"Aus Ärger über die Geschichtsverfälschungen der DDR"
Dresden nach dem Ersten Weltkrieg. Wie erlebten die Menschen den Umbruch zum Frieden? Freya Klier hat diese historisch kaum belichtete Zeit für ihr Buch "Dresden 1919" untersucht: Geschichtsklitterungen aus der DDR-Zeit seien bis heute im Umlauf.
Andrea Gerk: Vor 30 Jahren, im Februar 1988, wurde die Bürgerrechtlerin Freya Klier gemeinsam mit ihrem damaligen Mann, dem Liedermacher Stefan Krawczyk, aus der DDR ausgebürgert. Sie waren im Zuge der Rosa-Luxemburg-Demonstrationen verhaftet und zur Ausreise genötigt worden. Seither hat die Autorin und Regisseurin zahlreiche Bücher veröffentlicht, und heute ist sie mit ihrem neuesten bei uns zu Gast. Guten Morgen, Frau Klier, schön, dass Sie da sind!
Freya Klier: Ich grüße Sie!
Gerk: Sie sind ja gebürtige Dresdnerin und haben sich jetzt Ihre Geburtsstadt im Jahr 1919, also im Nachkriegsjahr, angesehen. Wie kam das denn, was war denn da besonders? Bei 1919 denkt man ja eher erst mal an München oder Berlin.
"Dieser Umbruch von Menschen nach Kriegen"
Klier: München und Berlin kommen hier auch vor, also der Vergleich gerade ist ja ganz wichtig. Und mich hat es immer gestört – ich mache ja viel mit Geschichte –, dass es unmittelbar vom Ersten Weltkrieg mitten hinein in die Weimarer Zeit ging, und das war meistens schon Inflation, 23 und so, ich habe gedacht, da gibt es doch diesen Umbruch, diesen Umbruch von Menschen nach Kriegen, die so furchtbar sind in den Frieden, und das hat mich interessiert, wie sich das für den Einzelnen umsetzt. Das ist hochspannend der Prozess, wie sie reinkommen, ob sie überhaupt reinkommen oder ob latent einfach was bleibt, was sie gar nicht verarbeiten können, und das ist für mich so der Schwerpunkt gewesen, in einer Art Panorama eine Stadt darzustellen.
Gerk: Was war denn das Besondere an diesem Umbruch in Dresden?
Klier: Das Besondere ist, dass ich glaube, dass nur dort, also in Sachsen – da war ja Dresden auch als Hauptstadt –, es eine wirklich friedliche Revolution gab. Es gab fast keine Toten, und das hatte, was ich wirklich nicht wusste vorher, zu tun mit den Sozialdemokraten in Dresden – Georg Gradnauer –, die die Fähigkeit gehabt haben, Menschen einzubinden, die politisch anders gelagert waren, aber die auch interessiert daran waren, etwas aufzubauen, den Krieg zu überwinden, und der hat das als eine Temperaturfrage … Das haben wirklich nur die Sozis geschafft in Dresden und nur, weil andere sie nicht attackiert haben, also von Linksradikalen abgesehen, die haben furchtbar die Sozialdemokraten attackiert. Das waren ihre Feinde, also muss man leider sagen. Da habe ich immer gestöhnt und erinnerte mich an Hamburg jetzt vor Kurzem, wo da so demoliert wurde alles. Das war das einzige, was sie belastet hat, also diese Regierung. Ansonsten auch die Frauen, die da drin waren, haben die richtig gute Sachen zustande gebracht, haben sich um die Menschen gekümmert.
Gerk: Sie schreiben auch sehr respektvoll über die Sozialdemokraten, die haben schon was besser gemacht. Da könnten sich die heutigen Sozialdemokraten, die gerade im Sinkflug sind, was von abschneiden, oder?
