Gegen den Strom der Gewalt in Kolumbien
Seit 16 Jahren berichtet der kolumbianische Fernsehreporter und Filmemacher Hollman Morris über Menschenrechtsverstöße und Gewaltverbrechen. Begangen von Paramilitärs, Guerillas und den Staatsorganen in Kolumbien. Die Stadt Nürnberg hat Morris dafür mit ihrem Internationalen Menschenrechtspreis 2011 ausgezeichnet.
"Das Andenprogramm in Kolumbien für Demokratie und Menschenrechte der Europäischen Union und seine Organisationen präsentieren …"
… eine Sendung der Kontraste: Der Vorspann wirbt im Text für den "Stolz Kolumbiens": Kaffee und Öl, unterschiedliche Klimazonen, herrliche Landschaften, großartige Städte und schöne Frauen. Die Bilder zeigen das Gegenteil: Elend, Terror, Gewalt. Denn diese Sendung vermittelt die Kehrseite des offiziellen Wunschtraums, sie richtet sich "Gegen den Strom" – "Contravía".
Im Juli 2003 hat sie Hollman Morris als wöchentliches Halbstunden-Programm von Canal Uno gegründet. Es war stets eine einsame Insel unabhängiger Information in einem staatlichen Sender, der sich dieses demokratische Feigenblatt leistete. In den Anfangsjahren wurde es von der Europäischen Union mitfinanziert. Heute erhält es noch immer eine symbolische Unterstützung.
Bevor der heute 43-jährige Hollman Morris mit "Contravía" begann, hatte er sein Handwerk als Reporter bei lokalen Radio- und Fernsehsendern gelernt und danach für die BBC, Channel 4 sowie Radio France International berichtet. Mehr als 300 Sendungen sind "Gegen den Strom" in acht Jahren entstanden.
Hollman Morris: "Seit meinen Anfängen in den 90er-Jahren habe ich nicht eine Sekunde lang aufgehört, über die Tragödie dieses Landes zu berichten, die eine Barbarei, ein Krieg ist – verursacht von allen Seiten. Aber ich habe in dieser Zeit auch gelernt, dass es trotz der Tragödie Hoffnung gibt."
Der kolumbianische Expräsident Uribe hat ihn deshalb 2009 als "Komplizen des Terrors" gebrandmarkt. Und der damalige Verteidigungsminister und heutige Staatspräsident Santos diffamierte ihn als "intellektuellen Steigbügelhalter der Guerilla". Der Geheimdienst DAS bespitzelte ihn jahrelang. Die Behörden der USA setzten ihn gemäß des Patriot Acts auf die Terroristenliste und verweigerten ihm letztes Jahr das Visum. Dieses Problem konnte die Nieman-Foundation für ihn lösen. Die anderen bestehen weiter. Dabei will Hollman Morris nichts anderes als aufklären über Machtmissbrauch, Korruption und Gewalt in Kolumbien. Als die Morddrohungen zunahmen, musste er seine Arbeit zeitweise einstellen. Die Gefährdung für ihn und sein Team war zu groß:
"Das Programm Contravía wird ständig bedroht, genauso wie ich, obwohl ich inzwischen im Ausland lebe. Auch die Schmutzkampagnen gegen uns werden fortgesetzt, vor allem in den sozialen Netzwerken. Das ist eine Form der Stigmatisierung durch den Geheimdienst DAS und den präsidialen Apparat. Deshalb stellen wir uns jetzt ernsthaft die Frage, ob wir im Ausland bleiben oder zurückkehren sollen."
Dabei hätte der offizielle Machtapparat allen Grund, sich zurückzuhalten. Vor Kurzem wurde der Geheimdienstchef und enge Vertraute von Expräsident Uribe zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte eine kriminelle Vereinigung gebildet und die Paramilitärs, die er bekämpfen sollte, unterstützt. Ihre Gewalttaten an der Zivilbevölkerung sind eines der zentralen Themen von Hollman Morris. Er hat es zusammen mit Juan José Lozano in dem langen Dokumentarfilm "Impunity" ("Straflosigkeit") vertieft. Darin geht es um den Prozess für Frieden und Gerechtigkeit, auf den die Regierung so stolz ist, das heißt um die Verhandlungen mit den Paramilitärs zur Niederlegung der Waffen und ihre Verhöre vor Gericht.
Filmausschnitt: "Es wurden Fehler gemacht, es kam zu Unfällen. Das ist doch logisch in einem quasi 30 Jahre dauernden Krieg."
So einer der Drogenbosse. Die Richterin beschreibt einen dieser "Unfälle": "Luis Eduardo wurden die Gliedmaßen abgehackt, der Bauch aufgerissen, die inneren Organe herausgezerrt, der Kopf abgetrennt. Am Schluss ein Ohr abgeschnitten, um eine Prämie für einen erledigten Kommunistenführer zu erhalten."
