Gaspard Kœnig: „Mit Montaigne auf Reisen"

Grenzenlose Gastfreundschaft und böse Bürokratie

06:41 Minuten
Cover des Buchs „Mit Montaigne auf Reisen. Abenteuer eines Philosophen zu Pferde“ von Gaspard Kœnig. Der Autor sitzt auf einem weißen Pferd auf einem öffentlichen Platz mit historischen, prunkvollen Gebäuden und trägt einen schwarzen Cowboy-Hut.
© Galiani

Gaspard Kœnig

Aus dem Französischen von Tobias Roth

Mit Montaigne auf Reisen. Abenteuer eines Philosophen zu PferdeGaliani Verlag, Berlin 2022

555 Seiten

32,00 Euro

Von Michael Opitz · 15.09.2022
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Wie lebt es sich heute in Europa? Der Philosoph Gaspard Kœnig ist mit dem Pferd von Frankreich nach Italien geritten und versucht, diese Frage in seinem neuen Buch anhand von Reiseerlebnissen zu beantworten.
Dass die Menschen vom Pferd ab- und in die Eisenbahn eingestiegen sind, hält der französischen Philosoph Paul Virilio für eine der einschneidensten Veränderungen im 19. Jahrhundert. Virilios jüngerer Kollege, der Philosoph Gaspard Kœnig, entschied sich allerdings ganz bewusst für das Pferd und damit gegen die Bahn, das Flugzeug und das Auto, als er sich von dem unweit von Bordeaux gelegenen Saint-Michelle-de-Montaigne auf den Weg nach Rom machte.
Während ein Flugzeug diese Strecke in zwei Stunden zurücklegt, war Kœnig mit dem Pferd 20 Wochen unterwegs. Schnell wollte er offensichtlich nicht ans Ziel kommen.

Auf den Spuren von Montaigne

Kœnig folgte mit seiner sechs Jahre alten Stute Destinada den Spuren Montaignes, der sich 1580 auf den 2500 Kilometer langen Weg von Frankreich über die Schweiz und Deutschland nach Italien begab. Montaigne wollte neben fremden Landstrichen auch die dort lebenden Menschen kennenlernen. Auch Kœnig will auf seiner Reise herausfinden, wie es sich heute in Europa lebt.
Er wendet dabei die so genannte Montaigne-Methode an: Er befragt die Menschen nie danach, was ihn interessiert, sondern lässt sie von ihrem Leben erzählen und hört auch dann mit Respekt zu, wenn sie Ansichten äußern, die er nicht teilt. So lernt er insbesondere Frankreich und die Franzosen aus nächster Nähe kennen.
An seinen Landsleuten schätzt er besonders die Gastfreundschaft. Fast nie muss er für Kost und Logis bezahlen, auch für die Unterstellung und Verpflegung seines Pferdes wird selten Geld verlangt.

In der Fremde ist er nun Tourist

Doch mit dem Überschreiten der französischen Grenze verändert sich nicht nur Kœnigs Blick. In der Fremde ist es der Tourist, der für Aufsehen sorgt, weil er mit einem Pferd unterwegs ist. Nunmehr resultiert sein kritischer Blick weniger aus Gesprächen, sondern aus Beobachtungen. Da er kaum Deutsch und nur wenig Italienisch spricht, fällt es ihm im Ausland – anders als in Frankreich – sehr viel schwerer, mit den dort lebenden Menschen zu kommunizieren.  
Dass die Rom-Reise zu Pferde im 21. Jahrhundert schwierig werden könnte, wird ihm zum ersten Mal an der Schweizer Grenze bewusst, wo man ihn wegen fehlender Dokumente nicht passieren lässt. Die Grenzprobleme setzen sich fort.
Problemlos kann er zwar nach Deutschland einreisen, aber bei der Ausreise verlangt eine deutsche Veterinärin Dokumente, die er nicht vorweisen kann. Nichts ist auf dieser Reise selbstverständlich. Selbst Hufschmiede, die aufzusuchen sich ab und an als notwendig erweist, sind schwierig zu finden.

Unangemessene Vergleiche und Einschätzungen

So sehr man den ersten, Frankreich vorbehaltenen Teil des Buches mit Interesse, Freude und Gewinn liest – Kœnig kann erzählen –, so sehr stören unangemessene Vergleiche und Einschätzungen in den Kapiteln über Deutschland und Italien.
Zwei Beispiele: Es ist verständlich, dass sich der für die europäischen Ideale reitende Franzose über die deutsche Bürokratie echauffiert. Doch dazu fällt dem Autor nur ein abgeschmackter Eichmann-Vergleich ein, wobei sich doch auch unter Berufung auf Hölderlin kräftig über die Deutschen herziehen ließe.
Auch bemisst er seltsamerweise die Gastfreundschaft, die er in der Toskana schmerzlich vermisst, allein am Monetären („Man lässt mich alles bezahlen“). Ist das nun von einem sich für das bedingungslose Grundeinkommen einsetzenden Philosophen zukunftsweisend europäisch gedacht - oder doch nur schlichtweg unverfroren?

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