"Ganze Bandbreite dieses künstlerischen Wirkens fasziniert"

Julian Benedikt im Gespräch mit Andreas Müller · 04.11.2009
Blue Note Records hat wie kaum eine andere Plattenfirma einen großen Teil der modernen Jazzgeschichte geschrieben. Das Label sei "einfach legendär", sagte dazu der Filmemacher Julian Benedikt über "Blue Note Records", das einen Schwerpunkt beim diesjährigen JazzFest bildet.
Andreas Müller: "It must schwing", lautet das Motto beim JazzFest Berlin, das heute beginnt. Dieses Motto hat sich nicht etwa der künstlerische Leiter des Festivals, Nils Landgren, ausgedacht, nein, es stammt von Alfred Lion, der zusammen mit Francis Wolff 1939, vor 70 Jahren also, in New York "Blue Note Records" gegründet hat.

Ein Label, das wie kaum eine andere Plattenfirma einen großen Teil der Geschichte des modernen Jazz geschrieben hat. Die beiden jüdischen Emigranten, die vor den Nazis aus Berlin fliehen mussten, leben schon lange nicht mehr, aber der Name ihrer Firma, der lässt noch heute die Augen der Fans leuchten. Der runde Geburtstag ist dem JazzFest einen Schwerpunkt wert. Mit einer Ausstellung, natürlich viel Musik, aber auch der Wiederaufführung eines Filmes, "Blue Note: A Story of Modern Jazz" von 1997. Gedreht hat den Julian Benedikt, den ich jetzt bei uns begrüße. Schönen guten Tag!

Julian Benedikt: Schönen guten Tag!

Müller: Zwei jüdische Männer aus Berlin, geflohen vor den Nazis, die gründen ein Label, das zeitweilig zur wichtigsten Plattform für die uramerikanische Musik Jazz wird. Das ist einer von vielen faszinierenden Aspekte dieser Blue-Note-Story. Was fasziniert Sie denn an Blue Note so sehr, dass Sie ja sogar einen Film drüber gedreht haben?

Benedikt: Na ja, ich sag mal, die ganze Bandbreite dieses künstlerischen Wirkens fasziniert natürlich, ja, jeden, der sich mit Musik beschäftigt, der jazzinteressiert ist, aber es gibt da ja mehrere Aspekte. Da ist sowohl die musikalische als auch die ich sag mal visuelle Ebene. Es kommen viele Aspekte zusammen, die das Label einfach legendär und bis heute eigentlich wahnsinnig interessant machen.

Müller: Reden wir gleich noch detaillierter drüber. Vielleicht fangen wir mal ganz früh an: Lion, eigentlich Löw und Wolff, das waren beide Jazzfans, die waren als Teenager in Berlin bereits mit der Musik in Kontakt gekommen, Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre wurde in Berlin Jazz gespielt. Was haben die da erlebt, was war das für eine Szene, wie muss man sich das vorstellen?

Benedikt: Na ja, Berlin war ja ein Melting Pot von Kreativen und Künstlern, die sich da getroffen haben, mit einer sehr lebendigen Nachtszene, Tänzern, Marlene Dietrich, Josephine Baker, jeder, der irgendwie künstlerisch tätig war, der ist nach Berlin gekommen. Und die 30er-Jahre waren mit Sicherheit eine sehr spannende Zeit, die dann aber auch jäh beendet wurde Mitte der 30er-Jahre.

Aber vorher muss das grandios gewesen sein, weil jeder, der Rang und Namen hatte, nach Berlin kam. Und ich glaube, in diesem Umfeld wuchs auch die Begeisterung für die schwarze Musik. Alfred Lion hatte – oder Alfred Lion – hatte ein Schlüsselerlebnis im Admiralspalast, wo er eine schwarze Band hörte und dann wusste, das ist meine Musik, ich muss der folgen, ich muss was machen. Und ich glaube, er war so begeistert, er ging also, um an Platten zu kommen – das war ja nicht so wie heute, dass man irgendwie sich Stücke runterladen konnte oder so, da musste man wirklich für kämpfen und suchen. Und ich glaube, bei seinem ersten Amerikabesuch, da ging er einfach in Harlem an die Türen und klingelte bei den Leuten und hat gefragt, ob sie nicht Schellackplatten hätten für ihn, er würde die gerne kaufen.

