Gedichtband von Till Lindemann

Bürgerschrecklyrik vom Rammstein-Frontmann

06:30 Minuten
Rammstein-Sänger Till Lindemann auf der Bühne
Schwarzes Leder und viel Make-up auf der Bühne - auch in seiner Lyrik setzt Rammstein-Sänger Till Lindemann auf Abgründiges. © Getty Images / Mondadori / Francesco Castaldo
Jenni Zylka im Gespräch mit Martin Böttcher · 10.03.2020
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Auf der Bühne gibt sich Rammstein-Frontmann Till Lindemann martialisch. Nun ist sein dritter Gedichtband erschienen. Darin geht es um Wahn, Schmutz und Sex. Auch die Sprach-Rhythmik erinnert oft an Rammstein-Songs, findet unsere Kritikerin Jenny Zylka.
Martin Böttcher: Till Lindemann kennen die meisten als Gesicht und vielleicht auch als furchteinflößende Stimme der deutschen Rockband "Rammstein". Der Leipziger gibt sich auf der Bühne meist recht martialisch, mit schwarzem Leder, mit viel Make-up, er spielt mit Pyrotechnik, setzt gern auch mal den Keyboarder Flake in Flammen, er singt über Tod und Verderben.
Selbst wenn man ihm den Feingeist nicht unbedingt ansieht - Till Lindemann schreibt auch Poesie. Bei Kiwi ist soeben der dritte Band mit Gedichten aus seiner Feder erschienen. Er heißt schlicht "100 Gedichte". Worum geht es in der Poesie von Till Lindemann?

Beißen, in Stücke reißen, Sex haben

Jenni Zylka: Man kann sich ja denken, dass das nicht Geburtstagskalenderlyrik ist mit Herzchen. In allen drei Büchern werden düstere Bilder aufgemacht - auch in diesem dritten, übrigens auch in schwarz gehalten und mit Zeichnungen von Illustrator Matthias Matthies versehen: Schwarze, dünne, nackte, männliche und weibliche Figuren, die aufeinander hocken und sich gegenseitig beißen oder in Stücke reißen oder Sex haben, oder alles drei auf einmal. Es geht um Wahn und Liebe und Schmutz und Sex, manchmal recht handfest, oft vage, auch ganz lustig oder zumindest augenzwinkernd. Ein Zweizeiler heißt zum Beispiel:
Wer weiß wie lang die Liebe hält
Ich liebe dich, du liebst mein Geld
Zylka: Da könnte ja fast noch ein Gedicht von Heinz Erhardt davorstehen. Ansonsten sind die Schlüsselwörter Herz, Feuer, Blut, allein, Kette, Schenkel und Hund. Oft geht es um, ich will mal sagen, Zweierbeziehungen oder um die Probleme zwischen ihm und ihr. In einem Gedicht schreibt er, dass eine Ehefrau wunderbar ist, er sich aber langweilt mit ihr. In einem anderen schreibt er über Stadt und Land. Und hier noch ein Beispiel:
Ich bin falscher Schmetterling:
Außen bin ich bitterbunt

Doch pechschwarz meine Seele
Das Rot bekommt der Morgentau
Das Giftgrün für die See

Für Tiere fettes tiefes Blau
Schwarz verschenk ich nie
Ich verschenke keine Farben
Die ich den Menschen stehle
Ich sauge sie aus ihren Augen
Und kette sie an meine Seele.
Böttcher: Unser Sprecher, den wir dafür ausgesucht haben, der verleiht dem Ganzen eine unfreiwillig komische Note, weil es sich so gar nicht nach Lindemann anhört. Aber vom Text her ist es doch typisch Lindemann, dunkel und so leicht verquast, verschwurbelt.
Zylka: Genau verquast, wie auch das Reimschema, das er sehr kreativ benutzt. Er schert sich nicht um Versmaß oder so was. Aber das ist ja ihm überlassen. Es gibt sehr viele, sehr kurze Gedichte, auch ein längeres Stück, in dem der Ich-Erzähler einen Rehbock mit Pfeil und Bogen erledigt, der plumpst dann blutend in den Pool, die Nachbarn und die Kinder schauen zu und schreien. Und dann gibt es eine ewig lange Bahnhofstoilettengeschichte mit sehr vielen Körperflüssigkeiten, aber die meisten Gedichte sind kürzer.
Böttcher: Körperflüssigkeiten von Till Lindemann, das ist ja nichts Besonderes, damit geht er ja fast schon hausieren die letzten Jahre. Aber Bahnhofstoilettengeschichten von ihm möchte man dann vielleicht doch nicht hören. Taugen diese Gedichte etwas?

