. Beide wollen noch etwas trinken, ein bisschen spazieren gehen, in der Stadt, sie sehen, im Vorbeigehen, eine schöne Standuhr, in einem Laden, mit alten Möbeln. Marilyn, mit dem Blick ins Schaufenster, erzählt. Capote schreibt:

"Ich hatte noch nie ein Zuhause - jedenfalls kein richtiges, mit eigenen Möbeln. Falls ich jemals wieder heirate und eine Menge Kohle verdiene, lass ich hier mehrere Möbelwagen anrücken und kaufe alles leer. Und mindestens ein Dutzend von diesen Standuhren, die kommen dann alle in dasselbe Zimmer, wo sie alle vor sich hinticken. Das wäre doch sehr gemütlich, meinst Du nicht?"

Kaum spottend, nur manchmal leise seufzend, beschreibt er diesen Spaziergang, der dort endet, wo die Fähre nach Brooklyn abfährt. Capotes Blick auf Marilyn - und auf die andren Celebrities, überhaupt auf jeden Menschen, den er porträtiert, ist vollkommen konzentriert - und manchmal einfach hungrig.

"Wir gingen bis zum Ende des Piers und lauschten den Wellen, die gegen die Pfähle klatschten. Sie lehnte an einem Poller und zeigte mir ihr Profil. Galatea, die den Blick in unbekannte Fernen schweifen lässt. Die leichte Brise griff in ihr Haar, und sie drehte mir mit jener ätherischen Leichtigkeit den Kopf zu, als sei auch diese Bewegung ein Werk des Windes.
So - und wann füttern wir jetzt die Möwen? Ich krieg nämlich langsam auch Hunger. Es ist spät geworden, und das Mittagessen ist ausgefallen."


Capote, begnadet zuhörend und beobachtend, kann sich selbst völlig zurücknehmen. Unglaublich ist die Geduld, mit der er noch der hinterletzten Krümmung des Selbstgesprächs folgt, das Marlon Brando führt - während er einfach dabeisitzt. Halt, lass es sein, gib auf - Capote hört uns nicht, zum Glück nicht, so entsteht auf 50 Seiten- Brandos Porträt.

Und er selbst? 1924 in New Orleans geboren, Südstaatenkindheit, mit acht Jahren nach New York, unterwegs bei Tanten und anderen Menschen, die ihn ernährten . Irgendwann lässt er das hinter sich, geht auf Reisen - er liebt es, sechs Monate von zwölf Monaten unterwegs zu sein.

Capote in München 1960:

"Well yes, I do like to travel, and I travel about six month of every year. But I don`t like to travel quickly. I like to go one someone place and stay there for two month ... now I came to Munich to stay for two weeks ... ."

Zwei Wochen - keine Zeit für einen Reisenden wie ihn. Zwei Monate wären besser. Seine frühesten Texte sind Jugendimpressionen aus New Orleans, Tanger, Hollywood, erzählen von Eisenbahnreisen durch Spanien, von marokkanischen Volksfesten. Neben purer Nostalgie, schreibt er bei einer früheren Veröffentlichung der Texte, erinnern sie mich an eine Zeit, in der ich weniger mit kritischen als mit lyrischen Augen auf diese Welt schaute.

Irgendwann lesen wir laut - einzelne Sätze, ganze Passagen - vor allem aus den Drehbuchdialogen, den Selbstgesprächen- und entdecken: Capote hört nicht nur der Welt und den Menschen zu, sondern der Sprache selbst.

Wo immer wir Capotes Texte auch aufschlagen - wir geraten - durch höchste Präzision verführt - zugleich in den erzählerischen Singsang, der für William Faulkner galt, und gewiss auch für Truman Capote. Das Wiederaufleben der Südstaatentradition, nannte es Francois Bondy:

"Das Komödiantische ... Die Südstaaten haben eine Besonderheit, wie sie wahrscheinlich zu dem feudalen ländlichen Milieu gehört: die Freude am Reden. Komödie und Tragödie verbinden sich - und das ist vielleicht gerade der Reiz."

Schlicht sollen sie sein, seine Sätze, schreibt Capote, und ergänzt, darin ganz Amerikaner: klar wie ein Gebirgsbach. Klarer Verlauf. Keine Botschaften.

Er war kein Grenzgänger. Er hob die Grenzen auf, schreibt Anuschka Roshani im Nachwort. Manchmal kommt dabei auch Trash zustande - campy, hätte Susan Sontag das genannt. Nächtliche Unruhe - oder: wie siamesische Zwillinge Sex haben.

"Jedenfalls ist Einhandsegeln immer noch besser als all die Typen, die du schon angeschleppt hast.
Genau. Wenn's nach dir ginge, würden wir's überhaupt nur noch mit uns selber machen.
Na und? Überleg mal, wie viel Elend uns unterm Strich erspart geblieben wäre.
Aber dann hätten wir uns auch nie in andere Leute verliebt. Immer nur in uns selbst."


Bei Velvet Underground, in den späten siebziger Jahren, ist die Zeit von Capotes Reportagen und Porträts schon vorbei. Zeitlos sind sie alle. Handgeschnitzte Särge - Tatsachenbericht über ein amerikanisches Verbrechen - oder: Die Musen sprechen - mit Porgy and Bess durch Russland, und, und, und. Letzte Fragen: Wovor fürchten Sie sich?

"Vor echten Kröten in imaginären Gärten."

Und im echten Leben?

"Ich meinte im echten Leben."

Haben Sie ein Lebensmotto?

"Gewissermaßen. Ich habe es mal als Kind in ein Tagebuch geschrieben. Ich strebe. Keine Ahnung, warum ich gerade dieses Wort gewählt habe. Es klingt irgendwie komisch. Aber ich mag die Zweideutigkeit dahinter. Strebe ich gen Himmel oder in die Hölle? Wie auch immer. Es ist in seiner Kürze eine noble, geradezu aristokratische Devise."


Truman Capote: Die Hunde bellen - Reportagen, Porträts und Reiseskizzen
Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay
Verlag Kein und Aber, Zürich 2008
Coverausschnitt aus: Truman Capote: Die Hunde bellen - Alle Reportagen, Portraits und Reiseskizzen
Coverausschnitt aus: Truman Capote: Die Hunde bellen© Kein und Aber Verlag, Zürich