Müller: Totale Begeisterung also für die Musik. 37 geht er nach New York, Wolff flieht 1939, Ende des Jahres entstehen erste Aufnahmen. Das waren Platten mit dem Boogie-Woogie-Pianisten Meade Lux Lewis und Albert Ammons. Das Label ist also auf den Weg gebracht, aber noch weit davon entfernt, Großes zu produzieren. Mit welchen Schwierigkeiten hatten die eigentlich anfangs zu kämpfen, die beiden?

Benedikt: Am Anfang mit Sicherheit sowohl finanzieller Natur – es hieß ja, mit zehn Dollar in der Tasche kamen die da an und haben dann eben erst mal sehr traditionelle Musiker ins Studio gebracht. Boogie-Woogie, das war auch in der damaligen Zeit sehr mainstreamig. Dann kam Sidney Bichet, auch schon ein sehr etablierter Musiker, und "Summertime" war dann so der erste große Hit, mit dem konnten sie dann wirklich agieren und andere Leute ins Studio holen.

Müller: Das war nach dem Krieg schon, da explodierte in New York die Jazzszene auch. Mitte der 50er erschienen zahlreiche Labels und überschwemmten den Markt mit Platten geradezu. Blue Note ragt aus der Flut heraus, die Platten sind besser als die der Konkurrenz. Warum ist das so, warum ist es anders, wenn man Mitte der 50er-Jahre für Lion und Wolff spielt?

Benedikt: Na ja, also ich sag mal, zum einen haben sie sich natürlich einen Namen aufgebaut als Duo, als Team. Da kam Rudy van Gelder noch dazu, der eine sehr ausgefeilte Aufnahmetechnik hatte, den sie auch immer wieder benutzt haben für die Aufnahmen. Der Ruf, auch jetzt gerade bei den schwarzen Musikern – weil das ist eigentlich, was vor allen Dingen Alfred Lion gesucht hat, das war die schwarze Musik.

Und dieses Gefühl, dieses Lebensgefühl, die vom Blues herstammt, aber die dann sich immer weiter entwickelt hat – also er hat ja dann angefangen, wirklich ganz unbekannte und auch sehr moderne Leute aufzunehmen wie Bud Powell zum Beispiel, wo die Leute alle gesagt haben, was willst du dann mit dem. Dann kam Thelonious Monk dazu. Also ich sag mal, das sind alles Größen, die da sich dann in dem Label entwickelt haben, da gibt es eine ganze Reihe von Musikern, die man da nennen muss. Und mit so einem Bonus kann man natürlich auch bestehen.

Müller: Heute beginnt das JazzFest Berlin mit einem Schwerpunkt zum 70. Geburtstag des legendären Blue-Note-Labels. Darüber spreche ich im Deutschlandradio Kultur mit dem Filmemacher und Jazzkenner Julian Benedikt. Herr Benedikt, in gewisser Weise begleitete das Label ja auch die Emanzipation der Schwarzen in den USA. Würden Sie Blue Note eine politische Komponente zubilligen, also zwei Männer, die vor den Nazis fließen mussten, sorgen dafür, dass die Musik, die Kultur diskriminierter Menschen in bestmöglicher Qualität auf den Markt gebracht wird, oder haben Lion und Wolff so gar nicht gedacht?

Benedikt: Ach, so bewusst weiß ich gar nicht, ob die so gedacht haben, aber sie haben natürlich Sachen gemacht, die für schwarze Musiker vor allen Dingen in Amerika undenkbar waren, also zum Beispiel dass man Geld bekommen hat für die Proben. Das kam von einem vielleicht europäisch-sinfonisch geprägten Denken, dass man Musiker für die Proben bezahlt und ganz bestimmte Vorkehrungen trifft, die Vorbereitung, das war mit Sicherheit jetzt nicht bewusst irgendwie politisch. Die sind einfach da reingegangen und haben die Leute aufgenommen, weil sie einen unheimlichen Respekt hatten auch vor der künstlerischen Leistung von den Musikern.

