Geigerin Anne-Sophie Mutter

"Wir müssen uns über die Kunst näher kommen"

Von Mathias Nöther · 14.06.2016
Wenn es soziale Projekte geht, dann setzt die Geigerin Anne-Sophie Mutter gern auf "Signalwirkung", wie sie sagt. So spendet sie die Einnahmen aus ihrem Benefiz-Konzert in Leipzig dem Verein "Integration durch Bildung": Dieser ermöglicht geflüchteten Menschen Musikunterricht.
Nein, eine Flüchtlingsfamilie hat Anne-Sophie Mutter noch nicht bei sich zuhause aufgenommen. Die Frage drängt sich auf, wenn man vom sozialen Engagement hört, das die Star-Geigerin in der Flüchtlingskrise leistet.
Anne-Sophie Mutter allerdings weiß sehr genau, was sie angesichts ihres umfangreichen Konzertkalenders tatsächlich tun kann – jede große oder kleine Hilfestellung, die sie in Deutschland neu Angekommenen leistet, findet in irgendeiner Form über die Musik statt.
"Ich habe eine Stiftung, die sich um den Streichernachwuchs kümmert. Nun hat das nicht direkt mit Flüchtlingen zu tun, aber es hat natürlich schon eine völkerverbindende Funktion, wenn ich beispielsweise einen jungen Musiker aus Persien aufnehme. Und das ist eigentlich mein Beitrag, den ich in größerem Umfang als nur beim Auffangen von ein, zwei Personen versuche zu schaffen."
Solche Gesten allerdings stehen noch außerhalb von Anne-Sophie Mutters eigentlichem Engagement. Das Benefizkonzert, das heute in Leipzig stattfindet, zeigt, dass die Musikerin bei ihrem Flüchtlingsengagement nie bei bloßer Fürsorglichkeit stehenbleibt. Die Herausforderung gerade für Künstler bestehe eben darin, die unmittelbare Hilfe für Leib und Leben zwar im Blick zu behalten, aber über sie hinauszudenken.
"Klassische Musiker engagieren sich im Querschnitt schon sehr stark sozial, also jetzt nicht nur kulturpolitisch, sondern auch sozial. Und irgendwie rennt man natürlich der aktuellen Lage immer hinterher. Erdbebenopfer hier, Hungersnöte dort, Flüchtlingskatastrophe woanders. Man kann natürlich nur dazu aufrufen, dass man aktiv darüber nachdenkt, welche Organisationen man unterstützt."

"Es geht um die Signalwirkung"

Es ist zur Zeit nicht schwierig, einfach für irgendeines von Tausenden Hilfsprojekten zu spenden. Wer allerdings als Künstler die Prominenz von Anne-Sophie Mutter erlangt hat, kann sehr gezielt wählen, welche Wirkung welche humanitäre Aktion genau haben soll – und das tut die Geigerin: Sie wählt gezielt. Ausgehend von politischen und religiösen Überzeugungen und angefangen bei der Wahl des Konzertortes Leipzig.
"Es geht weniger um den finanziellen Ertrag, sondern einfach um die Signalwirkung, und ich finde es wichtig, dass man gerade in Leipzig und Dresden, eben da, wo es schwelt, darauf hinweist, dass es auch andere Wege gibt, mit unseren Nachbarn umzugehen. Das ist ja auch die christliche Nächstenliebe, der sich so viele rühmen und dann doch nicht Farbe bekennen – Flagge zeigen, wenn es drum geht.
Wir müssen doch im Gros davon ausgehen, dass es Menschen sind, die alles verloren haben. Ich meine, würde denn jemand von uns gerne sein Haus, seine Wohnung, seine Verwandten, Teile seiner Familie zurücklassen? Denken Sie an die vielen Kinder, die ohne Eltern reisen, die irgendwo eine Heimat, die bei uns eine Heimat finden sollen!"
Um die Kinder vor allem geht es Anne-Sophie Mutter, das ist ihr Leitgedanke nicht nur bei dem Projekt in Leipzig.
"Ich engagiere mich sehr stark für die SOS-Kinderdörfer, werde auch ein Benefizkonzert für ein SOS-Kinderdorf in Syrien spielen. Das ist ja auch ein Flüchtlingsproblem. So lange in Syrien ein Krieg halt ist, werden auch mehr und mehr Flüchtlinge ihre Heimat verlassen müssen. Es ist ein Thema, das meine Kinder sehr bewegt.
Es muss natürlich weiter gedacht werden, die Schüler und Schülerinnen müssen bis zum Schulabschluss begleitet werden, und nicht nur das, da gibt’s ja auch Ärzte. Es gibt auch Musikunterricht, und gerade bei Musik kommt es ja immer wieder drauf an, dass man diesen völkerverbindenden Aspekt, dass man den sieht und dass man da vielleicht auch über die Sprachbarrieren hinweg tatsächlich den schnellsten Zugang zu jemandem findet, dessen Sprache man selbst nicht spricht und der bei uns sich auch fremd fühlt."

Leipziger Verein "Integration durch Bildung"

Die Einnahmen von Anne-Sophie Mutters Leipziger Moritzburg-Auftritt etwa werden dem Leipziger Verein "Integration durch Bildung" zugute kommen – nicht zuletzt zugunsten der musikalischen Bildungsarbeit mit Flüchtlingen. Auch dieses Signal wägt Anne-Sophie Mutter mit den zu erwartenden Einnahmen ab, die bei maximal rund zweihundert Besuchern nicht hoch sein werden.
"Ich glaube, dass auch dieser Musikunterricht, den man Flüchtlingen angedeihen lässt, ein Weg ist, kulturelles Gut auszutauschen und über diesen Austausch auch die soziale Integrationsfähigkeit in der Gruppe, in einer Musikergruppe zum Beispiel, zu fördern.
Und Teil des Moritzburg-Projektes ist ja auch diese Integration durch Bildung, dass man Musikunterricht zur Verfügung stellt. Und das halte ich für einen der ganz wichtigen Schritte. Weil, bevor wir die Sprachbarriere überspringen, müssen wir uns emotional ja näher kommen, und das geht über die Kunst, über das gemeinsame Malen, über das gemeinsame Singen, das Vorsingen von Liedern aus der Heimat.
Was wissen wir beispielsweise über Syrien? Was wissen wir über so viele Kulturen, die von manchen einfach abgelehnt werden, ohne dass sie überhaupt irgendetwas wissen über das Leben, das diese Menschen, die auf der Flucht sind, geführt haben."
Anne-Sophie Mutter, die selbst unermüdlich neue Geigenliteratur studiert, Komponisten zu neuen Werken für ihr Instrument ermutigt, ihr Nachdenken über Hilfe in der Flüchtlingskrise findet wie selbstverständlich über das Werkzeug der Bildung und der Neugier statt. Sie weiß, wieviel sie selbst durch Neugier erreicht hat. Zu dieser Neugier möchte sie auch die Neuankömmlinge in Deutschland anregen – und fordert sie zugleich von denen, die bisher hier lebten.
"Wir müssen das gemeinsam anpacken, und dieses Projekt in Leipzig ist eben ein Hands-On-Projekt, in dem eben mit Bildung Integration geschaffen wird, und Bildung setzt eben auch voraus, dass ich über eine andere Kultur, nämlich über die, in der ich jetzt dann leben werde, lerne und mich assimiliere. Und davon gehen wir jetzt einfach mal aus, dass uns das gelingen wird. Wir müssen es versuchen. Gemeinsam."
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