Gemüse dörren für den Klimaschutz
Allenfalls als Snack ist Dörrgemüse heute noch bekannt. Dabei lässt sich damit auch gut kochen. © imago / Panthermedia / Fascinadora
"Ein unglaublich schonendes, werterhaltenes Verfahren"
07:29 Minuten
Trocknen statt tieffrieren: Dieser alten Kulturtechnik, Gemüse haltbar zu machen, will die Agraringenieurin Christina Henatsch zu neuem Ansehen verhelfen - dem Klima zuliebe. Erste Großküchen und Caterer experimentieren bereits damit.
"Jetzt ist das Wasser auch komplett weg", sagt Christina Henatsch und beugt sich über einen Kochtopf in ihrer Küche. "Das war bedeckt. Nach fünf Minuten ist es aufgesogen."
In dem Topf köcheln Möhrenscheiben. "In fünf Minuten hat man eine Al-Dente-Qualität, was ja auch einige Menschen mögen. Und nach zehn Minuten hat man komplett weichgekocht."
Henatsch ist Gemüsezüchterin auf Gut Wulfsdorf bei Hamburg, aber die Möhren, die im Topf brodeln, kommen nicht frisch vom Feld. Stattdessen wurden sie in Stücke geschnitten und getrocknet. Henatsch testet das Produkt: Ist der Geschmack harmonisch? Wie lange brauchen die Möhren, um gar zu sein?
"Schmeckt schon ganz anders", sagt sie. "Bisschen Salz dran, bisschen Butter dran, dann kommt der Geschmack natürlich besser raus."
Gut schmecken soll es. Aber vor allem geht es der Agraringenieurin ums Energiesparen und damit letztendlich ums Klima, wie sie draußen in ihrem Blumengarten erzählt. Sie möchte bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern langfristig tiefgefrorenes Gemüse durch Trockengemüse ersetzen.
"Die Tiefkühltruhen mit minus zwanzig, die die ganze Zeit laufen! Und das können ja in Großküchen riesige Mengen sein. Stattdessen hat man einen Sack in der Speisekammer stehen. Der ist leicht, man hat kein Gewicht, und es ist genauso convenient, genauso schnell."
Eine alte Kulturtechnik aus der Zeit vor dem Kühlschrank
Die ersten Tests liefen mit Möhren, Pastinaken, Petersilienwurzel, Lauch, Rote Bete. Samenfeste, also vermehrungsfähige Sorten in Demeter-Qualität, die ein spezialisierter Großbetrieb, die Völpel GmbH, in der Nähe von Ingolstadt getrocknet hat. Das Trocknen von Obst und Gemüse, auch Dörren genannt, ist eine alte Kulturtechnik, der Christina Henatsch in Zeiten des Klimawandels zu neuem Ansehen verhelfen will.
"Dörrobst ist ja noch bekannt. Bei Gemüse ist es nicht mehr bekannt. Es war eine alte Art der Lagerung und Konservierung. Das ist ein unglaublich schonendes, werterhaltenes Verfahren, sowohl geschmacklich als auch energetisch. Und jetzt wollen wir sehen, dass wir das auch wirklich direkt an die Menschen bringen. Also für die schnelle Küche, für Großküchen, die ergänzen müssen, aber auch für Menschen, die keine Zeit zum Kochen haben."
Großküchen und Caterer testen das Trockengemüse derzeit. So auch die Mensa der Freien Waldorfschule Berlin-Mitte, die die Sterneköchin Bettina Zehner leitet:
"Die Qualität der getrockneten Gemüse war sehr hochwertig. Wir haben erstmal mit dem Mund getestet, mit der Nase, ganz sensorisch", sagt Zehner. "Es waren die normalen Sorten, also Pastinaken, Petersilienwurzel, Karotten, in rot und normal, rote Bete. Das ist ja eigentlich ein Gemüse, das es sowieso gibt. Das in frischer Form im Winter als Lagergemüse, auch samenfest, mittlerweile über den Großhandel oder über unsere Bauern zur Verfügung ist."