Es gibt keinen Standard, dem er genügen will

Zylka: Das ist natürlich subjektiv, es gibt keinen Lyrikstandard, dem er genügen will oder müsste, oder an dem man ihn messen muss. Ich finde ihn nicht so großartig-abgründig komisch wie zum Beispiel Heinz Erhardt oder Robert Gernhardt. Und ich finde ihn auch keinesfalls so poetisch und sprachsicher und durchdacht wie die alten deutschen Dichter.
Er hat auch nicht die Schärfe für Gesellschaftliches wie Bukowski zum Beispiel, der ja auch ähnliche Themen teilweise behandelt. Für mich ist das ein bisschen Bürgerschrecklyrik. Er schreibt, was er will. Man merkt, genau wie an den Rammsteintexten, dass er sehr viel Spaß an den Worten hat. Er benutzt extra altmodische, verschwurbelte Formulierungen, um vielleicht ein Mittelaltergefühl heraufzubeschwören: der Müdling treibt mich, da steht die Kreatur, es geht um den Aderlass - auch um die Bilder noch mehr zu distanzieren, sie künstlicher zu machen.
Böttcher: Warum macht er das eigentlich? Ich habe nicht das Gefühl, dass er so ein Mittelaltertyp ist. Gefallen dir persönlich die Gedichte?
Zylka: Mir persönlich gefallen einige wenige der Gedichte. Ich bin allerdings auch kein großer Fan von Rammstein-Songtexten, die sind mir oft einfach zu aufgesetzt. Mir fehlt der Humor in den Gedichten und die Ironie, die ich in bei Rammstein durchaus wahrnehme.
Aber ich finde, dass Lindemanns Lyrik dennoch sehr berechtigt ist. Ich würde sowieso nie jemandem das Dichten verbieten. Es gibt bestimmt auch Menschen, vielleicht auch gerade Menschen, die sonst nicht unbedingt einen "weak spot" für Lyrik haben, denen könnte das durchaus richtig gefallen. Das ist nicht kompliziert zu interpretieren – wenn da jemand Beine leckt, dann leckt er wirklich Beine, das ist also 1:1. Und das kann man ja auch gut finden.

Lindemann zementiert sein Image

Böttcher: Merkt man denn, dass Lindemann normalerweise Songtexte schreibt?
Zylka: Auf jeden Fall, die Rammstein-Songtext-Rhythmik hat er eigentlich in jedem Gedicht, man könnte sie sich auch fast alle zu den Metal-typischen Gitarrenriffs und Schlagzeuggedöns vorstellen. Wenn er also schreibt "Ich muss dich küssen / Muss dich spüren / Will dich halten / 
Und berühren / Muss dich atmen / Mit dir reden" - 
das klingt ganz klar wie ein Rammstein-Text.
Böttcher: Spricht er damit nur Fans an – oder sind seine Gedichte auch etwas für Nicht-Musikfans?
Zylka: Ich glaube - anders als der Herausgeber Alexander Gorkow übrigens, der im Vorwort sagt, das sei auch etwas für Nicht-Rammsteinfans -, dass man schon eine gewisse Sympathie für das parodistische Pathos dieser Band haben muss, um das zu goutieren. Lindemann zementiert hier – und das will ich ihm gar nicht vorwerfen – einfach einmal mehr sein Image.
Ich habe vor Jahren schon einmal anlässlich der Veröffentlichung seines ersten Gedichtbands mit ihm gesprochen. Damals hat er gesagt, die Leute seien an Abgründen interessiert und nicht daran, wie er von der Kaufhalle nach Hause geht.
Böttcher: Hat er ja auch recht, oder?
Zylka: Genau. das gilt auch für diese Texte. Man kann mit ihnen gefahrlos dieses Bedürfnis nach Düsternis oder Wildheit ausleben, aber in einem "safe space", das ist nicht wirklich gefährlich. Insofern spricht er vielleicht die Menschen an, die das Bedürfnis nach dieser Art von klassischer Gothic-Rockpose teilen, und am Rest des Tages völlig glückliche Familienväter und –mütter sind.
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