Geistes Kind der DDR-Ideologie

Von Klaus Schroeder · 19.12.2010
Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde bekannt, dass Schriftsteller und Ideologieproduzent Hermann Kant eng mit der Staatssicherheit kooperiert hat. In seinem Roman "Kennung" nimmt Kant indirekt zu den Vorwürfen Stellung, indem er die Arbeit des MfS und ihrer potenziellen Zuträger banalisiert und vernebelt.
Der Schriftsteller Hermann Kant gehörte in der DDR zu den wichtigsten Ideologieproduzenten, die den Menschen die kommunistische Heilslehre einimpfen sollten und wollten. Darüber hinaus agierte er direkt politisch als Mitglied der Volkskammer und des ZK der SED sowie als langjähriger Präsident des Schriftstellerverbandes.

Mitte der sechziger Jahre erschien sein auch im Westen gerühmter Roman "Die Aula", in dem er die Anfangsphase der DDR glorifiziert, auf offensichtliche Plattitüden jedoch verzichtet. Die DDR als das bessere Deutschland und der Sozialismus als tägliche Pflichtaufgabe aufstrebender Intellektueller sollten dem Leser näher gebracht werden.

Nach dem Zusammenbruch seines Staates und der Öffnung der Archive wurde bekannt, dass Hermann Kant eng mit der Stasi kooperiert und ihr u.a. Informationen über Westschriftsteller wie Günter Grass geliefert hatte. Bis zum heutigen Tag bestreitet er jedoch unter strikter Missachtung der Aktenlage, inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen zu sein. In seinem Roman "Kennung" nimmt Kant indirekt zu den Vorwürfen Stellung, indem er die Arbeit des MfS und ihrer potenziellen Zuträger banalisiert und vernebelt.

Der Roman spielt im Frühjahr 1961. Die Hauptfigur, der ehrgeizige Literaturkritiker Linus Cord, wird von Stasi-Offizieren aufgefordert, seine Wehrmachts-Erkennungsmarke bei der West-Berliner Auskunftsstelle zu erfragen. Cord sträubt sich, zeigt sich aber gleichwohl verunsichert ob seiner offenbar die Stasi interessierenden Vergangenheit.

"Am wirren Wechsel solcher Fragen erwies sich die Nähe der Bilder, denen Cord fernbleiben wollte, doch war ihr Drängen jetzt aushaltbar. Versucht fühlte er sich, das Ansinnen von Czifras Ministerium in ein höheres Licht zu tauchen. Nicht trivialen Verwaltungsfragen gingen dessen Beamtete nach, sondern Grundfragen. Die Frage etwa, wo wer war."

Nach seitenlanger Schilderung der Gewissensnöte von Cord, in der die Vergangenheit immer wieder die Gegenwart einholt und mitunter überholt, begibt sich der verunsicherte Cord schließlich zur Recherche eigenmächtig nach West-Berlin. Dabei wird er von seinen Gesprächspartnern zwar verfolgt und beobachtet, aber so, dass er sie bemerken kann. Im Westteil der Stadt, der Anfang 1961 noch problemlos von Ost-Berlinern besucht werden konnte, fühlt er sich sichtlich unwohl.

"Ärgeres oder nicht, durch den Westen Berlins bewegte sich Linus Cord meistens wie der Junge im Fischerboot durch die ankernde Armada. Ein wenig war ihm bei seinen besuchsweisen Aufenthalten, als hocke er atemlos im Geäst überm Teufelszeug. Auf Zeit wusste er sich in Reihen, in die er nicht gehörte. Und weil er wie jeder Genosse, der vorübergehend in der parteifeindlichen Frontstadt weilte, sein Parteidokument nicht an einer Kordel um den Hals trug, machte sich das abwesende Papier wie einst das fehlende Aluminium geltend."

Wie nicht anders zu erwarten, beschreibt Hermann Kant West-Berlin als Feindesland, in dem an der Freien Universität Berlin – Zitat - "dynamische Politologen und künftige Dichter auf Kalten Krieg studierten" und selbst der Sozialistische Deutsche Studentenbund mit Ost-Berliner Kommunisten nichts zu tun haben wollten. Diese Politaktivisten hätten zwar den Marxismus mit Löffeln gefressen, aber kein Verständnis für die Mühen der Ebene im realen Sozialismus. Hier schimmert das in einschlägigen ostdeutschen Kreisen immer noch gängige Vorurteil durch, selbst linksliberale westdeutsche Zeitgenossen hätten schon immer ihre ostdeutschen Landsleute mit Arroganz betrachtet.

Der von den Erlebnissen in West-Berlin und dem Verhalten der Stasi-Leute gleichermaßen verschreckte Linus Cord erhält schließlich Besuch von dem ihm schon bekannten Tschekisten und einem General, der die ihm von der Stasi zugewiesene Rolle erläutert.

"Unter den Literaten bahnt sich eine Mode an oder geht etwas um, dass sie den allwissenden Erzähler nennen. Können nicht bis drei zählen, wollen aber allwissend sein. Es geht von einigen Kritikern aus. Besonders von einem soll es ausgehen. Den Drang haben sie alle, aber der soll ihn besonders haben, hat der oberste Chef zu meinem Chef gesagt, und er hat dann zu mir gesagt, eine allgemeine Allwisserei kann nicht geduldet werden. Auf keinen Fall. Mit solchen oder ähnlichen Flausen hat es immer angefangen. Es verträgt sich nicht mit Optimismus und führender Rolle."

Linus Cord soll also nicht nur eingeschüchtert, sondern offenbar auch angeworben werden, um die Literaturszene zu beobachten, damit die "Firma" präventiv tätig werden kann. Der ins Visier der Stasi geratene Literaturkritiker sieht im Verhalten der Offiziere Anmaßung, Vergeudung und Gespensterfurcht. Kant schreibt ihm ein erleichtertes Herz und ein erhobenes Haupt zu, weil er nicht sofort einwilligt. Wie es weitergeht, bleibt offen.

An dieser Stelle des Romans führt Kant den Leser in die Irre. In der sozialistischen Realität des Jahres 1961 wären die auf Cord angesetzten vier hochrangigen Stasi-Offiziere nicht einfach von der Bildfläche verschwunden, sondern hätten entweder seine Karriere beendet oder ihn doch noch verstrickt, wie Kant aus eigenem Erleben wissen müsste.

Dieses Buch zu lesen, ist über weite Strecken eine Qual. Es ist viel zu lang geraten, es bedient sich einer verquasten, mit aufgesetzter Ironie vermischten Bürokratensprache. Doch es könnte durchaus einen guten Zweck erfüllen: Im Schulunterricht gelesen, gäbe es jungen Menschen eine plastische Anschauung davon, wes Geistes Kind der einstige DDR-Schriftsteller-Star Hermann Kant ist - und wie tief er gesunken ist.


Hermann Kant: Kennung, ein Roman
Aufbau Verlag, Berlin 2010
Cover "Kennung" von Hermann Kant
Cover "Kennung" von Hermann Kant© Aufbau Verlag, Berlin
Mehr zum Thema