Friedensnobelpreis

"Manche Entscheidungen sind verpufft"

Mehrere Hände halten die Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel
Die Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Michael Brzoska im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 09.10.2015
Beim Friedensnobelpreis seien zuletzt wichtige Ansätze gefördert worden, aber nicht vergangene Leistungen, meint der Friedensforscher Michael Brzoska. Einige Entscheidungen - wie etwa die Auszeichnung für Barack Obama - seien politisch wirkungslos geblieben.
Kurz vor der heutigen Bekanntgabe des Friedensnobelpreises hat der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Michael Brzoska, eine Einschätzung der letzten Auszeichnungen gegeben.
"Das Nobelkomitee hat vor allen Dingen in den letzten Jahrzehnten zunehmend nicht vergangene Leistungen ausgezeichnet, sondern eher darauf gesetzt, mit der Preisverleihung Ansätze zu fördern. Wo man gesagt hat: Wenn das noch mehr gemacht würde, das wäre doch toll."
Die Kriterien der Entscheidungen in Oslo seien schwer zu durchschauen, sagte Brzoska. Man habe oft große Überraschungen erlebt, auch bezüglich der Tatsache, wie weit der Friedensbegriff ausgedehnt werden könne. Das betreffe etwa Auszeichnungen für den Einsatz gegen den Klimawandel oder den Kampf für mehr Kinderrechte:
"Das Nobelkomitee hat sich nicht einschränken lassen. Und seiner Meinung Ausdruck gegeben, insbesondere Dinge, die man in Oslo auch wirklich für wichtig hält, durch den Friedensnobelpreis zu befördern."
Richtige Fehlgriffe habe es nicht gegeben, meint Brzoska. Allerdings seien eine Reihe von Entscheidungen aus Oslo "einfach verpufft":
"Dazu würde ich auch Obama zählen. Weil das einfach vielleicht zu früh war. Man hätte das vielleicht ein Jahr später vergeben sollen. Man hätte dann sehen können, ob jetzt tatsächlich Friedenspolitik von dieser Person betrieben wird."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Er ist eine der größten Anerkennungen, die man kriegen kann, der Friedensnobelpreis. Aber er kann auch eine schwere Hypothek mit sich bringen, siehe Barack Obama, der Preisträger 2009, der gerade mal neun Monate im Amt war und seither so manchen Befehl geben musste, der Gewalt brachte. Und nehmen Sie als traurigen Beleg: Der Präsident musste sich gerade bei einem Nobelpreisträger von 1999, bei Ärzte ohne Grenzen, für die versehentliche Bombardierung eines Krankenhauses entschuldigen.
Anders als Obama ist Angela Merkel immerhin schon zehn Jahre Kanzlerin. Und neun drei viertel davon wäre wohl keiner auf die Idee gekommen, dass sie jemals für diesen Preis infrage käme. Die letzten Wochen haben das geändert: Sie wird ernsthaft gehandelt als diesjährige Preisträgerin. Darüber spreche ich mit Michael Brzoska, er ist Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg, guten Morgen!
Michael Brzoska: Guten Morgen!
Frenzel: Welche Chancen räumen Sie denn Angela Merkel ein?
Brzoska: Also, ihre Chancen stehen, glaube ich, nicht schlecht. Jedenfalls ist es das, was man allgemein hört. Bei den Buchmachern steht sie an der Spitze. Und man kann dies ja auch wirklich begründen: Mit einerseits der deutschen Position, die ja von Angela Merkel letztlich zu verantworten ist, in der Ukraine-Krise - wo Deutschland immer sehr stark darauf gedrängt hat, jetzt die Fäden mit Russland nicht abbrechen zu lassen. Und andererseits jetzt aktuell natürlich auch in der Flüchtlingsfrage, wo natürlich Angela Merkel jetzt sehr deutlich macht, was es heißt, mit Flüchtlingen menschlich umzugehen.
Weit ausgedehnter Friedensbegriff
Frenzel: Am Ende entscheiden es nicht die Buchmacher, sondern ein Komitee. Nach welchen Kriterien eigentlich?
Brzoska: Das ist schwer zu durchschauen. Die Überraschungen, die wir immer wieder aus Oslo erlebt haben, sind groß. Die Leute, die sich eher mit Friedensfragen beschäftigen, sind immer wieder erstaunt darüber gewesen, wie weit man diesen Friedensbegriff ausdehnen kann. Dass man auch Leute, die gegen den Klimawandel sich einsetzen, mit dem Friedensnobelpreis auszeichnen kann, wie es vor sieben Jahren passiert ist. Oder eben auch in dem letzten Jahr Kinderrechtler.