Klier: Das fällt mir schwer, irgendwie so die Eins-zu-eins-Übertragung zu machen. Also das kann ich … weiß ich jetzt nicht, ob man das machen sollte. Aber damals … Also ich bin keine Sozialdemokratin, muss ich sagen. Aber umso mehr war ich überrascht, weil es zeigt, wie Menschen, wenn sie eine Fähigkeit haben und nicht einzeln, sondern innerhalb einer Gruppe andere nicht zu bevormunden, nicht zu attackieren, sondern einfach einzubinden in diese riesige Aufgabe, die ja stand nach dem Krieg, dass das eine ganze Menge bewegen kann, und das ist in Dresden …, das hat wirklich also dort richtig gut geklappt und ist dann durch Rechtsradikale auch … Die kamen aber relativ spät. Freikorps waren in Dortmund, Ruhrgebiet, München und überall, aber nicht in Dresden. Die sind einfach irgendwie, hatten keinen Ansatzpunkt, irgendwie loszuschlagen. Es waren auch dort viele Gymnasiasten und Studenten dabei, also das hat sich dann erst mit dem Kapp-Putsch in eine andere Richtung entwickelt, aber nicht unmittelbar danach. Was für mich auch ein wirklicher Grund ist, das zu machen, das Buch zu schreiben, das war der Ärger über die Geschichtsverfälschungen in der DDR, denn die wirken ja ungeheuer nach.
Verdienste der Sozialdemokraten in Dresden
Gerk: Das wollte ich Sie auch fragen, wie das denn eigentlich transportiert wurde in der damaligen Zeit, also diese Epoche, die Sie sich jetzt da angeschaut haben?
Klier: Völlig ideologisch. Man kann es sehen an der Frauengeschichte. Ich habe die Geschichte des Frauenwahlrechts auch untersucht. Und auch da, muss ich sagen, haben wir falsche Namen gekriegt, die gar keine Rolle spielten eigentlich, und das ein halbes Jahrhundert, muss man das ja dann nachquatschen, weil man es nicht anders kennt, steht heute auch noch so in den Geschichtsbüchern, und die wirkliche, also von den Frauen, die wirkliche, die es gemacht hat, die alles nicht nur in der Hand hatte, sondern einen so ungeheuren Charme hatte, dass sie alle auch eingebunden hat, außer die Linksradikalen und die Rechtsradikalen – die haben da auch nicht mitgemacht –, ist Marie Stritt gewesen. Eine Frau eigentlich aus Siebenbürgen, die verheiratet war mit einem weltberühmten Opernsänger, der landete dann in Dresden, der kommt auch woanders her, und sie war Schauspielerin, die hatte dann da ein Engagement, und von dort aus geht das also los, aber da hat die schon 30 Jahre lang Zusammenziehen von verschiedenen Gruppierungen, Frauengruppen deutschlandweit …, und mich hat empört, die kennt gar niemand. Also die ist jetzt entdeckt worden von jungen Forscherinnen in Dresden. Die haben auch eine Straße nach ihr benannt in den 90er-Jahren, eine kleine, aber selbst ich habe den Namen noch nie gehört, obwohl ich damit eigentlich arbeite. Das ist ein Punkt.
Gerk: Die Frauen sind ein großer Punkt in Ihrem Buch, aber Sie haben ja auch ganz interessant, finde ich, die Künstler, die da … Damit fangen Sie ja an, dass Otto Dix und Kokoschka, die da kriegsbegeistert waren noch vorher und die dann sich nach Dresden geflüchtet haben, was bringt denn diese Perspektive oder was macht die mit einem, wenn man durch die Künstler auf diese Zeit schaut?
Klier: Die Künstler hatte ich eigentlich zuerst. Ich habe 2005 in Dresden …, ich wollte ein Drehbuch schreiben, ein Spielfilmdrehbuch, was ich auch gemacht habe, und das spielte in der Kunstszene in Dresden. Das habe ich also alles schon untersucht 2005, ein halbes Jahr dort gearbeitet, und dann lag das, und ich habe es auch komischerweise nicht rausgegeben, weil es war kein Verständnis für 1919 in dem Moment. Das ist jetzt da, also 100 Jahre Freistaat Sachsen oder 100 Jahre Frauenwahlrecht und so, ist das gekommen, und von denen habe ich dann sehr viel mit ins Ganze reingezogen. Also dann habe ich angefangen, nachdem das ruhte eine Weile, doch das Ganze irgendwie jetzt mal ins Auge zu nehmen, weil man kann es nicht nur aus einer kleinen Gruppe von Bürgern heraus betrachten. Man muss wirklich alle Facetten nehmen, dann kriegt man die Temperatur, sage ich immer, mit.
