Fromm und gewalttätig

Rezensiert von Dorothea Jung · 27.04.2008
Die Gründe für religiös motivierte Gewalt liegen weder in der reinen Lust am Morden noch im fanatischen Glauben, konstatiert der Religionswissenschaftler Hans Kippenberg in seinem Buch "Gewalt als Gottesdienst". Für Kippenberg sind Gewalthandlungen religiöser Gruppen die Folge einer Wechselwirkung zwischen sozialem Konflikt und religiöser Überzeugung.
Fromme Menschen sind in aller Regel davon überzeugt, dass der Religion an sich die Eigenschaft innewohnt, Frieden unter den Völkern zu befördern. Doch trägt nicht der Monotheismus selbst bereits einen Keim zur Gewalt in sich? Mit einem Schöpfer, der sagt: "Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir"? Der Religionswissenschaftler Hans Kippenberg rät zur Differenzierung.

"Schaut man sich die Religionsgemeinschaft an, die das bekennt, dann stellt man fest, dass sie lernen musste, als Teil ihres Glaubens, in einer Welt zu leben, in der dieses Glaubensbekenntnis nicht von anderen geteilt wird; daher ist gerade auch mit solcher Exklusivität, solcher Sprache der Gewalt, wenn man das so nennen möchte, durchaus auch eine Haltung verbunden, die die Gläubigen lehrt, das Unvollendete, das was aussteht, zu ertragen."

In seinem Buch "Gewalt als Gottesdienst" vertritt Hans Kippenberg den Standpunkt, dass die Entstehung religiöser Konflikte nicht so sehr von den Glaubensunterschieden zwischen den beteiligten Gruppen abhängt - sondern viel mehr von der Situation, in der sich die religiösen Gemeinschaften befinden. Um diese These zu belegen, hat der Religionswissenschaftler unterschiedliche Gegenwartskonflikte und ihre religiösen Hintergründe beleuchtet. Sein Fazit: Religiöse Gewalt ist ein komplexes Drama. Ganz gleich, welche Motive die jeweiligen Akteure in diesem Drama haben: Sie stehen immer in einem Konflikt und fühlen sich unter Druck.

"Diese Konflikte sind die Voraussetzungen dafür, dass religiöse Gemeinschaften eine Dynamik entwickeln, die vor allem darin besteht, dass die ihr Angehörenden zunehmend eine Solidarität zueinander entwickeln. Sie sich gar nicht mehr primär dann verstehen als Bürger eines Staates, sondern als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft. Die Religionsgemeinschaft wird die Burg, in die man sich zurückzieht; und wird immer mehr ausgebaut zu einer eigenen Gesellschaft mit allen nötigen Institutionen."

Hans Kippenberg untersucht in jeweils unterschiedlichen Kapiteln die Hizbollah im Libanon und die iranische Ayatollah-Revolution; er nimmt die israelische Siedlerbewegung unter die Lupe und die Hamas in Palästina, widmet sich der Neuen christlichen Rechten in den USA und dem Djihadismus von Al Qaida. Auch wenn er die Bedingungen für die Akteure in den einzelnen Beispielen nicht gleichsetzt, sucht der Wissenschaftler doch nach Gemeinsamkeiten. Der Autor beschreibt, wie sich die gewaltbereiten Religionsgemeinschaften unter Druck zusammenschlossen und ein spezifisches Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelten.

"Religion ist erst einmal ein Stifter eines sozialen Bandes aller ihr Angehörenden; und dann ist Religion darüber hinaus auch eine Auffassung von Geschichte: dass nämlich die Gemeinschaft, die sich bildet, das Volk Gottes ist, das auf Heil und Erlösung rechnen darf. Auch in der Moderne sind solche Erwartungen heilsgeschichtlicher Art erhalten geblieben. Es ist nicht so, dass gerade diese Vorstellung vollkommen säkularisiert wäre."

Die Überzeugung religiöser Gruppen, Teil eines umfassenden Heilsgeschehens zu sein, hat laut Kippenberg Konsequenzen für die Legitimation gewalttätigen Handelns. Wenn zum Beispiel die Absicht, für eine Gemeinschaft zu töten - beziehungsweise zu sterben - mit einem Heilsversprechen verknüpft sei, werde die religiöse Gemeinschaft dieses Vorhaben billigen. Der Untersuchung des Wissenschaftlers zufolge wird sie auf der Basis einer "Brüderlichkeitsethik" die Konsequenzen tragen, auf der Basis ihrer Heilserwartung den Segen erteilen und die Täter als Märtyrer idealisieren. Hans Kippenberg beschreibt den Mechanismus am Beispiel der palästinensischen Intifada, die als säkulare Bewegung begonnen habe.

"Es ist in der Auseinandersetzung zu beobachten, dass, als die Muslimbrüder die Koordination der Intifada übernehmen, in ganz besonderer Weise die Bereitschaft für das eigene Volk, für die Ummah, für die religiöse Gemeinschaft zu sterben, viel stärker in den Vordergrund tritt. Interessanterweise kann man beobachten, dass das auch bei säkularen Palästinensern auf große Zustimmung gestoßen ist. So sehr sogar, dass dann auch die PLO angefangen hat, solche Selbstmordattentate selber mit zu organisieren."

Gewalthandlungen religiöser Gruppen sind die Folge einer Wechselwirkung zwischen sozialem Konflikt und religiöser Überzeugung. So der Autor. Das gelte auch für den Terrorismus. Wer in den Attentaten vom 11. September nichts als "die reine Lust am Morden" sehen möchte, beraube sich der Chance, zu ihrer Aufklärung beizutragen. Kippenberg sieht in den Terrorakten eine Art Kommunikationsstrategie. Für ihn sind die Gewaltakte, so rätselhaft sie auch erscheinen, Mittel zum Zweck. Diesen Zweck müsse die Politik ergründen, sollte sie Ansatzpunkte suchen, um den Terror zu bekämpfen. So habe beispielsweise die Bush-Administration die Bekennerschreiben Al Qaidas nicht ernst genommen. Aus ihnen gehe hervor: Osama bin Laden sieht den Islam als so bedroht an, dass nur noch der Kampf übrig bleibt, um ihn zu retten.

"Die Djihadisten sind davon überzeugt, man kann nur kämpfen. Das hätte man dadurch natürlich stark einschränken können, dass man die Zentrale dieser Organisation, die Basis von Al Quaida in Afghanistan, vernichtet hätte. Das hat man ja unterlassen. Man hat ja nicht eben sich mehr gerichtet auf dieses Ziel, sondern hat den Irakkrieg begonnen."

Der Autor folgt in Analyse und Beschreibung sozialer Phänomene der Begriffswelt des Soziologen Max Weber - das ist für den sozialwissenschaftlichen Laien manchmal kein leichtes Lesevergnügen. Dennoch lohnt die Lektüre. Denn Hans Kippenbergs begründet seine Thesen klar und einprägsam; seine Argumente sind nachvollziehbar und plausibel - ohne dass komplexe Vorgänge zu stark vereinfacht würden. Wer Hintergrundwissen zu religiös motivierter Gewalt sucht und die Zusammenhänge zwischen sozialen und religiösen Konflikten verstehen will, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen.

Hans Gerhard Kippenberg: Gewalt als Gottesdienst - Religionskriege im Zeitalter der Globalisierung
C.H. Beck Verlag, München 2008
Hans Kippenberg: Gewalt als Gottesdienst
Hans Kippenberg: Gewalt als Gottesdienst© C.H. Beck Verlag