Gelungenes Auftragswerk zum Kirchentag

Von Uwe Friedrich · 02.05.2013
Die Oper "Vom Ende der Unschuld" ist eine Parabel, kein biographisches Werk über den Theologen Dietrich Bonhoeffer. Das war eine sehr kluge Entscheidung des Komponisten Stephan Peiffer - und passt so zum Kirchentag in Hamburg.
Tief verwurzelt in seinem Glauben lebt der Lehrer Hemann auf einem Gutshof, der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist. Er ist als einziger skeptisch, als Drako aus dem Nichts auftaucht und skrupellos einfache Lösungen vorschlägt. Man solle einen Staudamm bauen, den Nachbarn das Wasser abschneiden und nur noch auf den eigenen Vorteil setzen. Auch Hemanns Schwester Germa verfällt dem Charme des charismatischen Drako, heiratet ihn und hilft bei der Errichtung seiner Schreckensherrschaft.

Die Oper "Vom Ende der Unschuld" ist eine Parabel, kein biographisches Werk über den Theologen Dietrich Bonhoeffer. Das war eine sehr kluge Entscheidung des Komponisten Stephan Peiffer und seiner Librettisten Theresita Colloredo und David Gravenhorst. Ein biographisches Stationendrama mit der Klippklappdramaturgie von "dann machte Bonhoeffer dies" und "dann machte Bonhoeffer das", "dann wurde Bonhoeffer verhaftet" und "dann war er sehr verzweifelt, fand aber Halt im Glauben", hätte mit Sicherheit bloß zu saurem Betroffenheitskitsch geführt. Mit diesem Lehrstück von einem aufrechten Menschen in einem Unrechtsregime gelingt auf dem Evangelischen Kirchentag hingegen eine intelligente Parabel mit hochmoralischer Aussage.

Ferdinand von Bothmer singt den Hemann mit großer Überzeugungskraft und nie nachlassender rhetorischer Brillanz. Diese Figur ist Dietrich Bonhoeffer nachgebildet, dem aufrechten Theologen, der in den letzten Kriegstagen im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet wurde. Sein Gegenspieler Drako wird von Krzysztof Szumanski nicht als Nazi-Karikatur angelegt, sondern als brutal-charmanter Überzeugungstäter, dem die Gutsbewohner freiwillig und scharenweise zulaufen. Hemanns Schwester Germa, souverän gesungen und gespielt von Julia Hennig, ist eine der ersten, die ihm verfällt, ihn heiratet und auch nach dem Ende der Schreckensherrschaft allenfalls erstaunt davon ist, was sie den anderen angetan hat.

Der Komponist Stephan Peiffer schöpft souverän aus der gesamten Musikgeschichte und findet eine düster-faszinierende Tonsprache, die an Walter Braunfels katholische Mysterienopern aus den zwanziger Jahren erinnert. Vom Renaissance-Madrigal bis zu seriellen Kompositionstechniken steht im alles zur Verfügung und er schafft weit mehr als anachronistische Bauchrednerkunst. Peiffer schreibt ausdrucksstarke Gesangslinien, die von den Sängern mit vorbildlicher Textverständlichkeit gestaltet werden können. Offenbar will Peiffer das Rad nicht neu erfinden, vielmehr nutzt er meisterhaft die bewährten Bausteine der Opernkonvention, um zu durchaus eigenständigen Lösungen zu gelangen.

Dirigent Matthias Hoffmann-Borggrefe animiert die Hamburger Camerata zu konzentriertem und farbenreichem Spiel, die Kantorei und Seniorenkantorei St. Nikolai müssen sich vor professionellen Opernchören nicht verstecken. Mit Mistgabeln bewaffnet gehen sie gegen die Regimegegner vor, versammeln zum Morgeneid oder zur Hochzeit, die in eine Gewaltorgie umschlägt. Regisseurin Kirsten Harms und ihr Ausstatter Bernd Damovsky verzichten auf jeden Nazi-Realismus. Sie brauchen weder Armeemäntel noch Maschinengewehre, um die Verrohung einer faschistischen Gesellschaft zu zeigen. Wenige Gesten und präzise abgezirkelte Personenkonstellationen reichen, um Machtgefüge aufzuzeigen und moralische Integrität deutlich zu machen.

Selbstverständlich merkt man dieser Oper an, dass sie ein Auftragswerk des Evangelischen Kirchentages ist. Klar, das Werk hat eine deutlich christliche Aussage, alles andere wäre auch extrem merkwürdig. Aber dieses Werk ist viel mehr als Selbstvergewisserungskunst eines Kirchentages. Stephan Peiffers "Vom Ende der Unschuld" ist ein überzeugendes Kunstwerk, das neugierig macht auf mehr von diesem erst 27jährigen Komponisten.
Mehr zum Thema