Gary Shteyngart: "Willkommen in Lake Success"

Die demütigende Odyssee eines Managers

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Cover von Gary Shteyngarts Roman "Willkommen in Lake Success". Im Hintergrund ist ein Foto von einem Highway in West-Texas (USA) zu sehen.
In Gary Shteyngarts neuem Buch flüchtet ein Hedgefonds-Manager im Greyhound-Bus vor der Börsenaufsicht. © Deutschlandradio / Penguin Verlag / imago images / Mint Images
Von Sigrid Löffler · 02.05.2019
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Gary Shteyngart ist bekannt für seinen Humor. In "Willkommen in Lake Success" entwickelt er nun einen Sinn für das Tragische. Er schickt einen gescheiterten Manager auf eine Odyssee durch die Südstaaten – und demütigt ihn auf der ganzen Strecke.
Gary Shteyngart, der US-Autor russisch-jüdischer Herkunft, gilt als einer der besten Humoristen, Gesellschaftskritiker und politischen Satiriker der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Seine Bücher – "Handbuch für den russischen Debütanten", "Absurdistan" und "Super Sad True Love Story" – waren abenteuerliche, oft ins Absurde überdrehte Schelmenromane und Globalisierungs-Grotesken, ein Gemisch aus Gesellschaftskritik, Aberwitz und Selbstverspottung, überhöht ins Barocke und Farcenhafte.
Doch nun, da er auf die 50 zugeht, schlägt Shteyngart in seinem neuen Roman, der Road Novel "Willkommen in Lake Success", andere Saiten an. Der Ton ist weniger schrill, der Humor ist gedämpft, statt Schärfe zieht ein Hauch von menschlicher Wärme durch die Buchseiten. Kurz: Shteyngart hat erkennbar Mitleid mit seinen Romanfiguren. Er entwickelt einen neuen Sinn für das Tragische der menschlichen Existenz. Was aber nicht heißt, dass die Figuren dem Leser nun etwa als sympathische Zeitgenossen ans Herz gelegt würden. Das nun doch nicht.

Ausstieg aus dem Luxusleben

Shteyngarts Protagonist Barry – Held möchte man ihn nicht nennen – ist ein schwerreicher New Yorker Hedgefonds-Manager von Mitte 40, der aus dem Luxusleben aussteigt, auf der Flucht vor der Börsenaufsicht, einer kaputten Ehe und den Tobsuchtsanfällen seines autistischen Sohnes. Im Greyhound-Bus, fast ohne Bargeld und nur mit seinen sechs kostbaren Lieblingsuhren im Gepäck, macht er sich auf eine Odyssee durch die Südstaaten und mischt sich unter das gemeine Volk, das er bisher nur vom Wegschauen kannte.
Es ist der Sommer 2016, und Donald Trump ist unterwegs zur Präsidentschaft, und Barry trifft auf einen Querschnitt der abgehängten amerikanischen Unterschicht: Untergangsprediger, Breitbart-Leser und andere Spinner und schräge Vögel. Überall ist eine Stimmung latenter Unzufriedenheit und Wut im Lande zu spüren.
Barry mäandert durch die Hinterwelt der Südstaaten bis nach El Paso, wo er eine frühere College-Geliebte ausfindig gemacht hat, in der einfältigen Hoffnung auf einen Neustart mit ihr. Unterwegs bilanziert er sein Leben – in einer Mischung aus Selbstanklage, nostalgischer Rückschau auf verschwundenes Glück und wehleidigem Stochern in eigenen Versäumnissen.

Erbarmen für einen erbärmlichen Schuft

Die Erzählung von Barrys Flucht-Tour wird unterbrochen von Kapiteln, in denen das Leben der verlassenen Ehefrau in Manhattan erzählt wird. Diese präsidiert derweil hektisch über ein ganzes Team von Physiotherapeuten, Logopäden, Ärzten und Ergotherapeuten zur Behandlung der Tobsuchtsanfälle ihres Sohnes. Zwischendurch stürzt sie sich in eine hoffnungslose Affäre mit einem verheirateten Nachbarn.
Shteyngart demütigt seinen Helden auf der ganzen Strecke und gibt ihm ein spezielles Erniedrigungsprogramm bis hin zum Straßenbettler zu kosten – doch er lässt ihn letztlich glimpflich davonkommen. Er erbarmt sich dieses erbärmlichen Schuftes. Ein Zeichen von Schwäche oder von zunehmender Reife und Ernsthaftigkeit des Autors in mittleren Jahren? Schwer zu entscheiden. Leicht beklommen und sachte enttäuscht schließt der Leser das Buch.
Was für Loriot gilt, das gilt nun auch für Shteyngart: Früher war mehr Lametta.

Gary Shteyngart: Willkommen in Lake Success
Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke
Penguin Verlag, München 2019
430 Seiten, 24 Euro

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