Furchtlos zur OP

Von Stephanie Rhode · 20.08.2013
Manche Menschen haben panische Angst vor dem Zahnarzt. Ein Berliner Mediziner bietet seinen Patienten an, sich vor der Behandlung hypnotisieren zu lassen. Die 28-jährige Studentin Natalia übersteht in Trance einen blutigen Eingriff - ohne etwas davon mitzubekommen.
Klingt eigentlich entspannt. Wäre da nicht auch dieses Geräusch: Aus dem halb geöffneten Mund lugt ein Absauger, dessen langer Schlauch sanft auf der Schulter der Patientin liegt und sich weiter unten am Bein der Hypnosehelferin vorbei schlängelt hinein in ein kastenförmiges Gerät. Seit knapp fünf Minuten liegt dieser Schlauch in Natalias Mund und sie auf dem Behandlungsstuhl. Ihre Hände hat sie auf dem Bauch gefaltet, ihre Finger hält sie dabei so fest ineinander verschränkt, dass sie rot angelaufen sind. In wenigen Minuten werden ihr drei Zähne gezogen. Kurz vorher sagt die 28-jährige Studentin, dass sie während der OP nur ein Ziel hat: ganz weit weg sein, am Strand. Ihr Transportmittel dahin: die Hypnose.

"Ich erwarte, dass es jetzt entspannter ist als die früheren Behandlungen und ich hoffe, dass ich in einer Stunde nicht mehr ganz so nervös bin und das mit einem guten Gefühl hinter mich gebracht habe."

Von links und von rechts sprechen Zahnärztin Jeannine Radmann und ihre Hypnoseassistentin gemeinsam auf Natalia ein, mal lauter, mal leiser - eine sehr effektive Methode, mit der sogar andere im Raum mithypnotisiert werden können. "Streuhypnose" nennt sich das - Jeannine Radmann hat mich vorgewarnt.

Natalias Kopf ist eben leicht nach rechts gekippt, ihre Augenlieder zucken manchmal, die Pupillen darunter gleiten langsam von rechts nach links. Vor der OP verrät Natalia, dass sie panische Angst vor dem Besuch beim Zahnarzt hat:

"Ich hatte mich auch schon mal in Vollnarkose behandeln lassen, einmal komplett die Zähne auf Vordermann bringen und wollte das nicht noch mal machen. Und deswegen habe ich irgendwas gesucht hier in der Nähe, wo man mir auch die Schmerzen nehmen kann, auch weil ich damals auch gestillt habe und da wollte ich mich nicht komplett zupumpen lassen mit Sedativa."

Auf die Spritze reagiert Natalia gar nicht mehr
Inzwischen scheint Natalia fast wie sediert. Dabei liegt sie erst seit zehn Minuten in Hypnose. Auch als die Spritze dreimal ins Zahnfleisch pikst, reagiert Natalia nicht.

Radmann: "Mehrmals täglich geht jeder Mensch kurzzeitig in Trance. Kinder schneller und öfter als Erwachsene, aber auch erwachsene machen das jeden Tag. Das spannende oder schwierige daran ist, in einer Situation beim Zahnarzt, besonders wenn man Angst hat, auf natürliche Art und Weise in Trance zu gehen - das ist ein bisschen schwierig. Und da ist medizinische Hypnose ein sehr schönes Werkzeug, um dem Patienten beizubringen, eben auch in solchen Situationen wie beim Zahnarzt in Trance zu gehen."

Während Ärztin Radmann weiter sanft mit Natalia spricht, werden plötzlich meine Augenlieder schwer. Ich reiße sie auf und mich zusammen, bewege die Augen hastig von rechts nach links - bloß nicht einschlafen hier! Ganz normal, beruhigt mich Zahnärztin Radmann. Knapp 90 Prozent der Menschen sind empfänglich für Hypnose. Sie selbst falle auch in eine Arbeitstrance.

Lautlos betritt jetzt der Kieferchirurg den Raum. Die beiden Hypnotiseurinnen lassen sich davon nicht ablenken, sprechen sanft weiter. Die Assistentin zeigt auf die steril verpackten Zangen, die sie auf dem Tisch drapiert hat. Natalias Körper liegt ganz entspannt auf dem Stuhl, die Hände sind locker ineinander verschränkt. Auch als der Kieferchirurg beginnt, mit der Zange einen Zahn aus ihrem Zahnfleisch zu brechen, reagiert sie nicht.

Auch die Blutung lässt sich über Hypnose stoppen
Der Chirurg zieht den ersten Zahn mit einer leichten Drehbewegung aus Natalias Kiefer, legt den Blutklumpen aufs Tablett. Es folgt der zweite Zahn, dann der Dritte. Blut. Aber Natalia ist weiterhin entspannt. Das kann sie bei der nächsten OP jederzeit wiederholen.

"Dreh deinen Blutungshahn zu wie einen Wasserhahn, genauso ist es richtig."

Aus den drei Löchern quillt tatsächlich kaum noch Blut heraus, ein Tupfer genügt.

"Und wenn der Stuhl nach oben fährt, frisch erholt und hellwach! Und fünf …"
"Hallo, Hallo, ach, Natalia lacht, da sind sie wieder!"

Noch ganz kurz hält Natalia ihre Augen geschlossen, dann blickt sie etwas verloren umher:

"Es ist zuerst ungewohnt - als ich plötzlich diese beiden Stimmen hörte war das total ungewohnt, weil ich mir das so nicht vorgestellt habe. Man atmet bewusster und man hilft sich selbst dadurch irgendwie fast einzuschlafen, ich weiß es nicht, es ist ein ganz komischer Zustand. Plötzlich hatte ich Instrumente im Mund, das hab ich schon noch mitbekommen, aber den Zeitpunkt, wo es ernst wurde, kann ich nicht so genau bestimmen. Also ich hab es mir viel schlimmer vorgestellt."

Natalia strahlt - so gut sie eben kann.

"Ich war am Strand, am See, ich war keine Ahnung - irgendwo in den Wolken. Haha, schwierig, aber ich habe mich gut gefühlt, ja!"

Vor der nächsten OP hat Natalia schon gar nicht mehr so viel Angst wie sie vor dieser hatte. Sie steht erleichternd lächelnd auf, ist schon fast zur Türe raus, da fällt ihr Blick auf ihre drei blutigen Zähne.

"Kann ich die irgendwie mitnehmen?"
"Wollen Sie die mitnehmen? Natürlich geht das!"
"Ja, als Abschreckung für meine Tochter."
"Na klar, das sind ja Ihre Zähne."
"Unwahrscheinlich, aber - so als Geschenk."
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