Darauf ungerührt der Capo:
"Es wurden viele Personen enthauptet und zerlegt. Das war eine übliche Praktik, um Terror in den Gemeinden zu verbreiten."
"Impunity" ist ein Höhepunkt im Werk von Hollman Morris. Er hat gezögert, den Film in Kolumbien zu zeigen, denn bereits während der Dreharbeiten erhielt das Team Morddrohungen. Aber inzwischen ist er vielerorts gelaufen und im Internet zu sehen.
Hollman Morris: "Ursprung dieses Films sind Reportagen für 'Contravía' über diesen sogenannten Friedensprozesse. Wir haben dann Szenen über die unvorstellbaren Brutalitäten der Paramilitärs zusammengestellt, die das Land noch nicht gesehen hat, und sie in einen Kontext gebracht mit den Reaktionen der Angehörigen von Opfern auf die Arroganz und Dumpfheit der Täter. Denn die offiziellen Medien zeigten hauptsächlich Erklärungen und Rechtfertigungen der Chefs der Paramilitärs. Am Schluss gab es wenig Aufklärung, kaum Gerechtigkeit, keine Entschädigung und nicht die geringste Garantie, dass so etwas nie wieder passiert."
"Impunity" ("Straflosigkeit") haben Hollman Morris und Juan José Lozano ihren außerordentlichen Film aus einem guten Grund genannt. Denn als die Kommandanten der Paramilitärs damit begannen, die Kollaboration von Militärs und Politikern mit diesen sogenannten Selbsthilfetruppen aufzudecken, weil sie nicht als Alleinschuldige dastehen wollen, wurden sie an die USA ausgeliefert. Diese wollten sie allerdings nur wegen ihrer Drogendelikte hinter Schloss und Riegel bringen. Ihre Untaten in Kolumbien bleiben ungestraft. Das dokumentieren die beiden Regisseure ausführlich.
Sie führen den Friedensprozess der kolumbianischen Regierung ad absurdum. Und sie verweisen eindringlich auf die persönlichen Opfer, die sie für ihre mutige Arbeit auf sich nehmen – genauso wie jene Abertausende von Kolumbianern, die auf andere Weise Widerstand leisten.
Service:
Der Dokumentarfilm "Impunity" läuft am 27.9.2011 um 20:00 in den Hackeschen Höfen in Berlin und am 29.9. und 1.10.2011 während des Nürnberger Filmfestivals der Menschenrechte, jeweils in Anwesenheit der beiden Regisseure.
… eine Sendung der Kontraste: Der Vorspann wirbt im Text für den "Stolz Kolumbiens": Kaffee und Öl, unterschiedliche Klimazonen, herrliche Landschaften, großartige Städte und schöne Frauen. Die Bilder zeigen das Gegenteil: Elend, Terror, Gewalt. Denn diese Sendung vermittelt die Kehrseite des offiziellen Wunschtraums, sie richtet sich "Gegen den Strom" – "Contravía".
Im Juli 2003 hat sie Hollman Morris als wöchentliches Halbstunden-Programm von Canal Uno gegründet. Es war stets eine einsame Insel unabhängiger Information in einem staatlichen Sender, der sich dieses demokratische Feigenblatt leistete. In den Anfangsjahren wurde es von der Europäischen Union mitfinanziert. Heute erhält es noch immer eine symbolische Unterstützung.
Bevor der heute 43-jährige Hollman Morris mit "Contravía" begann, hatte er sein Handwerk als Reporter bei lokalen Radio- und Fernsehsendern gelernt und danach für die BBC, Channel 4 sowie Radio France International berichtet. Mehr als 300 Sendungen sind "Gegen den Strom" in acht Jahren entstanden.
Hollman Morris: "Seit meinen Anfängen in den 90er-Jahren habe ich nicht eine Sekunde lang aufgehört, über die Tragödie dieses Landes zu berichten, die eine Barbarei, ein Krieg ist – verursacht von allen Seiten. Aber ich habe in dieser Zeit auch gelernt, dass es trotz der Tragödie Hoffnung gibt."
