Fußball-Bundestrainer-Legenden

Nerz, Herberger und Schön

07:28 Minuten
Sepp Herberger posiert in einem leeren Stadion mit Hut für ein Foto.
Keiner war länger Trainer der Fußball-Nationalelf als Sepp Herberger. © picture-alliance / KPA
Von Dirk Eggers · 09.06.2021
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Mit der Fußball-EM wird Jogi Löw als Bundestrainer aufhören – nach fast 15 Jahren im "Amt". Er gehört dann in eine Gruppe mit drei seiner großen Vorgänger: Auch Otto Nerz, Sepp Herberger und Helmut Schön hatten lange und prägende Wirkungszeiten.
Juli 1954, die deutschen Fußballer werden das erste Mal Weltmeister. Dieses "Wunder von Bern" wird immer assoziiert werden mit Sepp Herberger. Der Trainer aus Mannheim, geboren 1897, war der Konrad Adenauer des deutschen Fußballs. Weil er parallel zum ersten Bundeskanzler die große Bühne verließ. Und weil er ähnlich konservativ und schlau agierte wie der Alte aus Rhöndorf.

Ein Rasen-Philosoph mit Rekordamtszeit

Insgesamt 18 Jahre lang führte er die besten deutschen Fußballer, von 1938 bis 1942 noch als Reichstrainer, von 1950 bis 1964 als Bundestrainer – bis heute unerreicht in der Geschichte des Deutschen Fußballbundes. Rekordverdächtig auch die unzähligen Aphorismen, die Herberger in die Fußballsprache einführte.
Der Ball ist rund, heißt sein wohl berühmtestes Bonmot. Genauso prägnant: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Das nächste Spiel ist immer das schwerste. Wer viel Spaß haben will im Spiel, muss es auch ernst nehmen."
Herberger inszenierte sich also als Rasen-Philosoph, war ein begnadeter Selbstdarsteller und Medienprofi. Aber auch er hatte sich mühsam emanzipieren müssen von seinem Vorgänger Dr. Otto Nerz, der zwischen 1925 und 1938 als erster Chefcoach das DFB-Team geführt hatte.
Er musste gehen, nachdem die deutsche Mannschaft beim heimischen olympischen Fußballturnier 1936 in der Zwischenrunde gegen Norwegen ausschied und Adolf Hitler auf der Tribüne die Niederlage mit ansah. Bis dahin war Nerz recht erfolgreich. Bei der WM 1934 holte die deutsche Mannschaft Platz drei.
Der deutsche Fußballnationaltrainer Otto Nerz (r.) begutachtet im Training die Schuhe der Spieler (undatierte Archivaufnahme).
Orientierte sich an englischen Teams: Otto Nerz (r.) führte die Nationalelf als erster DFB-Auswahltrainer.© picture-alliance / dpa / Schirner Sportfoto
Vom Spielsystem her orientierte sich Nerz an englischen Teams. Er hospitierte bei dem berühmten Trainer Herbert Chapman von Arsenal London, der mit dem 3:4:3-System den Fußball revolutioniert hatte.

"Das strenge Nerz-System weiterentwickelt"

Auch Herberger folgte im Grundsatz seinem Lehrmeister Nerz, variierte aber seinen Stil, wie der Fußballhistoriker Bernd Beyer ausführt.
"Nerz pflegte einen sehr autoritären Stil, vor allen Dingen den Spielern gegenüber, legte ganz starken Wert auf Disziplin. In gewisser Weise hat Herberger das von Nerz übernommen, war aber eher einem patriarchalischen Führungsstil verpflichtet als einem autoritären. Das heißt, er war eher so ein väterlicher Typ gegenüber den Spielern. Widerspruch duldete er aber auch nur in Ausnahmefällen", erklärt er.
"Auch auf dem Platz war er taktisch etwas flexibler. Er hat das recht starre WM-System von Nerz etwas flexibler gehandhabt, sodass die Stürmer vor allen Dingen mehr kreativen Spielraum bei ihm besaßen. Also er hat das strenge Nerz-System weiterentwickelt und etwas gelockert."