Gerk: Man würde ja meinen, das ist unglaublich aufgearbeitet. Waren Sie da eher von Material erschlagen oder war das wirklich eine aufwendige Recherche auch, sich das zu erschließen, was da in diesem …
Klier: Nein, das war eine aufwendige Recherche. Dresden hat ja sehr gute Bibliotheken, die haben die große sächsische Landesbibliothek. Dann gibt es ja die Kunsthochschule, die Bibliothek, das Staatsarchiv – dort habe ich sehr viel gefunden –, Hauptstaatsarchiv, zum Beispiel eben die Geschichte, die eigentlich signifikant ist, die Ermordung des Ministers für militärische Angelegenheiten, Gustav Neuring. Auch sowas, was völlig fehldargestellt wurde. Dann steht in den Geschichtsbüchern noch, der wurde von Rechtsradikalen ermordet, ist aber tatsächlich wirklich von Linksradikalen hingerichtet worden auf so eine brutale Art, und das habe ich ganz tief recherchiert, ich glaube als Erste, und danach war ja der Ausnahmezustand, also die Regierung. Das war ein Gewerkschafter, also jemand, der richtig auch an der Revolution mitgewirkt hat, und den wollten die eben abstechen, muss man sagen, und der nächste sollte der Ministerpräsident Gradnauer sein. Das kulminiert dann, auch Leipzig gegen Dresden, ist ja auch ein altes Thema, mit völlig verschiedenen Temperaturen dann wie das funktioniert in diesen Tagen und wer da wie was macht.
"Von den Monarchen zur Demokratie"
Gerk: Sie schreiben ja auch in Ihrem Buch, die Vergangenheit ragt ins Heute hinein, auch jene, die 100 Jahre zurückliegt. Inwiefern tut sie denn das, was haben Sie da empfunden, während Sie sich da so in diese Zeit vertieft haben.
Klier: Das ist natürlich nicht eins zu eins …, weil das eine andere Zeit gewesen ist und wir heute auch mehr Möglichkeiten haben. Es gibt Verhaltensmuster, die immer wiederkehren oder zumindest innerhalb der letzten 100 Jahre wiederkehrten. Fehlende Zivilcourage, Angst von irgendwie … Angst vor Behörden, Unglaubwürdigkeit, die sich auch ganz schnell ideologisch verfestigt. Also das haben wir immer wieder, und dann denke ich auch oft, ja, das kenne ich, das hat es da schon gegeben oder vielleicht sogar noch vorher, aber dieser Umbruch auch, also der Umbruch in dem Falle von Königreich oder von den Monarchen zur Demokratie, ist ja ein so enormer, und was das auch wieder mit Menschen macht, das habe ich dort beschrieben, und da habe ich oft gedacht, das ist auch jetzt so, also für Ostdeutsche zum Beispiel, die auch von einer Diktatur in die Demokratie gekommen sind und mit vielen Sachen auch nicht klarkommen. Also ich kann nur sagen, man muss es lesen und dann auch selber sehen, was hat es mit uns zu tun, jeder für sich.
Gerk: Finden Sie da was von dem mal? Wenn wir heute nach Dresden schauen, denken wir ja leider als erstes an Pegida.
Klier: Genau so ist es. Das war übrigens auch ein Grund, warum ich das Buch …, gedacht, das muss jetzt mal raus, weil ich doch wollte, dass auch mal ein anderer Gedanke mit Dresden sich wieder verbindet als diese furchtbare Latschtruppe da.
Gerk: Da schauen Sie also verärgert drauf.
Klier: Ja, natürlich. Dresden ist eben auch was anderes.
Gerk: Freya Klier, vielen Dank, dass Sie hier waren. Und das Buch, über das wir gesprochen haben, ist unter dem Titel "Dresden 1919" beim Herder-Verlag erschienen, 384 Seiten kosten 26 Euro.
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