Und egal ob schwarz oder weiß, also ich meine, man muss sich vorstellen, die haben sich von Harlem nach Downtown bewegt, das war nicht selbstverständlich damals, dass Weiße überhaupt nach Harlem in die Clubs gegangen sind und zugehört haben und irgendwelche Leute dann engagiert haben. Die haben das einfach gemacht und haben dementsprechend auch Zustimmung bekommen und immer wieder Leute ausgegraben, die also vorher noch nie irgendjemand gehört hatte.

Müller: Wir müssen natürlich auch über den Blue-Note-Look reden. Francis Wolff hat fotografiert, meistens die Sessions, er hat ausgezeichnete Fotografien gemacht. Reid Miles designte dann diese unsterblichen Plattenhüllen, diese coole Ästhetik, die ja weit über Jazzmarkt hinausstrahlte und bis heute kopiert wird. Wann hat es das eigentlich schon mal gegeben, dass Musik und Verpackung so absolut kongruent waren?

Benedikt: Ich würde sagen, bis dahin eigentlich überhaupt nicht, weil als die angefangen haben, waren die Platten ja einfach in Papierhüllen, da war überhaupt gar kein Coverdesign oder irgendwas zu sehen. Und die haben dann wohl auch sehr schnell verstanden, dass die Verpackung hilft, das Äußere zu bewerben, und hatten dann mehrere – also es war nicht nur Reid Miles, sondern sie haben auch zum Teil Musiker gefragt, Gil Melay zum Beispiel hat seine eigenen Platten zum Teil entworfen, dann Andy Warhol.

Also es gibt verschiedene Leute, die für Blue Note Covers gemacht haben, aber legendär sind natürlich die von Reid Miles, der – das muss man noch mal dazu sagen – mit der Musik überhaupt nichts anfangen konnte, also der hat seine Covers dann auf dem Flohmarkt verkauft. Der kam aus der Mode und hat einfach diese Freiheit, die ihm der Lion gegeben hat, sehr genossen.

Er war vorher bei irgendwelchen Magazinen engagiert und hat diese wirklich genialen Covers gemacht zu einer Zeit, als es noch kein Photoshop gab, Sachen zusammengesetzt und Layouts und war halt wahnsinnig kreativ in seiner Art und ist bis heute, ja, Vorbild für viele Designer und Leute, die das visuell aufsaugen, was der da hingelegt hat über die Jahre.

Müller: Ich glaube, er war lausig bezahlt für seine Arbeit, aber die Freiheit zählt in dem Moment mehr. Ende der 60er-Jahre ist die klassische Ära des Labels vorbei, Ende der 70er-Jahre wird Blue Notes sogar für ein paar Jahre eingestellt. Es gibt in den 80ern ein Comeback, weite Teile des Katalogs sind wieder veröffentlicht worden, es erscheinen auch neue Platten, es gibt ja auch junge Künstler, die eben auch beim JazzFest in Berlin als Blue-Note-Künstler auftreten. Aber auch wenn der Name Legende ist, dieser Mythos, der hat sich doch nie wieder beleben lassen, oder?

Benedikt: In dieser Form nicht. Also ich sag mal, die Kombination von dem ursprünglichen Blue-Note-Label, die ist auch nicht zu wiederholen. Ich würde schon sagen, dass Bruce Lundvall das Label auf alle Fälle in einer anderen Form wiederbelebt hat. Es gab mehrere Besitzer nach dem Weggang von Alfred Lion und Frank Wolff, aber diese Legende wieder aufzulegen, ist eigentlich unmöglich. Und es gibt eigentlich auch fast kein Label, vielleicht außer ECM, die in dieser Stringenz auch das Visuelle und die Qualität der Aufnahmen wiederholt haben.

Müller: Das war der Regisseur Julian Benedikt, dessen Film "Blue Note: A Story of Modern Jazz" im Rahmen des Berliner Jazzfestes zu sehen sein wird. Ich sage noch gerne wo und wann: in einer Matinee nämlich am kommenden Sonntag im Martin-Gropius-Bau. Der künstlerische Leiter, Niels Landgren, den können Sie heute Abend bereits erleben ab 19 Uhr hier bei uns im Programm, in "Fazit" wird er dann zu Gast sein.
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