Mehr Macht bei der Aufstellung der Spieler

Sepp Herberger setzte auch durch, dass er allein als Trainer entscheiden durfte, welche Spieler nominiert werden für die Nationalmannschaft. Vorher taten dies die mächtigen Funktionäre im Spielausschuss des DFB – oft nach geografischem Proporz, damit alle Ecken Deutschlands repräsentiert waren.
Aus sportlicher Sicht unhaltbar für Herberger, ihm ging es um größtmöglichen Erfolg. Und dafür brauchte er seine besten Spieler – und er tat alles, um sie möglichst lange im Zweiten Weltkrieg vor dem Fronteinsatz zu schützen. Er galt als väterlicher Typ. Sein Ziehsohn war Kapitän Fritz Walter, der den Willen des "Chefs", wie Herberger genannt wurde, auf und abseits des Platzes umsetzte.
Diese vertikale Hierarchie betont auch Jürgen Leinemann in seiner fantastischen Herberger-Biografie von 1997. Zentrale Begriffe des Trainers seien "Einsatzwille, Unterordnung, Kameradschaft und Hingabe" gewesen. Ganz anders agierte sein Nachfolger.

Herbergers Assistent wird sein Nachfolger

Als Helmut Schön 1964 neuer Bundestrainer wurde, war das eine historische Zäsur, urteilt Fußballhistoriker Beyer. Der 1915 geborene Dresdner war in der NS-Zeit unter Herberger Nationalspieler, Spielertrainer in Dresden, später Trainer der ersten DDR-Auswahlmannschaft und nach seinem Gang in den Westen 1950 acht Jahre lang Herbergers Assistent.
Helmut Schön hält den Weltmeisterpokal in der Hand.
Wurde als "Zauderer" kritisiert: Fußball-Bundestrainer Helmut Schön mit Weltmeisterpokal.© picture-alliance / Sven Simon
Mit ihm wurden die Hierarchien im DFB-Team flacher, erklärt Beyer. "Er hatte damals im Grunde so eine Art kooperativen Führungsstil erlebt mit einem recht jungen Trainer, mit dem er noch als Spieler zusammengelebt hatte, Schorsch Köhler hieß der, der zudem oft im Krieg eingezogen war. Damals avancierte Helmut Schön schon zu einer Art Spielertrainer. Von daher hatte er das am eigenen Leib erlebt, wie produktiv es sein kann, Spieler mit einzubeziehen in taktische und strategische Überlegungen zu Spiel. Das ist das eine", sagt der Fußballhistoriker.
"Zum anderen war Schön immer jemand, der auf dem Platz gewisse Freiräume für seine spielerische Kreativität gesucht hat. Und das war etwas, was er den Spielern stärker zubilligte als Sepp Herberger: Die ästhetische Komponente. Das war ihm ganz, ganz wichtig, dass die auf dem Platz umgesetzt wurde. Als er dann die richtigen Spieler dafür hatte, beispielsweise Franz Beckenbauer oder Günter Netzer, da konnte er das auch umsetzen. Da hat sich der Stil doch recht gewandelt gegenüber Herberger."

Ein progressiver Stil, der Kritik hervorruft

Dieser progressive Stil, der dem gesellschaftlichen Aufbruch nach 1968 entsprach oder ihn gar vorwegnahm, war allerdings in der Fußballwelt umstritten. Schön habe die Mannschaft nicht im Griff, monierten viele Fußballjournalisten, wie Schön-Biograf Bernd Beyer analysiert:
"Ihm ist oft vorgeworfen worden, dass er zu zögerlich in seinen Entscheidungen sei, nicht klar genug aufgetreten sei. Er wurde so als Zauderer bezeichnet. Das ist Schön oft als Schwäche ausgelegt und vorgeworfen worden, selbst in den Zeiten, in denen er sehr erfolgreich war, wurde der Erfolg nicht wirklich ihm zugeschrieben, sondern beispielsweise Beckenbauer."
Paradebeispiel dafür: der Titel der DFB-Elf bei der WM 1974. Hier wird bis heute nicht der Anteil des Trainers betont, wie für 1954. Und doch war die Ära Schön, die 1978 nach 14 Jahren endete, die erfolgreichste Zeit eines Bundestrainers.
Neben dem Titel 1974 hatte Schön das Team auch 1972 zum Europameistertitel geführt. Und die Spielweise dieser 72er-Mannschaft, die von Günter Netzer und Wolfgang Overath orchestriert wurde, rühmen die Romantiker des Spiels bis heute als die schönste in der Geschichte des deutschen Fußballs.
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