Gavin Francis: “Inseln”

Sehnsucht nach Meer und Möwen

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Das Buchcover von "Inseln. Die Kartierung einer Sehnsucht" liegt auf einem orangenem Aquarellhintergrund und zeigt einen Ausschnitt einer antiken Karte in verschiedenen Grüntönen.
Zu einem Gleichgewicht kommt der Mensch nur in einem Wechselspiel aus Abgeschiedenheit und Vernetztsein, schreibt Autor Gavin Francis. © Deutschlandradio / DuMont Verlag
Von Anne Kohlick · 19.03.2021
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Ein Buch zum Reisen im Kopf: Der schottische Arzt und Autor Gavin Francis lädt zum Insel-Hopping ein. Von Feuerland geht es bis auf die Lofoten, mit erhellenden Ausflügen in die Literaturgeschichte.
Versunken in einen großen Atlas sitzt ein Junge in einer schottischen Stadtbücherei. Mit dem Finger spürt er den Umrissen weit entfernter Inseln nach und träumt davon, entlang solcher Küsten zu wandern.
Mit dieser Erinnerung beginnt der heute 46 Jahre alte Gavin Francis, Arzt und Schriftsteller aus Edinburgh, sein Buch "Inseln".

Exkursionen und Exkurse

Dem bekennenden "Insula-Philen" ist eine kluge Mischung gelungen: aus Reise-Memoir, literaturhistorischen Exkursen und essayistischen Reflexionen. 80 großformatige Abbildungen von historischen Landkarten ergänzen den Text, der in kurzen Fragmenten von einer Gedanken-Insel zur nächsten hüpft.
Auf dutzende Archipele zwischen den Lofoten und Feuerland bringt uns das Buch - eine besondere Freude in reisearmen Corona-Zeiten.
Wie Gavin Francis über das Phänomen "Isolation" nachdenkt - nicht umsonst steckt darin das italienische Wort "isola" für Insel -, passt ebenso zu Corona. Sich zurückziehen, zur Ruhe finden, das geht auf Inseln besonders gut.

"Kein Mensch ist eine Insel"

Zu einem Gleichgewicht kommt der Mensch aber nur in einem Wechselspiel aus Abgeschiedenheit und Vernetztsein, schreibt Francis und zitiert John Donnes berühmten Satz: "Kein Mensch ist eine Insel."
"Inseln" ist nach dem Bestseller "Empire Antarctica" von 2013 das zweite Buch von Gavin Francis, das ins Deutsche übersetzt wird. Damals berichtete der Schotte, der in Großbritannien auch für medizinische Sachbücher bekannt ist, von seinem 14-monatigen Aufenthalt als Arzt auf einer antarktischen Forschungsstation.
Die Anziehungskraft, die Kälte und Seevögel auf ihn ausüben, drückt er auch in seinem neuen Buch in berückend schönen Sätzen aus: "Am Ufer erhoben sich nistende Seeschwalben in einer Wolke aus der Klosterruine, und Kormorane warfen sich vor den Wellen in die Brust wie Boxer beim Betreten des Rings."

Von Dante bis Darwin

So dicht und atmosphärisch sind seine Beschreibungen, dass man meint, Möwenschreie zu hören und von der fiktiven Gischt nass zu werden. Solche Szenen wechseln sich ab mit 200 Zitaten aus Büchern über Inseln.
Naturwissenschaft und Literatur interessieren Francis gleichermaßen: Von Dante über Darwin bis zu Judith Schalansky und ihrem "Atlas der abgelegenen Inseln" reicht das reichhaltige Quellenverzeichnis am Ende des Buches.
Besonders fasziniert Francis die Geschichte seines schottischen Landsmanns Alexander Selkirk (1675-1721), der vier Jahre auf einer unbewohnten Pazifik-Insel überlebte und zum Vorbild für Daniel Defoes Romanheld Robinson Crusoe wurde.

Was wir zum Leben wirklich brauchen

Über Selkirk schrieben britische Journalisten nach seiner Isolation, er habe "einen tiefen, aber heiteren Ernst" in sich getragen und eine "Geringschätzung gegenüber den gewöhnlichen Dingen in seiner Umgebung" - als wisse er, dass es zum Leben nichts davon wirklich brauche.
Alexander Selkirk ist ein Vorbild für Gavin Francis, wenn er Fragen nachspürt wie: Was ist es, was wir zum Leben wirklich brauchen? Wieso schwanken wir so sehr - zwischen der Sehnsucht nach Abgeschiedenheit und dem Lebenshunger der Großstadt? Dem Autor auf dieser Gedankenreise zu folgen, ist bereichernd - ein meditatives Lesevergnügen.

Gavin Francis: "Inseln. Die Kartierung einer Sehnsucht"
Aus dem Englischen von Sofia Blind
DuMont Verlag, Köln 2021
256 Seiten, 28 Euro

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