Die Mensa kocht überwiegend saisonal, also je nach Jahreszeit mit frisch verfügbarem Gemüse. Bettina Zehner würde sich daher für ihre Schulküche eher andere Gemüsesorten als Trockenware wünschen: Tomaten, Paprika, Bohnen.
Die Lagerung verbraucht keine Energie
In anderen Mensabetrieben wird deutlich mehr Tiefkühlkost verwendet als hier. Da könnte das Trockengemüse sehr wohl eine Rolle beim Einsparen von CO2 spielen, meint die Ökotrophologin Melanie Speck. Sie forscht am Wuppertal-Institut, einem internationalen Think Tank für Nachhaltigkeitsforschung, zu nachhaltigem Produzieren und Konsumieren.
Sie nimmt in ihrer Analyse an, dass für die Anlieferung, Säuberung, die Zerkleinerung und dann, je nachdem, für das Frosten oder Trocknen des Gemüses gleich viel Energie aufgewendet werden muss:
"Der Hauptvorteil, den wir jetzt ableiten konnten im Verhältnis zwischen Gefriergemüse und dem trockenen Gemüse, ist natürlich, dass wir dann nach diesem Verarbeitungsschritt keine weitere Energie mehr aufwenden müssen, um die Tiefkühllagerung und die Tiefkühlung zu gewährleisten und damit auch hygienische Aspekte zu berücksichtigen. Das heißt also, es muss keine Energie beim Transport, es muss keine Energie bei der Lagerung im Lebensmitteleinzelhandel und es muss auch keine Energie bei der Lagerung bei den Konsumentinnen dann berücksichtigt werden."
Damit bestätigt sie die Annahme der Gemüsezüchterin Christina Henatsch, dass getrocknetes Gemüse klimafreundlicher als Gefrierkost sei. Allerdings gibt sie zu bedenken, dass dem Klima allein mit dem Verzicht auf Gefrierkost kaum geholfen sei. Wirklich klimarelevant sei es, auf Fleisch und tierische Produkte zu verzichten.
"Denn da haben wir die größten Fußabdrücke. Wenn wir das berücksichtigt haben und da Ernährungsweisen so heruntergeschraubt haben, dass auf Milchprodukte ausnahmsweise zurückgegriffen wird und auf Fleisch nur noch wirklich sehr unregelmäßig, also weniger als einmal in der Woche, dann kann man sich über solche Prozessschritte Gedanken machen. Was ich viel interessanter finde, ist die Lagerfähigkeit und die Haltbarkeit."
Die Ökobilanz in Zahlen wollen Christina Henatsch und ihre Mitstreiter, der Verein Forschungsring sowie die Real Food Foundation, noch von einer unabhängigen Wissenschaftlerin berechnen lassen. Ideen für den Einsatz von getrocknetem Gemüse haben sie viele: zum Beispiel in gemahlener Form als Basis für Babybreis. Außerdem eignet sich das Gemüse, da ihm 90 Prozent seiner Feuchtigkeit entzogen wurden, für Rucksack- und Campingreisen. Es ist leicht, lässt sich lange lagern und ist schnell zubereitet.
Gecrunchte Pastinake auf Vanillequark
Die Sterneköchin Bettina Zehner und ihre Kollegen haben auch schon umfangreich mit dem Gemüse experimentiert:
"Wir machen so eine Gemüsebrühenpaste, um einen Fond zu ersetzen. Da haben wir jetzt einen Teil von diesem getrockneten Gemüse mit reingetan und das ist ein schöner Booster. Das hat uns auch gut gefallen. Oder, was man auch machen kann, ist, die so kurz zu zercrunchen - nicht einzuweichen - und unter Linsensalat zu geben. Auch haben wir Pastinake über einen Vanillequark drübergestreut, vermischt mit Schokolade."
Jetzt feilen Christina Henatsch und ihre Mitstreiter am Markennamen und an der Verpackung für ihr Trockengemüse, damit es im Frühjahr klimabewussten Großküchen und Endverbrauchern zur Verfügung steht.