Gefährdete Nutztierarten

Was wird aus dem Wollschwein?

Zwei Wollschwein stehen nebeneinander im Schnee.
Beim Fleisch zählt für viele nur "Masse statt Klasse", kritisiert Timo Rieg. © picture alliance / imageBROKER / Ingo Schulz
Ein Standpunkt von Timo Rieg · 18.01.2019
Das Wollschwein ist ein vom Aussterben bedrohtes Nutztier. Weil es nicht in engen Ställen gedeiht und sich deshalb nicht von der Agrarindustrie verwerten lässt. Und der geht es - Bio hin oder her - nur um Masse. Daran ist auch der Verbraucher schuld, meint der Biologe Timo Rieg.
Wann haben Sie das letzte Mal eine fette Sau getroffen? Oder gendergerecht: ein fettes Schwein gesehen? Wahrscheinlich noch nie - oder es ist lange her. Denn zum einen sind die fetten Schweine sehr rar, um Haaresbreite wären sie gar ausgestorben. Und zum anderen sieht man in unserer agrarindustriellen Welt Schweine ungeachtet ihres Speckanteils sowieso nirgends mehr.
Das Wollschwein oder Mangalitza ist jedenfalls die fetteste Züchtung und wird morgen auf der Grünen Woche zur gefährdeten Nutztierrasse des Jahres gekürt. Im ganzen Land gibt es derzeit nur einige hundert Tiere, die meisten Züchter haben nur ein, zwei Sauen und einen Eber. Vermarktet werden das marmorierte Fleisch und der dicke weiße Speck vor allem an zahlungskräftige Feinschmecker. Aber auch aus der Bewegung für nachhaltiges, regionales, ethisch-vertretbares Essen wächst die Nachfrage nach Mangalitza und anderen alten Nutztieren. Das Wollschwein ist friedlich und genügsam, es kann ganzjährig im Freiland bleiben, und es frisst alles, was so im Haushalt anfällt, vom Grasschnitt bis zum alten Joghurt.

Das Wollschwein - ein unrentables Tier

Was Mangalitza und alle anderen alten Nutztierrassen hingegen gar nicht mögen, ist die Agrarindustrie. In engen Ställen wollen die Viecher nicht gedeihen, in der Massentierhaltung ist ihre Friedlichkeit dahin und mit Turbowachstum haben sie überhaupt keinen Vertrag. Wollschweine, Angler Sattelschweine oder Buntes Bentheimer sind Globalisierungsverlierer. Sie drohen auszusterben, weil sie für die Agrarindustrie unrentabel sind - und nicht etwa, weil sich der Geschmack der Verbraucher geändert hätte, wie oft behauptet wird. Als ob die Verbraucher irgendwas zu sagen hätten. Und als ob sie wählerisch wären.
Wer im Discounter diese abgepackten, durch Begasung am Verwesen gehinderten Fragmente geschundener Hybridschweine kauft, ist doch nun wahrlich der Hinterletzte, der auch nur irgendeinen Qualitätsanspruch erhebt. Jeder Gammelfleischskandal zeigt uns doch, dass einfach alles gegessen wird, was ein Mindesthaltbarkeitsdatum trägt.

Die alten Hühnerrassen passen einfach nicht zum Kapitalismus

Die Agrarindustrie liefert keinen Geschmack, keine Lebensqualität, sondern schlicht Masse. Da machen "bio" und "konventionell" übrigens keinen Unterschied, es sind ja nur zwei verschiedene Vermarktungsschienen. In der sogenannten "ökologischen Landwirtschaft" werden die gleichen armseligen Turboschweine gemästet. Weil die guten alten Rassen einfach nicht zum Kapitalismus passen.
Beispiel Huhn: Was wir hierzulande an Eiern geboten bekommen, ob nun für 10 oder 40 Cent das Stück, ist eine Armseligkeit in jeder Hinsicht. Wer einmal ein Ei von Vorwerk-Henne, Marans oder Sulmtaler gegessen hat, wird das, was sich die Hybridlegehennen in Bio-Freilandhaltung aus der Kloake pressen, nicht mehr Hühnerei nennen. Es ist schlicht ein Industrieprodukt, das man ohne mit der Wimper zu zucken auch in Tetrapacks und Tanklastwagen kippen oder zu Stangenei verkochen kann.
Weil sich alte Nutztierrassen und moderne Hybridkreuzungen unterscheiden wie Tag und Nacht, gewinnt die private Haltung Fans. Grundsätzlich ist das auch alles sehr einfach, wenn man etwas Platz hat. Allerdings tun die Behörden ihr Möglichstes, dass nicht zu viele Menschen auf guten Geschmack kommen.

Auch die Bürokratie tut ihren Teil dazu

Wenn Sie zwei Wollschweine im Freien halten wollen, haben Sie einen Behördenmarathon vor sich. Sie werden unter anderem einen doppelten Zaun brauchen, einen Umkleideraum, Desinfektionsmittel und - ganz wichtig - eine abschließbare Tonne "zur ordnungsgemäßen Aufbewahrung verendeter Schweine", die "zur Abholung durch die Fahrzeuge des Verarbeitungsbetriebes für Material der Kategorie 2" Blabla so aufzustellen ist, "dass sie von diesen möglichst ohne Befahren des Betriebsgeländes entladen werden können." Wie gesagt, das alles für Ihre zwei Schweine. Denen Sie übrigens nicht Ihren alten Joghurt füttern dürfen, auch das ist geregelt.
Wer sich unseren Agrarzirkus anschaut, wird erkennen: Nicht nur das Wollschwein ist vom Aussterben bedroht.

Timo Rieg ist Diplom-Biologe, Buchautor und Journalist. Er beschäftigt sich beruflich wie privat mit "Nachhaltigkeit". Sein aktuelles Buch: "Demokratie für Deutschland".



© privat
Mehr zum Thema