Der kolumbianische Expräsident Uribe hat ihn deshalb 2009 als "Komplizen des Terrors" gebrandmarkt. Und der damalige Verteidigungsminister und heutige Staatspräsident Santos diffamierte ihn als "intellektuellen Steigbügelhalter der Guerilla". Der Geheimdienst DAS bespitzelte ihn jahrelang. Die Behörden der USA setzten ihn gemäß des Patriot Acts auf die Terroristenliste und verweigerten ihm letztes Jahr das Visum. Dieses Problem konnte die Nieman-Foundation für ihn lösen. Die anderen bestehen weiter. Dabei will Hollman Morris nichts anderes als aufklären über Machtmissbrauch, Korruption und Gewalt in Kolumbien. Als die Morddrohungen zunahmen, musste er seine Arbeit zeitweise einstellen. Die Gefährdung für ihn und sein Team war zu groß:
"Das Programm Contravía wird ständig bedroht, genauso wie ich, obwohl ich inzwischen im Ausland lebe. Auch die Schmutzkampagnen gegen uns werden fortgesetzt, vor allem in den sozialen Netzwerken. Das ist eine Form der Stigmatisierung durch den Geheimdienst DAS und den präsidialen Apparat. Deshalb stellen wir uns jetzt ernsthaft die Frage, ob wir im Ausland bleiben oder zurückkehren sollen."
Dabei hätte der offizielle Machtapparat allen Grund, sich zurückzuhalten. Vor Kurzem wurde der Geheimdienstchef und enge Vertraute von Expräsident Uribe zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte eine kriminelle Vereinigung gebildet und die Paramilitärs, die er bekämpfen sollte, unterstützt. Ihre Gewalttaten an der Zivilbevölkerung sind eines der zentralen Themen von Hollman Morris. Er hat es zusammen mit Juan José Lozano in dem langen Dokumentarfilm "Impunity" ("Straflosigkeit") vertieft. Darin geht es um den Prozess für Frieden und Gerechtigkeit, auf den die Regierung so stolz ist, das heißt um die Verhandlungen mit den Paramilitärs zur Niederlegung der Waffen und ihre Verhöre vor Gericht.
Filmausschnitt: "Es wurden Fehler gemacht, es kam zu Unfällen. Das ist doch logisch in einem quasi 30 Jahre dauernden Krieg."
So einer der Drogenbosse. Die Richterin beschreibt einen dieser "Unfälle": "Luis Eduardo wurden die Gliedmaßen abgehackt, der Bauch aufgerissen, die inneren Organe herausgezerrt, der Kopf abgetrennt. Am Schluss ein Ohr abgeschnitten, um eine Prämie für einen erledigten Kommunistenführer zu erhalten."
Darauf ungerührt der Capo:
"Es wurden viele Personen enthauptet und zerlegt. Das war eine übliche Praktik, um Terror in den Gemeinden zu verbreiten."
"Impunity" ist ein Höhepunkt im Werk von Hollman Morris. Er hat gezögert, den Film in Kolumbien zu zeigen, denn bereits während der Dreharbeiten erhielt das Team Morddrohungen. Aber inzwischen ist er vielerorts gelaufen und im Internet zu sehen.
Hollman Morris: "Ursprung dieses Films sind Reportagen für 'Contravía' über diesen sogenannten Friedensprozesse. Wir haben dann Szenen über die unvorstellbaren Brutalitäten der Paramilitärs zusammengestellt, die das Land noch nicht gesehen hat, und sie in einen Kontext gebracht mit den Reaktionen der Angehörigen von Opfern auf die Arroganz und Dumpfheit der Täter. Denn die offiziellen Medien zeigten hauptsächlich Erklärungen und Rechtfertigungen der Chefs der Paramilitärs. Am Schluss gab es wenig Aufklärung, kaum Gerechtigkeit, keine Entschädigung und nicht die geringste Garantie, dass so etwas nie wieder passiert."
"Impunity" ("Straflosigkeit") haben Hollman Morris und Juan José Lozano ihren außerordentlichen Film aus einem guten Grund genannt. Denn als die Kommandanten der Paramilitärs damit begannen, die Kollaboration von Militärs und Politikern mit diesen sogenannten Selbsthilfetruppen aufzudecken, weil sie nicht als Alleinschuldige dastehen wollen, wurden sie an die USA ausgeliefert. Diese wollten sie allerdings nur wegen ihrer Drogendelikte hinter Schloss und Riegel bringen. Ihre Untaten in Kolumbien bleiben ungestraft. Das dokumentieren die beiden Regisseure ausführlich.
Sie führen den Friedensprozess der kolumbianischen Regierung ad absurdum. Und sie verweisen eindringlich auf die persönlichen Opfer, die sie für ihre mutige Arbeit auf sich nehmen – genauso wie jene Abertausende von Kolumbianern, die auf andere Weise Widerstand leisten.
Service:
Der Dokumentarfilm "Impunity" läuft am 27.9.2011 um 20:00 in den Hackeschen Höfen in Berlin und am 29.9. und 1.10.2011 während des Nürnberger Filmfestivals der Menschenrechte, jeweils in Anwesenheit der beiden Regisseure.