Also, da sind Überraschungen immer wieder möglich. Das Nobel-Komitee hat sich nicht einschränken lassen und seiner Meinung Ausdruck gegeben, insbesondere Dinge, die man in Oslo auch wirklich für wichtig hält, durch den Friedensnobelpreis zu befördern.
Frenzel: Ich meine, diese Überraschungen, die Sie da angesprochen haben, die kommen ja möglicherweise auch manchmal aus der Not heraus, weil man einfach niemanden findet, der dafür infrage kommt?
Brzoska: Na ja, es gibt immer fast 300 Vorschläge, die von verschiedenen Vorschlagsberechtigten kommen. Und darunter sind sehr unterschiedliche Personen. In der Tat ist es schwierig, wenn man sagt: Wir wollen immer jetzt einen Staatsmann oder eine Staatsfrau finden, die im letzten Jahr einen großen Beitrag zur Völkerverständigung gebracht hat, wie eigentlich Nobel sich das vorgestellt hat. Denn häufig tut sich ja nicht viel im Bereich der Völkerverständigung.
Aber Menschen, die sich vor Ort einsetzen für den Frieden, Menschen, die sich auch für Menschenrechte massiv einsetzen vor Ort, gibt es ja viele glücklicherweise auf der Welt. Insofern gibt es auch viele potenzielle Preisträgerinnen.
Auszeichnung als Unterstützung für zukünftige Arbeit
Frenzel: Es gibt ja so Preisträger wie zum Beispiel Henry Kissinger, 73 für den Friedensschluss in Vietnam (ausgezeichnet), der ja da wahrscheinlich Großes geleistet hat, aber sonst ja eigentlich eher als schmutziger Realpolitiker in Erinnerung geblieben ist. Ich habe das Beispiel Obama genannt, für den dieses Attribut sicher nicht gilt. Aber versucht das Nobelpreis-Komitee mit dem Preis möglicherweise auch davon abzukehren, zu sagen: Das war bisher gut. Sondern eher zu sagen: Wir wollen euch unterstützen, damit ihr eine Arbeit leisten könnt für die Zukunft?
Brzoska: Das ist häufig so. Das Nobel-Komitee hat vor allen Dingen in den letzten Jahrzehnten zunehmend nicht vergangene Leistungen ausgezeichnet - obwohl es das auch immer wieder gegeben hat, wie etwa bei dem ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter -, sondern eher darauf gesetzt, mit der Preisverleihung Ansätze zu fördern. Wo man gesagt hat, wenn das noch mehr gemacht würde, das wäre doch toll! Also im letzten Jahr etwa mit den Kinderrechten, nichts gegen Malala, aber sie war natürlich da noch sehr, sehr jung und hat sich sehr eingesetzt. Aber jetzt wirklich viel erreicht vor Ort, glaube ich, in Pakistan, das kann man noch nicht sagen. Aber das ist in der Tat eine Linie des Nobel-Komitees, Dinge befördern – mehr als jetzt Leistungen auszeichnen.
Frenzel: Haben Sie denn so richtige Fehlgriffe in Erinnerung?
Brzoska: Na ja, es ist schwierig, richtige Fehlgriffe zu identifizieren. Obwohl, Sie haben erwähnt Henry Kissinger und Le Duc Tho, wobei ja Le Duc Tho, damals der vietnamesische Verhandlungspartner von Henry Kissinger, den Preis gar nicht angenommen hat. Viele würden auch sagen, die Preisverleihung an Jassir Arafat und Yitzhak Rabin, 1994 glaube ich war es für den Oslo-Friedensprozess, das hat ja auch nichts gebracht. Aber es ist eher so, dass man sagen muss, eine Reihe von Nobelpreisen, die sind einfach verpufft, da hat sich nicht viel getan, da würde ich auch Obama zu zählen. Weil einfach das vielleicht zu früh war, weil man den Preis dann doch eher hätte vielleicht ein Jahr später vergeben sollen - wenn man mehr auch hätte sehen können, ob denn tatsächlich jetzt Friedenspolitik von dieser Person betrieben wird.
Frenzel: Schauen wir, was heute passiert. Michael Brzoska, Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Brzoska: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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