Friedrich Nietzsche

Wucht und Wirkung eines streitbaren Denkers

Zeitgenössisches Porträt des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche
Friedrich Nietzsche © picture alliance / Bifab
Philosoph Andreas Urs Sommer im Gespräch mit Joachim Scholl · 25.06.2017
Nietzsche sei tausendfältig und genau darin liege seine Attraktivität - er passe einfach für alle Stimmungen und Jahreszeiten, meint Philosoph Andreas Urs Sommer. Er sei ein Denker, der "das Leben umkrempelt".
Es gebe nicht den einen Nietzsche, stellt Sommer gleich zu Beginn klar. Zwar habe die Rezeptionsgeschichte der vergangenen 100 Jahre immer wieder versucht, Nietzsche zu reduzieren auf eine klare Position, aber das gelinge nicht. Nietzsche sei tausendfältig, und genau darin liege seine Attraktivität. Es gibt den gefährlichen und abgründigen Nietzsche, den hippen Nietzsche, den Nietzsche für alle Stimmungen und Jahreszeiten, was es naturgemäß leicht mache, sich bei ihm zu "bedienen" wie in einem "Supermarkt". Nietzsche sei leicht zugänglich und habe zudem kein System begründet, was Zitate und Aphorismen vielfältig einsetzbar mache.

Denkhorizonte aufbrechen

Durch das Aufbrechen von Schreibformen wollte Nietzsche Denkformen aufbrechen, so Sommer. Nietzsche sei ein Künstler der Formenvielfalt gewesen, der die Grenze zum Literarischen programmatisch überschreite. Damit sei Nietzsche zu einer Freiheit zurückgekehrt, die sich antike Denker ganz selbstverständlich genommen hatten, man denke an Platons Dialoge. Im Zuge der Verwissenschaftlichung der Philosophie aber habe sich verstärkt das Traktat durchgesetzt. Gegen diesen Trend opponierte Nietzsche, er machte "Schreibexperimente", um "Denkexperimente" zu machen.
Zu seinen Lebzeiten war Nietzsche keine Berühmtheit, seine Werke blieben bis zum Beginn seiner geistigen Umnachtung im Jahre 1889 weitgehend unbemerkt. Die Ignoranz führte dazu, dass Nietzsche selbst immer lauter wurde, um sich Gehört zu verschaffen, so Sommer. In dieser Stimmung entstanden seine letzten Werke, der "Antichrist" und "Ecce Homo", danach begann die geistige Verdunkelung, und dann war die öffentliche Aufmerksamkeit plötzlich da.
Der dänische Philosoph Georg Brandes hielt Vorlesungen über ihn, was Nietzsche sehr geschmeichelt habe. Er wurde Gegenstand in den Feuilletons, auch scharfer Kritik. Man bezeichnete ihn als "Dynamit", eine Metapher, die Nietzsche dankbar aufgriff. In den 1890er-Jahren ging die Nietzsche-Wirkung dann in die Breite, vor allem durch seine Schwester, Elisabeth Förster-Nietzsche, die das Nietzsche-Archiv und damit auch das Nietzsche-Geschäft begründet habe, so Sommer.

Der Nietzsche des Orgiastischen, Rauschhaften, Dionysischen

Gewiss habe Nietzsche immer auch Mörder fasziniert, er habe eine intellektuelle Gewaltsamkeit besessen, die immer noch verstöre. Mussolini sei begeistert von Nietzsche gewesen, auch Hitler sage man eine Affinität nach, die aber nicht bewiesen sei. Keineswegs aber habe Nietzsche nur auf das rechte Spektrum gewirkt, sondern auch auf das linke, sogar linksradikale. Vor allem sei Nietzsche funktionalisiert worden für politische Positionen, das sei nach wie vor so, auch die neue Rechte rezipiere Nietzsche, mache ihn und seine Konzepte vom Übermenschen, dem Willen zur Macht oder der Herrenmoral "passfähig".
Sommer selbst wolle auch vor allem den fröhlichen, den heiteren Nietzsche entdecken, den Nietzsche des Orgiastischen, Rauschhaften, Dionysischen. Jim Morrison sei ein exzessiver Nietzsche-Leser gewesen, habe sein Leben nach dessen Philosophie ausgerichtet und sei entsprechend früh verstorben. Nietzsche sei ein Denker, der "das Leben umkrempelt".

Andreas Urs Sommer: Nietzsche und die Folgen
J.B. Metzler, Stuttgart 2017
208 Seiten, 16,95 Euro

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